Alicja Kwade: „Big Be-Hide“ bei den Bad Homburger Blickachsen
Förderpreis der Freunde der Blickachsen 2017 an Alicja Kwade verliehen
Skulpturenausstellung in den Bad Homburger Parkanlagen und Umgebung endet Anfang Oktober
Von Erhard Metz
Wahltag ist ein besonderer Tag, liebe Leserinnen und Leser, und wir gehen doch fest davon aus, dass wir alle zur Wahl gehen – in unserem eigenen wie im Intesse des Gemeinwesens! Soweit, so klar. Und was machen wir sonst noch am Wahltag? Einen schönen Spaziergang, lautet unser Vorschlag, zum Beispiel in den Bad Homburger Parkanlagen, wo uns neben der sagenhaften Champagnerluft auch die schöne Bildhauerkunst empfängt, zumindest noch am Wahltag und über die darauffolgende Woche hinaus bis zum 1. Oktober 2017. Dann enden nämlich die „Blickachsen 11“, die wir jetzt noch einmal geniessen oder allerspätestens kennenlernen sollten. Rund 80 Werke von 37 Künstlerinnen und Künstlern, die meisten unter freiem Himmel, gibt es zu sehen, die Mehrzahl von ihnen im Kurpark und im Schloßpark.
Apropos Wahl: Man kann ja bei einem solchen Rundgang für sich selbst einmal sein Lieblingskunstwerk wählen. Wir hatten uns bereits nach wenigen Wochen recht klar entschieden: für die wunderbare Arbeit „Big Be-Hide“ von Alicja Kwade, etwa mittig im unteren Teil des Kurpark gelegen.
Wir blieben, was uns erfreut, nicht allein mit unserer Wahl: eine Jury – Peter Murray, Direktor des Yorkshire Sculpture Park in West Bretton (Wakefield, Großbritannien), Maria Schneider, Co-Kuratorin der „Blickachsen 11“ im Auftrag des Museums Liaunig im österreichischen Neuhaus, und Christian K. Scheffel, Stiftung Blickachsen, Galerist und Initiator der Skulpturenausstellung – verlieh Ende August Alicja Kwade „als Nachwuchstalent im Bereich der dreidimensionalen Kunst“ den mit 5.000 Euro dotierten „Förderpreis der Freunde der Blickachsen 2017“ – ebenso einstimmig, wie wir dies bereits zuvor für uns im „stillen Kämmerlein“ getan hatten. Und in dieser Reihenfolge – Ehrenwort!
„Alicja Kwade entwickelt ihre Werke“, so Maria Schneider zur Preisvergabe, „mit genau ausgearbeiteten Bezügen zu Themen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Geschichte und Gesellschaft und baut immer wieder Brücken zu ihren Betrachtern. Trotz hoher Komplexität sind ihre Arbeiten umstandslos zu lesen und zu verstehen, auch wenn das, was wir sehen, nicht genau das ist, wofür wir es halten – weil es ein Unsichtbares hat im Sichtbaren, das Lust macht hinzusehen, genau sehen zu wollen, sich zu wundern und Fragen zu stellen.“ Und Peter Murray: „Alicja Kwades außergewöhnliche Installationen zeichnen sich aus durch eine innovative Verknüpfung des Konzeptuellen mit dem Materiellen und unterlaufen unsere Wahrnehmung von Zeit und Raum.“
Bereits den von weitem sich Annähernden vexiert das Werk, von welcher Seite er auch kommen mag: Ein aufrecht stehender Rahmen, zwei große, sich ähnelnde, gegenüberliegende (vermeintliche) Steine, der eine natürlichen Aussehens, der andere silbrig glänzend, doch so einfach ist die Sache nicht. Der Rahmen entpuppt sich als ein doppelseitiger Spiegel, der diesseits wie jenseits die Parklandschaft widergibt – und die Steine? Sie liegen sich zentimetergenau gegenüber, schauen sich, wenn man so will, gegenseitig wie durch ein Fenster an und können sich doch nicht sehen, das verspiegelte Glas trennt sie. Und der eine vermeintliche Stein: er ist ein Abguß des „echten“ aus Aluminium, silbrig beschichtet. Ein Fake, könnte man sagen – und doch eine Realität. Am meisten irritieren die Ansichten, die dem Betrachter eine fast schnittbildgleiche Kongruenz der beiden Objekte, geteilt durch den Spiegel, zu vermitteln scheinen. Ein Wechselspiel zwischen Anschein und Sein, zwischen einem „In-sich-bergen“ und Verbergen – „Be“ und „Hide“, das eine im jeweils andern. Aufklärung, wie das Ganze funktioniert, bringt erst die unmittelbare Sicht von der Seite. Nebst „Freundschem Lustgewinn“ darüber, wie gern man sich hat täuschen und verblüffen lassen.
„Abhängig von der Betrachterposition fungiert das Spiegelglas einerseits als doppelnde Reflektionsebene, als Spiegel, andererseits aber auch als scheinbar durchlässige Fläche, die den Naturstein mit seinem glänzenden metallenen Doppelgänger konfrontiert: Das Glas verbirgt Teile eines der Objekte, vervollständigt es jedoch gleichzeitig wieder durch das entsprechende Spiegelbild des anderen. So entsteht in der Überlagerung von Wirklichkeit und Schein illusionär ein neues Objekt“ (Blickachsen).
Sonntag ist Wahltag – die Bad Homburger Bürgerinnnen und Bürger dürfen sogar zwei Mal wählen: einmal den neuen Deutschen Bundestag und zweitens das Kunstwerk, das aus der diesjährigen Blickachsen-Ausstellung seitens der Stadt angekauft werden soll. Die Sache hat allerdings einen Haken. Nur zwei der insgesamt rund 80 Werke stehen per online-Wahl zur Verfügung, eingegrenzt durch eine Vorabauswahl des Kulturamts und den auf 100.000 Euro beschränkten Ankaufsetat: „jump und roma4“ von Manfred Wakolbinger oder ein Quader aus Ewerdt Hilgemanns „Three Equal Volumes“. Das Verfahren erscheint zwar verständlich, kann aber nicht das ersetzen, was man unter einer Bürgerbeteiligung, die diesen Namen verdient, verstehen kann. Und auch die Auswahl selbst vermag nicht zu befriedigen, ist das qualitative Gefälle etwa zu Alicja Kwades „Big Be-Hide“ nun einmal unübersehbar.
Blickachsen 11 – Skulpturen in Bad Homburg und Frankfurt RheinMain, noch bis 1. Oktober 2017 (am 1. 10., 11-12.30 Uhr, mit letzter öffentlicher Führung im Kurpark)
Fotos: Erhard Metz
→ Alicja Kwade: „Die bewegte Leere des Moments“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt
→ „UNENDLICHER SPASS“ in der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt