Il-Jin Atem Choi in der Frankfurter Galerie Heike Strelow
„Are you a ginger?“
Von Erhard Metz
„You are a ginger“ hat wohl mal jemand, wenn wir es recht verstanden haben, zu Il-Jin Atem Choi gesagt. Ginger: ein genetisch bedingt rothaariger Mensch mit blasser, sommersprossiger Haut; als Slang-Wort gebraucht, um jemanden als minderwertig herabzuwürdigen, böse Zungen behaupten gar, ein „ginger“ habe keine Seele. Eine Beleidigung. Und nun stellt der Künstler mit dem Titel seiner Ausstellung in der Galerie Heike Strelow die Frage „Are you a ginger?“ Befragt er reflexiv sich selbst? Fragt er den Besucher der Ausstellung, den Betrachter seiner Arbeiten? Ist das alles nur eine Metapher für etwas anderes?
Untitled, 2016, Tusche, Sprühfarbe, Plexiglas, Holz, Kunstharz, je 190 x 124 cm
Il-Jin Atem Choi zählt zu den nicht gerade zahlreichen Künstlern, die man regelmässig in der Frankfurter Kunstszene antrifft, sei es bei Galerie- oder Ausstellungseröffnungen, sei es bei Begegnungen und Festen im ATELIERFRANKFURT, bei „Familie Montez“ oder im basis. Selbstverständlich, dass ihn Anja Czioska im Frühjahr 2013 in ihre Ausstellungsreihe „artspace RheinMain“ in der alten Offenbacher Ölhalle (der wir immer noch ein bisschen nachtrauern) holte (Painting of today), ihn Galeristin Heike Strelow im Frühjahr 2014 in eine neue Gruppenausstellung einbezog und er als Städel-Student jeweils an prominentem Platz beim zeitgleichen Städelschul-Rundgang wie auch im Jahr darauf beim Rundgang 2015 vertreten war. Nun widmet die Galerie dem aussergewöhnlich vielseitigen, 1981 in Moers geborenen Künstler – er studierte zunächst in Maastricht mit Abschluss International Business und seit 2012 (bis 2016) an der Städelschule bei Professor Tobias Rehberger – eine Solopräsentation.
Ausstellungsansicht, Galerie Heike Strelow
Aber zurück zum „ginger“: Welch ein glücklicher Zufall, dass es die englische Bezeichnung für Ingwer ist! Für Choi eröffnet sich damit ein weites und reiches künstlerisches Feld. Denn mit dem Ingwer hat es eine besondere Bewandtnis: er bildet (wie manche andere Pflanzenarten auch) ein unterirdisch wachsendes Sprossachsensystem, Rhizom genannt. Das Rhizom des tropischen und subtropischen Gewächses ist weltweit bekannt als Nahrungs-, Gewürz- und Heilpflanze, letzteres ausgehend von der alten chinesischen und arabischen Medizin. Und natürlich kennt jedermann das Ginger Ale.
(li.) Untitled, 2016, Styropor, Sprühfarbe, Tusche, Kunstharz, Heisskleber, 45 x 39 x 43 cm; (re.) Untitled, 2016, Styropor, Sprühfarbe, Tusche, Bitumen, Kunstharz, Heisskleber, 56 x 84 x 55 cm
Das unterirdische Rhizom nun wiederum wächst und entwickelt sich unlinear, wucherisch, anarchisch, chaotisch. Manche gärtnerisch Schaffenden treibt es zur Verzweiflung, wenn sie solchen Wuchs eher dem Unkraut zurechnen, wenn Knöterich oder Efeu schier unbändig und kaum ausrottbar Zäune und Mauern überwuchern oder Hauswände erklimmen. Die Rhizome haben es gar bis in die Philosophie hinein geschafft: Der Philosoph Gilles Deleuze und der Psychoanalytiker Pierre-Félix Guattari stellten die rhizomatische Struktur als ein metaphorisches Gegenmodell der linearen, von der Hierarchie der Ordnungsebenen bestimmten, von der Antike her bekannten, ebenfalls metaphorisch zu verstehenden „Baumstruktur“ gegenüber.
So übersetzt sich die Frage „Are you a ginger?“ in ein „Denkst und arbeitest du als Teil des ordnungspolitischen Establishments oder unhierarchisch-rhizomatisch?
Ausstellungsansicht, Galerie Heike Strelow
Da wuchert und spriesst es in der Galerie aus Boden und Wänden, da drängt es auf das Anarchisch-Fröhlichste in den Raum hinein. Alles erscheint irgendwie noch ein Stück unfertig zu sein, und es würde den Besucher nicht verwundern, wenn er es anderentags dort wieder ganz anders anträfe. Das in der Galerie versammelte Gesamtwerk – quasi eine Installation aus Malerei, Skulptur und Papierarbeiten – steht für die Prozesshaftigkeit der künstlerischen Arbeit Chois, für den „Prozess der Transformation und dessen Visualisierung“ (Adela Demetja).
Ausstellungsansicht, Galerie Heike Strelow
Il-Jin Atem Choi begann seine künstlerische Arbeit in der Graffiti- und Sprayer-Szene. Neben den „armen“ Materialien Styropor, Pappe, Papier oder Kunstharz gehört deshalb auch heute noch die Sprühfarbe zu seinem Handwerkszeug.
Adela Demetja: „Die Kunstwerke von Il-Jin Atem Choi sind eine Ausdehnung seiner Person und ein zweiter Körper des Künstlers – sie bilden ein horizontales, unhierarchisches, anarchistisches, nomadisches, deterritorialisiertes und heterogenes Werk, das sich dem Vertikalen und dem steifen heutigen Establishment widersetzt und diese herausfordert.“
„Are you a ginger?“ Galerie Heike Strelow, nur noch bis 29. Oktober 2016
Bildnachweis/Fotos: Galerie Heike Strelow