Daniel Libeskind: „One day in life“ in Frankfurt am Main
Der Musiker, Architekt und Stadtplaner mit seinen Operationen am Herzen der Stadt
Petra Kammann im Gespräch mit dem Künstler-Architekten
Mit dem Konzertprojekt „One Day in Life“ von Daniel Libeskind und der Alten Oper Frankfurt wird die Stadt Frankfurt am Main am 21. und 22. Mai 2016 an 18 Spielstätten in mehr als 75 Konzerten zur Begegnungsstätte mit Musik und mit „Grunddimensionen des menschlichen Daseins“.
Die Erfahrungen des 1946 in Polen geborenen und in New York lebenden und arbeitenden Architekten Daniel Libeskind, seine Erfahrungen in Ost und West, in den Metropolen, fließen nicht nur in seine ungewöhnliche Architektur ein, sondern auch in ein ungewöhnliches musikalisches Konzept in Frankfurt am Main.
1957 emigrierte die Familie nach Israel, drei Jahre später in die USA. 1965 wurde Libeskind US-Bürger. Er studierte Musik in Israel und New York und verdiente sein Geld als professioneller Musiker, bevor er sich der Architektur widmete.
1999 wurde der langjährige Architekturtheoretiker mit seinem ersten Gebäude, dem Jüdischen Museum Berlin, schlagartig weltbekannt. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2003 in New York gewann Libeskind den Wettbewerb um den Masterplan für die Wiederbebauung von Ground Zero. Sein Masterplan bildete die konzeptionelle Basis und den inhaltlichen Rahmen für die Neu-Entwicklung des gesamten Komplexes.
Als einer der international renommiertesten Architekten hat Daniel Libeskind mit seinen Studios in New York, Mailand und Zürich in den vergangenen Jahren zahlreiche bedeutende Projekte unter anderem in Manchester, Denver, San Francisco, Dresden, Las Vegas, Warschau, São Paulo, Manila, Toronto, Düsseldorf, Kopenhagen und London geplant und realisiert.
Vom 9. Mai bis zum 14. Juni 2016 verweist außerdem eine 289 m² große Installation des Architekten Daniel Libeskind auf dem Frankfurter Opernplatz auf dieses Konzertevent und macht als begehbares Kunstwerk die Grundidee des Projektes im wahrsten Wortsinn zugänglich. Petra Kammann sprach mit Daniel Libeskind in Düsseldorf und in Frankfurt:
Komponisten, deren Werke gespielt werden
Petra Kammann: Sie sind in Lódz geboren und aufgewachsen, bevor Ihre Familie nach Israel auswanderte. Lódz war einst ein Zentrum der Textilindustrie. Zeitweise lebten dort Polen, Deutsche, Böhmen, Schwaben, Juden und Russen friedlich miteinander. Zahlreiche berühmte Intellektuelle, Künstler, Dichter, Filmemacher kamen dorther. Hat Sie das in Ihrer Entwicklung beeinflusst? Was bedeutet Ihnen Polen? Empfinden Sie sich in gewisser Weise als Europäer?
Daniel Libeskind: Ich fühle mich sehr europäisch. Meine Eltern waren Polen und wir alle liebten Polen. Bevor durch die Katastrophe der Schoah-Tragödie so viele Menschen umkamen, gab es in Lódz ein phantastisches und harmonisches Zusammenleben. Es gab wunderbare Gebäude, Fabriken und auch Parks. Lódz war so eine Art Mikrokosmos der europäischen Stadt, die seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich gewachsen war, ja, es war fast eine Art Vorzeige-Metropole.
Als ich Kind war, also unter dem Kommunismus, hatte sich die Stadt dramatisch verändert. Sie war nicht mehr wohlhabend. Es gab keine Juden mehr. Wenn man an die Literatur, die Musik, die Geschichte denkt, dann wird man sich der deutschen, der polnischen, der russischen wie auch der europäischen Geschichte bewusst. Das ist Teil meines Backgrounds, der mich geprägt hat.
Daniel Libeskind
Petra Kammann: Ihr architektonisches Tower-Projekt Zlota44 in Warschau sollte mit 52 Stockwerken das höchste Gebäude Polens werden, das zudem in unmittelbarer Nähe des berühmt-berüchtigten Kulturpalastes, des ambivalenten „Geschenks“ von Stalin steht. Doch wurde Ihr Turm, der an einen Flügel erinnert, von Warschauern kritisiert. Was bedeutet es, in Warschau ein solches Gebäude zu errichten?
Daniel Libeskind: Natürlich sind mir die Straßen und Gebäude vertraut. Und ich war sogar mit meinen Eltern ganz in der Nähe des Kulturpalasts. Für mich war dieser immer ein Symbol der Unterdrückung des polnischen Volks. „Zlota44“ gab mir die Gelegenheit, die Skyline zu verschieben. Polen hatte sich in den letzten Jahren stark verändert, weil es sich von der Diktatur gelöst und zu einer offenen Gesellschaft entwickelt hat. Warschau ist heute auch im Alltag wirklich wieder ein lebenswerter Ort geworden. Da passt das Gebäude als Adlerflügel gut.
Petra Kammann: Aber gab es nicht auch Proteste der Bevölkerung und sogar einen Baustopp? Vielleicht sind doch noch nicht so viele bereit, diese Art von neuem Geist zu erkennen?
Daniel Libeskind: Es gibt immer Menschen, die alles so beibehalten wollen, wie sie es kennen, dabei ist es doch wirklich ein Symbol für ein freies Polen. Schauen Sie, meine Mutter hat chassidische Wurzeln und wuchs in einem Viertel mit jüdischer Nachbarschaft auf. Als ich dahin zurückkam, fand ich, dass sich das Viertel sehr positiv verändert hatte. In Warschau spürt man es förmlich, dass die Stadt den Weg in das 21. Jahrhundert gefunden hat. Es ist wirklich eine rasante Stadt geworden.
Petra Kammann: Freiheit hat für Sie einen hohen Stellenwert – ein Thema, das Sie also auch in der Architektur beschäftigt. So haben Sie für den Ort, an dem in New York die Twin Towers standen, Ihre sogenannten „Freedom Towers“ konzipiert, 1776 feet (541 Meter) hoch sollte das höchste Gebäude der USA werden. Sie gingen im Vorfeld Ihrer Planung „Ground Zero“ im wahrsten Wortsinn auf den Grund und damit an die Fundamente von New York. Außerdem haben Sie sich mit einer Reihe von Opfern von 9/11 unterhalten. Inzwischen heißt es „One World Trade Center“. Ihre Idee wurde sehr vom Publikum unterstützt, in der praktischen Umsetzung war sie bei den Partnern nicht so leicht durchzusetzen. Wie erkennen die Besucher am Bau, welche spezielle Geschichte dahinter steht?
Daniel Libeskind: Die Geschichte hat eine ganz positive Message. Zunächst einmal muss man die Botschaft entwickeln. Und da lag mir vor allem daran, die Geschichte zu kommunizieren, die lauter symbolische, aber auch urbane Aspekte hat. Da gibt es beispielsweise die Sichtbeziehung zur Freiheitsstatue. Oder die Höhe von 1776 Fuß. 1776, das Jahr der Unabhängigkeitserklärung steht als Symbol für Demokratie und Freiheit. Ebenso wurden urbane Akzente gesetzt. Im Zentrum von New York wird dieser Platz als Memorial sehr bewegend und nicht nur von Trauer bestimmt sein.
Das Gebäude basiert auf einer Gedenkstätte. Da habe ich einen öffentlichen Raum gebaut. Das ist der ideelle Aspekt der Geschichte.
Petra Kammann: Sie hatten den 2002 ausgeschriebenen Architekturwettbewerb gewonnen und wurden der „master planner“ des World-Trade-Center-Komplexes. Von Ihnen stammt der ursprüngliche Entwurf des (ehemals so genannten) Freedom Towers. Mit Ihrem Plan, ein Mahnmal im Inneren des Geländes zu bauen, hatten Sie viele Menschen überzeugen können. Um dieses Mahnmal herum stellten Sie mehrere Bürotürme, darunter das 541 Meter hohe „One World Trade Center“. Sie mussten aber auch kommerziell an die Sache herangehen. Wie ließ sich das verbinden?
Daniel Libeskind: Natürlich. Da sind auch viele Anteilseigner und Beteiligte, darunter viele Angehörige von Opfern, dann die Hafenbehörde mit siebentausend Architekten und Ingenieuren. Für den Wiederaufbau ist sowohl die New Yorker Hafenbehörde gemeinsam mit dem Governor von New York und New Jersey eingebunden, während die Straßen vom New Yorker Bürgermeister kontrolliert werden. D.h. wenn man einen Plan entwickelt, muss man zwangsläufig bei der Realisierung Kompromisse machen. Das ist im übrigen ein demokratischer Vorgang. Natürlich geht es dabei auch um viel Geld, Gesetze müssen beachtet werden. Und die Politik ist in hohem Maße involviert.
Insofern muss man auch bei einem guten Masterplan irgendwann mal einen Konsens finden. Ich muss sagen, dass unter diesen Bedingungen etwas sehr Inspirierendes entstanden ist, das Energie ausstrahlt.
Petra Kammann: Sie haben also Ihren ursprünglichen Plan wiedererkannt?
Daniel Libeskind: Es ist schon ganz nah dran. Man kann schon das Mahnmal entdecken und man sieht den Tower 1 und den Tower 4. Und man kann erkennen, was in den ursprünglichen Zeichnungen zum Ausdruck kam. Natürlich sind bei der Realisierung unendlich viele Komponenten zu berücksichtigen. Außerdem treffen an dieser Stelle auch Konzepte verschiedener Architekten zusammen. Aber, da bin ich ganz sicher, die Menschen werden die Einheit und Harmonie des Ortes und die künstlerische Absicht erkennen. Und es wird den Menschen gefallen.
Daniel Libeskind mit seiner Ehefrau Nina
Petra Kammann: Nehmen Sie Ihren Optimismus aus Ihrer ungeheuer großen Energie?
Daniel Libeskind: Natürlich müssen Sie an die Sache glauben, sonst können Sie überhaupt nichts bauen. Als Architekt kann man nicht Skeptiker sein. Man muss schon Vertrauen in sich selbst, ein echtes Selbstbewusstsein haben.
Petra Kammann: Das finde ich erstaunlich, zumal Sie eigentlich erst als Musiker und Philosoph – und damit spielt Skepsis eine Rolle – Ihre Karriere begonnen haben.
Daniel Libeskind: Meine Eltern haben immer an das Positive geglaubt. Damit haben sie mir eine gute Lektion erteilt. Davon zehre ich noch heute.
Petra Kammann: Ihre architektonische Arbeit ist häufig mit symbolischen Orten und mit jüdischer Geschichte verbunden. Um das Jüdische Museum in Berlin zu realisieren, haben Sie in Berlin gelebt, für die Türme auf „Ground Zero“ leben Sie in New York. Wie haben Sie sich Frankfurt nun musikalisch angenähert?
Daniel Libeskind: Mit einem ganzheitlichen Konzept. Ich verstehe das Konzertprojekt als Aufforderung, Orte der Stadt, musikalische Welten und Grunddimensionen des menschlichen Daseins auf ungewohnten Pfaden zu erkunden, gewissermaßen als ein „Musical Labyrinth“. So soll auch die Installation auf dem Frankfurter Opernplatz heißen, bei der auf einer Fläche von 17 mal 17 Metern die Original-Skizze, die im Zuge der Konzeption von „One Day in Life“ entstanden ist, auf einem versenkten Relief begehbar und erfahrbar sein wird. Es ist die Visualisierung einer unkonventionellen musikalischen Reise.
Symbol des musikalischen Labyrinths, das die Orte des Alltags miteinander verbindet: das begehbare Relief auf dem Platz vor der Alten Oper Frankfurt nach der Originalskizze von „One day in life“ von Daniel Libeskind
Petra Kammann: Eines der wichtigen Elemente von Musik ist die Zeit. Und braucht man nicht auch etwas Muße und Zeit, um Musik zu hören? Glauben Sie nicht, dass bei dem Programm, 75 Konzerte an 18 Orten im gesamten Stadtgebiet, das Sie sich für 24 Stunden eines ganzen Tages ausgedacht haben, die Zuhörer in Stress geraten?
Daniel Libeskind: Natürlich ist die Wahrnehmung mit ein wenig Mühe verbunden. Aber das ist ja auch normal. Ohne Anstrengungen kann man auch nichts erlangen. Um die Musik zu erleben und gleichzeitig die urbanen Stellen der Stadt zu erfahren, muss man sich schon engagieren. Ohne das geht es nicht. Sonst erfährt man einfach nichts. Natürlich wird man nichts vermissen, was man erst gar nicht erwartet hat.
Petra Kammann: Sie selbst waren ja auch zunächst einmal Musiker. Insofern haben Sie ein musikalisches Archiv in Ihrem Kopf. Woran haben Sie sich denn orientiert, als Sie sich das Konzept der Konzerte zu den entsprechenden Orten ausgedacht haben? Hatten Sie Kriterien?
Daniel Libeskind: Ich habe gar nicht lange darüber nachgedacht. Als ich mir die verschiedenen Orte in Frankfurt angeschaut habe, kam die passende Musik ganz intuitiv auf mich zu. So gibt es in einer Großküche Barockmusik und Beethoven im Boxcamp. Jeder Ort steht für zentrale Parameter des Lebens wie „Körper“, „Arbeit“, „Schwerkraft“, „Wille“ bzw. für eine „Grunddimension“ des menschlichen Daseins wie „Erinnerung“, oder etwa für die „Bewegung“, für die die fahrende Straßenbahn steht, oder ein „Geheimnis“ wie im Wohnhaus des Juden-Retters Oskar Schindler mit Werken von Webern und Paul Celan. Am VGF Betriebshof Gutleut soll sich Mozarts Requiem dem Thema „Arbeit“ widmen, während in der Alten Oper eine Uraufführung zu erleben ist. Auf jeden Fall sollten Besucher mindestens drei Konzerte besuchen. Erst dann können die „die Erfahrung einer Reise“ durch die Stadt mit Hilfe von Musik machen.
Petra Kammann: Wenn Sie als Architekt arbeiten, hören Sie selbst dann auch Musik? Und wenn ja, inspiriert Musik sie?
Daniel Libeskind: Wenn ich arbeite, höre ich wirklich niemals Musik, vor allem nicht, wenn ich etwas entwerfe. Musik im Hintergrund laufen zu lassen, ist für mich ganz schrecklich. Wenn ich Musik höre, dann konzentriere ich mich ganz auf die Musik und höre sehr aufmerksam zu.
One day in life – ein Konzertprojekt von Daniel Libeskind, 21. und 22. Mai 2016 an 18 Orten in Frankfurt am Main
Fotos: Petra Kammann