Emilia Neumann in der Sachsenhäuser Galerie Perpétuel: „Hartsubstrat“
Von Erhard Metz
Wer in einer Ausstellung Emilia Neumanns Geschöpfen begegnet, den quält am Ende der Gedanke, im damaligen gymnasialen Biologieunterricht entweder öfters gefehlt oder geschlafen zu haben. Und im Philosophieunterricht ebenso. Denn was um des Himmels willen sind Crinkles, Pimples und Koots? Nun haben wir ja bereits einige andere dieser Wesen der Frankfurter Bildhauerin kennengelernt, so etwa die Qualjas (im Frankfurter Kunstverein) oder die Protisten (in der Skulpturenausstellung 2015 in Mörfelden-Walldorf). Das alles macht zweifellos Lust auf mehr, auf ihre Rhinoceros Dreams zum Beispiel, auf ihre Rosinante sowieso, die Gaia oder gar die „Venus von Offenbach“. Und natürlich auf die aktuelle Ausstellung mit dem Titel „Hartsubstrat“ in der Sachsenhäuser Galerie Perpétuel.
o.T. (endogene), Serie 28 I, 2016, Gips, Pigment, Stahl, 75 x 65 x 20 cm (Totale und Detail)
Ja nun, ein Substrat ist etwas, das als Unterlage für etwas anderes dient, das Zugrundeliegende, so wird man es definieren müssen, nach der aristotelischen Lehre ist es selbst von Eigenschaftslosigkeit, um Träger hinzutretender Eigenschaften sein zu können. Und was ist das „Hartsubstrat“ der Künstlerin? Eben das harte „Zugrundeliegende“ oder doch vielmehr das harte „andere“ Hinzutretende?
Wenden wir uns zunächst den formal unbetitelten und doch als „endogene“ bezeichneten, also „aus einer inneren Ursache heraus“ entstandenen Arbeiten zu. Es sind Abformungen in Gips. Die Formen, aus vielerlei Einzelnem zusammengefügt, sind recht banalen Ursprungs, Emilia Neumann verrät uns, dass es sich beispielsweise um auf Autofriedhöfen eingesammelte Radhauskästen aus Blechen oder Kunststoffen handelt, auf denen sich nicht selten noch Artikelbezeichnungen und Seriennummern erkennen lassen. Nicht das Vorgefundene selbst also wird im Be- und Verarbeitungsprozess zum Kunstwerk, sondern es ist gewissermassen dessen Grundlage und Voraussetzung; als Gussform findet es im Abdruck seinen künstlerisch verfremdeten Widerschein, wobei Ziffern und Buchstaben chiffrenhaft auf Herkunft und ursprünglichen Zweck verweisen. Die Bildhauerin gibt dem Gips Pigmente bei, arbeitet mit vielerlei Farbmaterialien, glättet und poliert Teile des Entstandenen oder graviert und raut sie auf, bildet zerfurchte Grate und schroffe Gipfel ebenso wie zerklüftete Krater und abgründige Schluchten, imaginäre Landschaften in fernen Welten der Fantasie und doch zugleich hier im Irdischen als veritables Werk, vor unseren Augen so nah.
Und: Skulptur verbindet sich mit Malerischem, Malerei tritt aus der Fläche heraus in den mehrdimensionalen Raum.
o.T. (endogene), Serie 28 II, 2016, Gips, Pigment, Stahl, 83 x 60 x 23 cm (Totale und Detail)
Eigenwillig, sperrig und bizarr den Betrachter verunsichernd die der Ausstellung ihren Namen gebende grossformatige, einen Raum für sich beherrschende Arbeit „Hartsubstrat“, ebenfalls aus Gips. Ein Blick zur Künstlerin: Sollen wir verraten, dass die Grundform einmal eine Gartenteichfolie war? Emilia Neumann nickt. Aber was hat sie mit der Wanne angerichtet? Sie ihres Bodens beraubt und damit jeglichen vernünftigen Zwecks entfremdet. Die Folie ist perdu, im Abguss jedoch ein neuer Kosmos entstanden.
Hartsubstrat, 2016, Gips, Pigment, Stahl, 140 x 110 x 112 cm (Totale und Detail)
Und noch einmal ein „endogene“: Man soll und muss sich ein jedes Mal Zeit nehmen, ganz genau hinschauen, Galerist und Künstlerin und das nasskalte Schmuddelwetter draussen sowieso vergessen, und man sieht und sieht und kommt aus dem Staunen nicht heraus: Haben längst vergangene Kulturen ihre chiffrierten Zeugnisse in den versteinerten Wüstengrund geschrieben, wird ein dunkelblauer Meeresarm von einem schneebedeckten Berggipfel gesäumt? Oder sind dies alles nur Gespinste, Launen einer Künstlerin in Gips, Pigmenten und Acryl, ganz nüchtern und sachlich in einer Galerie in Frankfurt-Sachsenhausen ausgestellt?
o.T. (endogene), Serie 28 III, 2016, Gips, Pigment, Stahl, 55 x 65 x 30 cm (Totale und Detail)
Ein Geheimnis aber bleibt: wie es Emilia Neumann stets gelingt, mit ihren Crinkles, Pimples und Koots, ihren Qualjas und Protisten und nun auch ihren „endogenen“, allesamt angereichert mit Charme und Humor, aus bräsig-kunstverwöhnten Betrachtern schmunzelnd-heitere Zeitgenossen zu machen, die – hätten sie sie nicht daheim vergessen – alsbald die Brieftasche zückten, um ein solches Werk zu erwerben! Und wer wollte nicht immer noch mehr von diesen wundersamen Wesen und Geschöpfen sehen. Und die ihm bislang noch unbekannte „Venus von Offenbach“ sowieso. Ach ja, fällt uns ein, die Künstlerin selbst ist ja eine gebürtige Offenbacherin!
„Hartsubstrat“, Galerie Perpétuel, bis 10. März 2016
Werke © Emilia Neumann; Fotos: Erhard Metz
→ 18. Skulpturenausstellung 2015 in Mörfelden-Walldorf (2)
→ “New Frankfurt Internationals” 2015: “Solid Signs” (3)