Steinbildhauerin Anna Kubach-Wilmsen auf dem Campus Riedberg der Frankfurter Goethe-Universität (5)
Von Erhard Metz
Die Land Art-Stelenreihe der Steinbildhauerin Anna Kubach-Wilmsen ist vollendet – die Arbeit trägt den Titel „Steinfuge“ und führt hin zum „Wissenschaftsgarten“ der Goethe-Universität auf dem Campus Riedberg. Dort – und auch vor dem nahe gelegenen Otto-Stern-Zentrum – erwarten uns die Steinernen Bücher der Künstlerin.
Die feingeschliffenen Stelenköpfe „verwandeln“ sich je nach Lichteinfall und Betrachtungsrichtung – die für Momente sonnenbeschienene „Steinfuge“ weist vor dramatisch heraufziehenden tiefdunklen Schauerwolken den Blick in die sommerliche Landschaft am Riedberg
Steinfuge, 2014, Granit, 38 Stelen konkav – konvex, 5700 x 140 x 40 cm
Steinerne Bücher
La Storia della Terra, 2013, fünf Steine aus aller Welt, 200 x 160 x 110 cm
Bücher: Orte des bewahrten und überlieferten Wissens? Skulpturen, Kunstwerke, Bücher aus Stein: in unserer digitalen Welt der Verweis auf einen Anachronismus? Einst sassen wir mit dicken Folianten (die berühmten Beck’schen Gesetzessammlungen Schönfelder und Sartorius lassen grüssen!) in Hörsaal und Seminar – heute arbeiten die Studierenden mit dem Notebook, nutzen riesige Datenbanken jederzeit abrufbaren Wissens.
Steinerne Bücher im digitalen Zeitalter im Wissenschaftsgarten der Universität – ein Abgesang also? Gar Grab- und Gedenksteine für eine vergangene Lese- und Lernkultur?
↑ Steinbuch Afrika, 1983, Granit mit Rubinen, 106 x 85 x 60 cm
↓ Steinbuch Ikarus, 2003, Norwegischer Amadeo-Granit, 90 x 65 x 50 cm
Steinbuch Portugal, 1999, rosa Marmor, 100 x 70 x 50 cm
Die Buchsäule
Nicht in dessem Zentrum und doch unübersehbar befindet sich im leicht nach Süden hin abfallenden Wissenschaftsgarten ein kleiner gepflasterter Platz, in dessen Mitte sich die „Buchsäule“ aus Carrara-Marmor erhebt. Sie macht ihn zu einer Art Agora und Zielpunkt, auf den die Stelenreihe der „Steinfuge“ – wenn auch weder perspektivisch noch in geometrisch gerader Linie – verweist. Kein architektonisches Element ist diese Säule, fehlen ihr doch erkennbar Sockel und Kapitell: Bei näherem Hinsehen erkennen wir ihre bildhauerische Vorlage, es wird eine Papierrolle sein, wir assoziieren mit ihr alte Pergamentrollen, urkundlich zu Bewahrendes an nachfolgende Generationen überliefernd. Aller dienenden architektonischen Aufgaben entbunden, verweist diese Säule als ein eigenwillig-eigenständiges Kunstwerk auf sich selbst.
Buchsäule, 2002/04, Carrara-Marmor, 360 x 60 x 60 cm
Vor dem Otto-Stern-Zentrum: Das Steinbuch Nordseegeschichte
Das Otto-Stern-Zentrum auf dem Campus Riedberg beherbergt neben Hörsälen die Bibliothek Naturwissenschaften der Goethe-Universität. Im Schein der Sonne glänzt seine Fassade goldgelb – ein Bau von grosser Ästhetik. Auf der vorgelagerten, derzeit durch die extreme Dürre verbrannten Rasenfläche liegt das an Volumen grösste und gewichtigste Steinbuch aus belgischem Fossilienmarmor. Nirgendwo anders hätte diese wunderbare Arbeit ihren angemessenen Platz finden können!
Steinbuch Nordseegeschichte, 1990, Belgischer Fossilienmarmor, 180 x 130 x 100 cm
Die 1990 geschaffene Buch-Skulptur ist unser Lieblingswerk am Riedberg des Bildhauer-Ehepaars Wolfgang Kubach († 2007) und Anna Kubach-Wilmsen. Ob man in ihm lesen kann? Aber ja, in Gedanken blättern wir die von Alter und früherer Nässe leicht verklebten Seiten auf, finden hinein in Schichtungen und Ablagerungen, erahnen einen Blick in das Ur-Zeitalter der Menschheit, des Planeten Erde und des Universums. Zugleich wird uns die Ehrwürdigkeit alter Bücher sinnlich bewusst. Schauen wir eine längere Zeit auf das Werk an Schichten und Linien, so spüren wir etwas von jenem Hauch von Ewigkeit, der in diesem von Künstlerhand uns offenbarten Stein ruht.
„Wissenschaft und Kunst gehen Hand in Hand am Universitätscampus Riedberg der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Von Mai 2015 bis in den Herbst 2016 werden Steinskulpturen von Anna Kubach-Wilmsen im Wissenschaftsgarten der Goethe-Universität gezeigt. Ganz im Sinne des Universalgelehrten Johann Wolfgang von Goethe, der nicht nur Weltliteratur schrieb, sondern auch als Naturwissenschaftler botanische Studien durchführte, antwortet die Bildhauerin Anna Kubach-Wilmsen mit ihren weltweit bekannten Steinbüchern auf dieses besondere Umfeld.
Für einen Zeitraum von eineinhalb Jahren können Besucher des Wissenschaftsgartens die belebte Natur mit arzneilich genutzten Pflanzen und die Erdgeschichte, die sich in den verschiedenen Gesteinsarten der Skulpturen widerspiegelt, im Zusammenhang erleben. Für die Künstlerin steht im Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung mit der anorganischen Materie, dass der Stein uns etwas über sich selbst mitteilt. Dies geschieht am besten, indem er in Buchform zu uns spricht. Die Skulpturen erzählen ihre eigene Geschichte als Gestein und die Geschichte der abendländischen Tradition, Wissen durch Bücher zu übermitteln. So wird der Wissenschaftsgarten 2015 bis 2016 zu einer großzügigen Ausstellungsfläche für zeitgenössische Bildhauerei.“ Carsten D. Siebert, Kurator
Fotos: Erhard Metz
Ausstellung im Wissenschaftsgarten der Goethe-Universität, Campus Riedberg, bis Oktober zusätzlich auch an Samstagen (11 bis 17 Uhr) geöffnet
→ Steinbildhauerin Anna Kubach-Wilmsen auf dem Campus Riedberg der
Frankfurter Goethe-Universität (1)
s.a. die Reportage:
→ “Turm II” von Werner Pokorny auf dem Campus Riedberg