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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kornelius Wilkens: „Mythen Räume Visionen“ im Kunstforum Mainturm

Von Brigitta Amalia Gonser
Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin

Das Kunstforum Mainturm in Flörsheim am Main zeigt die retrospektive Ausstellung von Kornelius Wilkens „Mythen Räume Visionen“, die mit Malerei und Objekten der letzten fünfundzwanzig Jahre Kontinuitäten in seinem Werk verfolgt.

Der narrative Diskurs des Künstlers Kornelius Wilkens offenbart in visionären, miteinander verwobenen Räumen eine mythische Sicht der Wirklichkeit. „Der Mythos ist die Matrix des Weltbildes – [er] erstellt ein Bild von der Welt und umstellt die Welt mit Bildern“ erläutert Norbert Bolz in seiner kurzen Geschichte des Scheins.¹

1- Wilkens ImAltenNachNeuem

ImAltenNachNeuem,1998, Acryl, Tusche auf Leinwand, 160 x 200 cm

Mythen haben im Zeitalter des New Age, der Wendezeit, Hochkonjunktur, besonders in Massenmedien finden sich mythologische Konstruktionen. Die Alltagsmythen sind emotional hoch besetzt und erklären dem Einzelnen die Welt und ermöglichen Antworten auf die komplizierten Lebensfragen einer postmodernen Gesellschaft. Der Franzose Roland Barthes hat diese Alltagsmythen analysiert, indem er in seiner strukturalistischen Methode der Semiologie nach Ferdinand de Saussure zwischen Sinn und Form der Aussage unterscheidet. Während der Verbraucher des Mythos dessen Bedeutung als ein System von Fakten auffasst und den Mythos als unentwirrbares reales und zugleich irreales Ganzes auf sich wirken lässt. Dabei zeigt es sich, dass jeder Gegenstand zum Mythos werden kann. Was Kornelius Wilkens kreativ aufgreift. Auch scheint er sich Thomas Manns Definition des Wesens des Mythos als „zeitlose Immer-Gegenwart“ (1928) angeeignet zu haben.

2- Wilkens  Semafor-670

2- Wilkens  Semafor-Detail 1

Semafor - Detail 2

Semafor (Totale und Details), 2002, Acryl, Tusche, Dispersion, Farbstifte auf Holz, 58 x 300 cm

So vergegenwärtigt er die Alltagsmythen der Urbanität, Mobilität und Medialität unserer globalisierten Welt in seiner Malerei und bedient sich dabei der Funktion des Erzählens. Zeit wird gleichzeitig Raum, und er versucht sie mit einem sichtbaren Vergnügen zu zeichnen. Indem er sein Bewusstsein für das Problem der Darstellbarkeit nacheinander stattfindender Ereignisse schärft, findet er visuelle Lösungen für die Darstellbarkeit von Zeit.

3- Wilkens WoManBleibt

WoManBleibt, 2009, Acryl, Tusche, Pastell auf Papier, 70 x 100 cm

Kornelius Wilkens arbeitet daher zyklisch und auch rückbezüglich an unterschiedlichen Reihen thematisch zusammenhängender Werke, die jeweils gekennzeichnet sind durch die Existenz einer Handlung und deren Zentrierung auf anthropomorphe Figuren im Kontext einer zeitlichen Progression.

4- Wilkens LageLageLager

LageLageLage, 2009, Acryl, Tusche, Pastell auf Papier, 70 x 100 cm

In seinen Bilderzyklen bindet er also das Narrative an das Figurative, wobei er die fliegende Zeit in einem fruchtbaren Augenblick einfängt. Kornelius Wilkens entscheidet sich für Handlung und Bewegung, also gegen Stillstand und Kontemplation. Seine narrativen Bildräume entspringen seiner Imagination, auch seine Landschaften entstehen aus gespeicherter Erinnerung. Er verwendet keine fotografischen Vorlagen.

5- Wilkens VogelHaus

VogelHaus, 2009, Acryl, Tusche, Pastell auf Papier, 70 x 100 cm

„Erzählraum wird durch Räume und durch Beziehungen zwischen diesen konstituiert – durch die Beziehungen zwischen Innenräumen, zwischen Innenraum und Außenraum und zwischen Bildraum und Betrachterraum. Erzählraum ist also Bezugsraum“, sagt Wolfgang Kemp.²

6- Wilkens AmWasser

AmWasser, 2009, Acryl, Tusche, Pastell auf Papier, 70 x 100 cm

Wilkens‘ Erzählräume können auch über mehrere Bilder eines Zyklus fortgesetzt werden. So in seinen urbanen Universen im Erdgeschoss und ersten Stock, oder im schwarz-weiß-roten Story-Zyklus auf der Brücke. Außerdem bedient sich Wilkens in seinen Bildern einer konsequenten Lichtführung von links, so dass die Schatten immer rechts fallen, damit beeinflusst er auch die Leserichtung in der Bildbetrachtung des Story-Ablaufs. Wobei seine Figuren trotz ihrer steten Erdung eine gewisse Ungewissheit im Sein vermitteln, die vom Künstler gewollt ist.

7- Wilkens Anweisung

Anweisung, 2009, Acryl, Tusche, Pastell auf Papier, 70 x 100 cm

Mit Ironie entwickelt Kornelius Wilkens authentische, bewusst strukturierte Bilderzählungen als freie Kompositionen mit einem Touch von Comic-Ästhetik.

8- Wilkens Fernfühler

↑ Fernfühler, 2009, Acryl, Tusche, Pastell auf Papier, 70 x 100 cm
↓ Lockvogel, 2009, Acryl, Tusche, Pastell auf Papier, 70 x 100 cm

9- Wilkens Lockvogel

Dabei generiert er momenthafte, verwobene, allegorische oder lineare Narrationen zu Mythen der Urbanität, Mobilität und Medialität unserer postmodernen Gesellschaft: Urbanität mit seinen Habitaten, den Räumen und Gehäusen, in denen Menschen wohnen, Mobilität mit der Odyssee im Weltraum, dem Fliegen, Fahren und weltweiten Reisen der Menschen sowie den grenzüberschreitenden Güter- und Tier-Transporten, und Medialität im postmodernen Medienzeitalter und der damit verbundenen Medialisierung des Subjekts, par excellence repräsentiert durch die Parabel des autistischen Monitoring Man in seinem Bild „Mistery“.

10- Wilkens Mystery

Mistery, 2012, Acryl, Farbstifte auf Leinwand, 200 x 160 cm

So wird das Bild in dem Augenblick, da es bedeutungsvoll wird, zu einer pointierten Aussage: es hat, wie die Schrift, den Charakter eines Diktums. Denn Erzählen ist für unsere Welterschließung konstitutiv. Im Erzählen wird es möglich, die eigenen Erfahrungen auszudrücken, zu ordnen und zu interpretieren, an fremden Welten teilzuhaben und alternative Welten zu entwerfen. Über narrative Schemata baut er den Faktor Zeit ein.

Die Symbiose zwischen Mensch und Tier ist dabei auch eine Form der Bildanimation. So laufen in seinen „Assiettes“ Katzen sogar über Pappdeckel. Denn für Wilkens sind Katzen größere Individualisten als Hunde. Er sieht in ihnen gespaltene Persönlichkeiten und vereinnahmt für sich deren Naturell.

Seine Schriftzüge im Bild sind Arabesken, deren Rhythmen das Bild animieren und den Betrachter wegen ihrer Unentzifferbarkeit irritieren, während seine poetischen Titel anregende Assoziationen bieten.

Kornelius Wilkens malt alla prima. Ohne Vorzeichnung und ohne vorheriges Konzept entfaltet sich ad hoc seine prozessuale Vorgehensweise. Wilkens schafft farbliche Energiefelder, wobei er oft zu Grundfarben und komplementären Farben greift, die von schwarzen graphischen Strukturen zusammengerafft und von weißen Flächen aufgelockert werden. Er bevorzugt die Mischtechnik und verbindet Acrylfarben mit Pastellkreiden, Tuschen und Bleistiften. Oft arbeitet er auf Papier auch in großen Dimensionen, aber immer wieder auch auf großflächiger Leinwand. Auch setzt er bei der Skulptur des exhibitionistischen Breakdancers schwarze Acrylübermalung mit weißer Höhung ein und negiert dadurch das Material Bronze und dessen aufgeraute Oberflächenstruktur.

Kornelius Wilkens pflegt eine visionäre Kunst, die man als imaginären Realismus bezeichnen kann, dessen Intention es ist, vermittels formal relevanter Attribute eine Welt verständlich zu machen, die so stark wie nie zuvor von Bildern geprägt wird. Und es gelingt ihm, sein Versprechen zu halten.

Zu Wilkens‘ individueller Mythologie, die seine Weltsicht offenbart, zählen auch seine fantastischen Flugobjekte, diese poetischen Konstruktionen aus Wellpappe, als Verwirklichungen des ewigen Menschheitstraumes vom Fliegen, oder erinnern sie nur an jene tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten?

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Flugobjekt, 2012, Wellpappe, Acryl, Tusche, Holz, Draht, Kordel; Foto © Thomas Wilkens

Sagte doch Harald Szeemann, der den Begriff 1972 auf der documenta 5 geprägt hat: „Ohne Obsession gibt es keine Individuelle Mythologie. Die Zeichen, Signale und Symbole, die diese ‚Spinner und Denker‘ setzen, und die Intensität, mit der sie sie erfüllen, ergeben für uns die Dichte der von ihnen gemeinten Welt“.³

Mit dieser Ausstellung im Kunstforum Mainturm in Flörsheim am Main kehrt der 1951 geborenen Berliner Künstler Kornelius Wilkens nach Hessen zurück, wo er 1972 seine Ausbildung als Reproduktions- und Werbefotograf in Wiesbaden absolviert hat und wo heute noch seine Eltern und Geschwister leben.

1974 zog er nach Berlin, wo er vorerst als Grafik-Designer tätig war, um sich dann ab 1986 ganz auf sein freies künstlerisches Schaffen zu konzentrieren. Seither unternahm er wiederholt Malreisen in Europa, Afrika, Asien, Nord-, Mittel- und Südamerika. Seine Werke zeigte er in zahlreichen Einzelausstellungen in Galerien und Museen, aber auch in Banken, Botschaften oder im Deutschen Werkbund, vor allem in Berlin, aber auch in Potsdam, Aachen, Münster, Sindelfingen, Burg Stargard, sowie in Luxembourg, der Schweiz und New York. Seit 2000 vertritt ihn die Galerie Petra Lange in Berlin, wo er regelmäßig ausstellt. Er ist Mitglied im Deutschen Werkbund und im Verein Berliner Künstler, dessen erster Vorsitzender er von 1998 bis 2005 war. 1993 erhielt er den „Merit Award“ des „International Art Directors Club“, New York.

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(v.l.) Kornelius Wilkens, Sven Heß, Erster Stadtrat und Kulturdezernent der Stadt Flörsheim am Main, Brigitta Amalia Gonser, Kuratorin; Foto © Thomas Wilkens

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¹) Norbert Bolz: Eine kurze Geschichte des Scheins. 1991, S.20.
²) Wolfgang Kemp: Die Räume der Maler. Zur Bilderzählung seit Giotto. München, 1996, S.9.
³) Harald Szeemann: Vision eines Museums der Obsessionen. In: Horst Kurnitzky (Hrsg.): Notizbuch 3: Kunst, Gesellschaft, Museum. Berlin 1980, S.80-81.

Abgebildete Werke und Fotografien (letztere soweit nicht anders angegeben): © Kornelius Wilkens

 

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