„human traces“
Von Brigitta Amalia Gonser
Kunstwissenschaftlerin
Unter dem gemeinsamen Motto „human traces“ stellen in der Oberfinanzdirektion in Frankfurt am Main zwei außergewöhnliche Frankfurter Künstlerinnen und empirische Kulturanthropologinnen – Fides Becker (geb. 1962) und Bea Emsbach (geb. 1965) – im Tandem ihre Aufzeichnungen menschlicher Spuren in ihren neuesten Werken vor.
Kulturanthropologen untersuchen den Menschen im Verhältnis zu seiner Kultur. Sie erforschen empirisch, problemorientiert und gegenwartsbezogen soziale Geflechte und deren Sitten und Bräuche. Mit Hilfe vergleichender Methoden zeigen sie Konstanz und Wandel des Alltagslebens in Vergangenheit und Gegenwart auf.
Bea Emsbach widmet ihr gesamtes Werk der Erforschung der menschlichen Natur, der zwischenmenschlichen Beziehungen und der gegenseitigen Abhängigkeiten. Ihr spezifisches Medium ist die Zeichnung, wobei neben ihren roten linearen Tintenzeichnungen vor allem ihre Kolbenfülleraquarelle der letzten Jahre zusehends malerischer werden und sie auch größere Formate wagt.
Für Bea Emsbach ist Zeichnen ein sowohl intuitiver als auch in hohem Grade gesteuerter Prozess: „Zeichnen als Ringen um die Bilder aus dem Bodensatz des allgemeinen Unterbewussten und der Mythen, aber aus einer bewussten Beschäftigung mit Anthropologie und Psychologie. Es ist der Versuch, sie zu bergen im Bewusstsein, dass das meiste unsagbar bleibt. Was der Betrachter schließlich zu sehen bekommt, sind die Forschungsergebnisse eines subjektivistischen Naturstudiums, anthropomorphe Pflanzen und Protagonisten eines inneren Naturvolkes, dessen Riten ein Stück weit rätselhaft bleiben und zugleich eine Vielzahl an Assoziationen hervorrufen.“
Der Mensch mit seinen Befindlichkeiten spielt auch im Œuvre von Fides Becker eine zentrale Rolle. In ihrer reinen Malerei auf Leinwand reflektiert sie alltägliche Gegenstände, Räume und Landschaften, die kulturell konnotiert sind. Sie lädt sie psychologisch mit Emotionen auf und verleiht den toten Dingen ein eigenständiges Leben, wodurch sie etwas Organisches, Wesenhaftes erhalten und gelegentlich auch eine ambivalente Bedeutung dazu. Dabei entwickelt und verfolgt sie ihre malerischen Strategien im illusionistischen Bildraum. Sie liebt das große Format. „Die Auseinandersetzung mit dem Raum hatte somit immer eine wichtige Bedeutung“, sagt Fides Becker, „und mit der Malerei direkt in den Raum zu gehen, war somit eine natürliche Konsequenz. In der ortsbezogenen, raumgreifenden Malerei entfaltet sich für mich eine neue Dimension.“
Während Bea Emsbach mit der Omnipräsenz der menschlichen Figur arbeitet, leben Fides Becker neueste Arbeiten von der gänzlichen Absenz derselben, trotzdem ist darin das Menschliche immer noch anwesend. Die Bildwelten der beiden Künstlerinnen ergänzen sich so komplementär. Wobei Natur für beide Zuflucht bietet: sie kann bergen und verbergen.
Parallele Studienzeiten und -plätze verbinden die beiden Künstlerinnen. Fides Becker absolvierte ihr erstes Studium an der Städelschule in Frankfurt am Main bei Thomas Bayrle, während Bea Emsbach bei Manfred Stumpf an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main studierte. Beide Künstlerinnen kamen in den Genuss des Atelierstipendiums des Künstlerhauses Schloss Balmoral in Bad Ems und zählen zu den aktiven Mitgliedern der Darmstädter Sezession.
Durch Stipendien geförderte Arbeitsaufenthalte führten Bea nach Venedig und Südkorea und Fides nach Rotterdam, Amsterdam, New York, Salzburg und Paris, nach ihren Zusatzstudien in Berlin und Rotterdam. Außerdem bekam Bea u.a. den Maria Sybilla Merian-Preis und den Marielies Hess-Kunstpreis.
Bea Emsbach entwickelt ein strukturalistisches, imaginäres, kulturanthropologisches Weltbild. Sie animiert es durch ein „primitives“ soziales Gefüge eines inneren Naturvolkes, das sich über wechselseitige Beziehungen zwischen archetypalen Agenten definiert.
Sie ist geprägt von Claude Lévi-Strauss‘ strukturaler Anthropologie und vor allem von seinem Buch „Das wilde Denken“, dessen Thesen ihr Œuvre sichtbar beeinflusst haben (La pensée sauvage, dt. v. Hans Naumann, Das wilde Denken, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973).
Nest, 2014, Tusche auf Leinwand, 150 x 200 cm; Foto: FeuilletonFrankfurt
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