home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Atelierfrankfurt – Familie Montez – Kulturbunker: Das neue Kunst- und Kulturdreieck im Frankfurter Ostend

Von Erhard Metz

Schon jetzt ist es unübersehbar: Mit dem Neubau der Europäischen Zentralbank verändert das Frankfurter Ostend in signifikanter Weise seine Struktur und sein Erscheinungsbild. Auch die Frankfurter Kunst- und Kulturszene wird künftig diesen Stadtteil mit prägen: dem Dreieck von ATELIERFRANKFURT und Kunstverein Familie Montez an ihren neuen Standorten zusammen mit dem bereits bestehenden „Kulturbunker“ – untereinander auf jeweils kurzem Fussweg zu erreichen. Nicht zu vergessen weitere Etablissements in diesem Stadtgebiet wie der Betriebsteil Daimlerstrasse der Städelschule oder – sämtlich in der Hanauer Landstrasse – der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Frankfurt e.V., die Galerie Martina Detterer oder die Galerie Wilma Tolksdorf. Und Galeristin Heike Strelow baut in besonderer Weise auf die Zukunft des Ostends und zieht von der Hanauer Landstrasse gleich mit in die neue Residenz von ATELIERFRANKFURT. Schon immer um die Förderung qualitätshaltiger „junger“ Kunst bemüht, wird sie fortan unmittelbar aus der „Quelle“ künstlerischer Kreativität schöpfen können.

L1190127A-470

Der EZB-Neubau dominiert das Ostend – das Hochhaus-Zentrum verschwindet hinter dem Nordbogen der Deutschherrnbrücke

Beginnen wir mit dem neuen Standort des ATELIERFRANKFURT in der Schwedlerstrasse 1-5:

header_neu

L1190145-600

L1190161-430

Ein stattlicher, symmetrisch angelegter zweiflügeliger Gebäudekomplex, im Innenhof zwei Treppentürme in einer Art Renaissance-Stil; zwei ovale Ornamente mit je einer mittelalterlichen Handelskogge künden von stolzer Kaufmannstradition.

L1190152-600

Erzählenswert die bewegte Geschichte des Gebäudes: 1912 errichtete es der aus einer alten Mennonitenfamilie stammende Kaufmann und Kunstmäzen Jakob Latscha (1849-1912) als Firmenzentrale. Latscha war vielfältig sozial engagiert und schuf finanziell erschwingliche Wohnungen für den „kleinen Mann“. Auch in seiner Lebensmittel-Kette „LLL – Latscha liefert Lebensmittel“ mit zuletzt über 200 Filialgeschäften im Rhein-Main-Gebiet bot er die direkt vom Hersteller bezogenen Waren preisgünstig an. 1977 veräusserte Dieter Latscha das Unternehmen an die Rewe-Leibbrand-Gruppe. 1978 wiederum erwarb der Unternehmer und Mäzen Alexander Loulakis (1924-2011) das stattliche Anwesen. Loulakis, weit über Hessen hinaus als „Schellack-Papst“ bekannt, Schellack-DJ und Moderator der berühmten Soireen im Henninger-Turm, baute die weit über 400.000 Platten nebst Abspielgeräten und Autogrammkarten enthaltende, wohl grösste Schellackplatten-Sammlung in Deutschland auf – und schuf den Grundstock für die beliebte, über 500 Produktionen umfassende Hörfunksendung „Schellack-Diskothek“ (vormals „Schellack-Party“) des Hessischen Rundfunks.

Sein Sohn Michael Loulakis, Inhaber der Loulakis-Immobilienverwaltung, Kunstmäzen und -sammler, Vorsitzender des Frankfurter Kunstvereins, stellt nun rund 9000 Quadratmeter Nutzfläche des Gebäudes dem ATELIERFRANKFURT, das seinen früheren Standort in der Hohenstaufenstrasse verlassen muss, für zunächst fünf Jahre und zu günstigen Mietkonditionen (zwei bis fünf Euro pro m²) zur Verfügung. Die Fläche reicht für 160 bis 200 Ateliers (anstatt wie bisher 45), in denen auch Gäste arbeiten können. Wie bisher wird es jährlich fünf Ausstellungsblöcke geben. Geplant ist zudem eine Erweiterung des Atelierhauses zu einem Kulturzentrum mit den Sparten Tanz, Theater, Musik und Design. Die erforderlichen Umbau- und Renovierungsmassnahmen werden in den kommenden Wochen abgeschlossen sein. An der Gesamtfinanzierung einschliesslich der Betriebskosten beteiligen sich der Atelier-Verein und die Künstler, die Stadt Frankfurt am Main sowie Loulakis. Weitere Förderer und Sponsoren werden noch gesucht.

L1190156A-430

Eingang zum ATELIERFRANKFURT und zur Galerie Heike Strelow: die Dame über dem Portal muss die Warnleuchte der Alarmanlage als bunten Kopfschmuck ertragen

L1190149-430

Wie der – wohl noch provisorische – Briefkasten kündet, ist die Geschäftsführung bereits eingezogen wie auch die Galerie Heike Strelow. Auch die Künstlergruppe „spez.Lab“ verfügt schon über ein Türschild. Galeristin Heike Strelow wird im neuen Quartier am 17. Januar 2014 ihre Räume mit der Ausstellung „Von hier siehst Du ganz anders aus“ und Arbeiten von Il-Jin Atem Choi, Monika Brandmeier und George Steinmann eröffnen.

L1190159-430

L1190160-430

Ups, doch wohl keine Installation; angetroffen in einem Flur des neuen ATELIERFRANKFURT

L1190157-430

Ja, wenn wir, liebe Leserinnen und Leser, Künstler wären, dann gäben wir diesem Bild den Titel „Selbstporträt“, denn der Fotografen-Autor steht während der Aufnahme auf einer berühmten Toledo-Grosswaage – einem heutzutage technischen Denkmal, das hoffentlich im Haus verbleibt. Nun weist der Zeiger, wie Ihnen nicht entgangen sein wird, auf etwa 90 Kilo, und wir hoffen auf Ihre Einsicht, dass die Waage um runde 20 Kilo vorgeht!

Und: So bunt wie in der unmittelbaren Nachbarschaft geht es im ATELIERFRANKFURT derzeit leider noch nicht zu. Aber was nicht ist, wird ja noch kommen.

L1190162-600

Einen Coup der besonderen Art landete Mirek Macke, Direktor, Kopf und Seele des 2007 von ihm selbst zusammen mit Anja Czioska – beide Städelschüler – gegründeten Kunstvereins Familie Montez: er soll in die beiden Brückenbögen unter der Rampe der von Grund auf sanierten, unter Denkmalschutz stehenden Honsell-Brücke – sie spannt sich über die Einfahrt vom Main in den Osthafen – einziehen.

L1190120-600

Bunt geht es dort bereits zu, haben doch „Edelsprayer“ nicht nur mit dem Segen, sondern im Auftrag des Magistrats schon mal den Molenkopf der benachbarten neuen Osthafenbrücke über den Main verschönert.

L1190128A-600

Im Rohbau fast fertig, nobel und chic: die Fassaden der Brückenbögen von Westen her gesehen. Eine der Hallen soll dem Ausstellungsbetrieb des Kunstvereins dienen, die andere Lesungen und Theateraufführungen vorbehalten bleiben nebst einer kleinen Gastronomie. Respekt, Mirek Macke, das war ein guter Tausch gegen die alte – wenn auch stimmungsvolle – Gemüsehalle in der Breiten Gasse!

L1190130-600

L1190119-600

Seit Mai 2012 ist Familie Montez nach dem Auszug aus der Gemüsehalle heimatlos bzw. besser gesagt mit dem Ausstellungsbetrieb auf Tournee im In- und Ausland unterwegs. Steht nun noch der Beschluss der Stadtverordneten über die entsprechende Vorlage des Magistrats aus – das Parlament soll unter Beschuss einer Frankfurter Club- und Gastronomielobby stehen, die sich ihrerseits das grossartige Ambiente unweit der EZB unter den Nagel reissen will. Bleibt dringend zu wünschen, dass das Stadtparlament der Magistratsvorlage folgt!

Ganz in der Nähe – zwischen ATELIERFRANKFURT und Honsell-Brücke – steht in der Schmickstrasse der „Kulturbunker“ mit seinen zwei markanten, den Betonklotz teilweise überkragenden Aufbauten in einer Holz-Glas-Konstruktion. Hat man sich erst einmal über die Treppenaufgänge in die luftigen Gefilde hinaufgeschafft, bietet sich ein überwältigender Ausblick über das Industriegelände am Osthafen und auf den Doppelturm der EZB. Neben Geschäftsräumen für Betriebe der „Kreativwirtschaft“ stehen moderne, lichtdurchflutete Ateliers zwei heimischen Künstlerinnen sowie Gästen des 1990 begründeten Artist in Residence-Programms der Stadt Frankfurt zur Verfügung.

L1190136-600

L1190138-430

„Ex oriente lux“ – demnächst auch für die Kunst- und Kulturszene in Frankfurt!

Fotos: Erhard Metz

 

Comments are closed.