„La Fanciulla del West“ von Giacomo Puccini an der Oper Frankfurt
Verlorene Illusionen – Goldgräber ohne Zukunft – Lobgesang auf die Liebe
Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt
Ashley Holland (Jack Rance) und Eva-Maria Westbroek (Minnie); Foto © Monika Rittershaus
„… meine Begeisterung für den ‚Westen‘ lässt nicht nach, im Gegenteil! Ich denke darüber nach und bin gewiss, dass es eine zweite ‚Bohème‘ wird …“, das schrieb der Komponist Giacomo Puccini (1858 bis 1924) am 14. September 1907 in einem Brief (zitiert nach Programmheft). Knapp drei Jahre später ist die Oper „La Fanciulla del West“ (Das Mädchen aus dem Goldenen Westen) beendet. Mit Enrico Caruso als Bandit Ramerrez, Emmy Destinn als Minnie und am Pult Arturo Toscanini feierte sie 1910 an der New Yorker Metropolitan Opera (MET) ihre Uraufführung.
Eine zweite „Bohème“ (1896) wurde sie nicht, aber ein musikalisch interessantes Werk mit vielen Dissonanzen, fast experimentell anmutend, ohne einprägsame Melodien, sehr modern.
Komponist Arnold Schönberg schrieb an seinen Schüler Anton Webern: „Eine Partitur von durchaus originellem Klang. Prachtvoll. Jeder Takt überraschend. Ganz besondere Klänge. Keine Spur von Kitsch“ (zitiert nach Programmheft).
Eva-Maria Westbroek (Minnie) und Ensemble; Foto © Monika Rittershaus
Die Leidenschaft für den „Westen“, gemeint ist Kalifornien – San Francisco, verband den Italiener Puccini und den ursprünglich aus London stammenden David Belasco (1853 bis 1931), Autor des Schauspiels „The Girl of the Golden West“. Dessen Vater, Schauspieler in London, Spross einer Sepharden-Familie von der iberischen Halbinsel, und seine hochschwangere Frau versuchten ihr Glück als Goldgräber beziehungsweise Händler in Kalifornien, um ein Vermögen zu erlangen. Sohn David wurde kurz nach der Landung in San Francisco geboren. Die Familie hatte jedoch kein Goldgräber-Glück, wanderte später gen Norden an die amerikanisch-kanadische Grenze, wo sie aber auch kein Glück fand, kehrte wieder nach San Francisco und schliesslich 1865 nach England zurück. Sohn David brach als 27jähriger wieder in sein Geburtsland auf und wurde ein erfolgreicher Dramatiker, Regisseur und genialer Theaterproduzent.
Puccini und Belasco arbeiteten bereits bei der Oper „Madama Butterfly“ zusammen. Belascos Tragödie wurde zur Vorlage für die gleichnamige Oper.
Das Libretto von „La Fanciulla del West“ hat biografische und damit historische Züge. Die Geschichte, die erzählt wird, ist realistisch.
Heimweh ist die beherrschende Stimmung der Männer, die sich in der „Polka“ treffen, Minnies Saloon, wo sie Whisky trinken, Karten spielen, sich von der jungen Frau, die alle begehren, unterrichten und trösten lassen. Wer sich mit Weibern vergnügen will, geht zu Nina Micheltorena ins Bordell.
Minnie, die Wirtin der „Polka“, hat noch nie einen Mann geküsst. Sie ist nicht prüde, nicht bigott, ist aber religiös und von einem geradezu überhöhten Ideal von Liebe beseelt. Diese Liebe erlebte sie, so ihre Erzählung, bei ihren Eltern. Sie glaubt an die Liebe als tiefes Band in Freud und Leid zwischen Mann und Frau. So ist es zu verstehen, dass sie, obwohl sie von Dick Johnson alias Ramerrez dessen wahre Identität erfährt, ihn schützt, versteckt und ihn vor dem Lynchmord rettet. Ursprünglich kam der Bandit, um das Gold der Goldgräber zu stehlen, das Minnie für sie hütet. Die Geschichte endet versöhnlich, nicht blutig, in welcher der Opern Puccinis und Verdis ist das schon, obwohl sich die Situation am Ende dramatisch zuspitzt.
Minnie, die Reine, kämpft mit sich, ob sie Ramerrez retten soll und kann. Eine spannende Szene.
Eva-Maria Westbroek (Minnie) und Carlo Ventre (Dick Johnson alias Ramerrez); Foto © Monika Rittershaus
Begegnet war Minnie Ramerrez auf der Strasse. Ihre Blicke hatten sich getroffen, und sie waren beide in Liebe entflammt. Als Dick Johnson /Ramerrez den Saloon aufsucht, sind alle Männer dort, auch Sheriff Jack Rance, der Minnie mit eifersüchtigen Attacken verfolgt, sie sogar bedroht. Er entwickelt sofort eine Feindschaft und ein kriminalistisches Gespür gegenüber Dick Johnson, der als Gentleman auftritt.
Christof Loy, international sehr gefragter Regisseur, der, mehrfach „Regisseur des Jahres“, mit dem Theaterpreis „Der Faust“ und mit dem Laurence Olivier Award in London ausgezeichnet wurde, ist ein Meister psychologischer Führung. An der Oper Frankfurt begeisterte er unter anderem durch „Die Entführung aus dem Serail“ (2003) und zuletzt durch „Die Fledermaus“ (2011).
Auch in „La Fanciulla del West“, einer Produktion der Königlichen Oper Stockholm, die an der Frankfurter Oper wieder aufgefrischt wurde, ist diese Gabe des Einfühlungsvermögens, ja der Empathie mit den Figuren, zu spüren: bei den extrem emotionalen Männern, aber vor allem bei den drei Protagonisten Minnie, Ramerrez und Jack Race.
Zu Beginn, der Ouvertüre unterlegt, gibt es einen filmischen Vorspann: Minnie reitet durch die Prärie. Mir kam der neue Film „Gold“ mit Nina Hoss in den Sinn, in dem es auch um Einwanderer und Goldgräber geht. Minnie reitet im Filmspot aufs Opern-Publikum zu, durchsprengt den Papiervorhang und steht in Western-Look auf der Bühne. Ein toller Einfall, das Publikum applaudiert.
Christof Loy hatte eine fantastische Sängerin und fantastische Sänger zur Verfügung, die die Charaktere, keine monströsen Opernfiguren, sondern einfache, im positiven naive Menschen, glaubwürdig realisieren.
Allen voran Eva-Maria Westbroek, die in Minnie ihr ganzes Herzblut legt, sowohl sängerisch als auch schauspielerisch. Klar, präzise setzt sie ihre Töne an, schafft die Höhen mühelos und differenziert wunderbar mal zart, mal leidenschaftlich. Die Frankfurter kennen die an der MET, in London und überall auf der Welt gastierende Sängerin, die hier zuletzt die Sieglinde in „Die Walküre“ (2010) war.
Carlo Ventre (Dick Johnson alias Ramerrez), Eva-Maria Westbroek (Minnie) und Ashley Holland (Jack Rance); Foto © Monika Rittershaus
Carlos Ventre, international agierend, ständig in der Arena di Verona dabei (so auch in diesem Jahr), singt Dick Johnson alias Ramerrez. Begeisternd, wie er sich in Leidenschaft steigert, wie er seine Liebe gesteht. Bestes Belcanto. Auch kein Unbekannter an der Oper Frankfurt ist Ashley Holland, mehrfach ausgezeichnet, als Caligula ist er besonders in Erinnerung. Seinen ausgewogenen Bariton setzt er als wuchtiger Sheriff hetzend, eifersüchtig, aufstachelnd, gewalttätig ein. Für beide Herren ist es ein Rollendebüt, das sie überzeugend meistern.
Lang ist die Liste der Sänger, die den Chor ergänzen: genannt seien Peter Marsh, Alfred Reiter, Simon Bailey, Michael McCrowm, Bálint Szabo, Sungkon Kim, Hans-Jürgen Lazar, Beau Gibson, Nathaniel Webster, alle vortreffliche Solisten im Ensemble der Oper Frankfurt.
Eva-Maria Westbroek (Minnie); Foto © Monika Rittershaus
Christof Loy lässt die Oper in einem grossen Kasten-Bühnenbild (Herbert Murauer, auch Kostüme) spielen, das links in den Polka-Szenen eine kleine Abgrenzung hat. Es ist die ärmliche Stube von Minnie, in der sie manchmal sitzt, wenn die Männer im Saloon sind. Sie hört ihre Streitigkeiten, sie verfolgt das Geschehen um die Gefangennahme von Ramerrez und die Vorbereitungen zu seiner Hinrichtung. Dieser kleine Kasten bedrängt, nimmt die Freiheit in dieser Einöde. Minnie sprengt ihn. Das Bühnenbild mit seinen Video-Einspielungen vertieft die Geschichte, die der Regisseur nicht aktualisiert und die dennoch aktuell ist, auf eindrückliche Weise.
Last not least: Lob für das Frankfurter Opern-und Museumsorchester unter seinem Chef Sebastian Weigle, das einen musikalischen Hochgenuss präsentiert.
„La Fanciulla del West“, vom Hessischen Rundfunk im Programm hr 2 live übertragen, wurde vom Deutschlandfunk aufgezeichnet und wird am 1. Juni ab 19.05 Uhr gesendet.
Weitere Aufführungen an der Oper Frankfurt: 16., 19., 24. und 30. Mai, 2., 12. und 15. Juni, jeweils um 19.30 Uhr, und am 9. Juni um 15.30 Uhr mit kostenloser Betreuung von Kindern (3 bis 9 Jahre)