Das Frankfurter Nibelungen-Projekt 2010 / 2012
„Das Rheingold“ und „Die Walküre“
Von Renate Feyerbacher
Fotos: © Monika Rittershaus; Renate Feyerbacher
„Das Rheingold“ – Vorabend zum Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“
Die Oper Frankfurt, die Nummer Eins in Deutschland, hat mit der Inszenierung des Ring-Zyklus begonnen. Anfang Mai 2010 hatten „Das Rheingold“ Premiere, Anfang November „Die Walküre“. Ende Oktober 2011 sollen „Siegfried“ und im Januar 2012 „Götterdämmerung“ folgen. Für Juni 2012 und Januar / Februar 2013 sind zwei Ring-Zyklen geplant.
Der Anspruch und die Messlatte lagen hoch. 1985 haben Ruth Berghaus und Michael Gielen den Ring-Zyklus an der Oper Frankfurt realisiert – eine legendäre Produktion. 1994/1995 waren es Herbert Wernicke und Sylvain Cambreling.
„Das Rheingold“; unten v.l.n.r. Dietrich Volle (Donner), Barbara Zechmeister (Freia), Richard Cox (Froh), Martina Dike (Fricka), Terje Stensvold (Wotan), oben Statisterie der Oper Frankfurt
Aufbruch nach Walhall
„Leb wohl und grüsse die Lieben! – Heute floss mir das Rheingold bereits durch die Adern: muss es denn sein, und kann es nicht anders sein, so sollt Ihr denn ein Kunstwerk bekommen, das Euch Freude machen soll!“
Diesen Brief schrieb Richard Wagner (1813 bis 1883) an seinen Freund und späteren Schwiegervater, den Komponisten Franz Liszt, der in Weimar wirkte.
Die Idee zu drei Dramen mit einem Vorspiel kam ihm im Oktober 1851. Zuvor hatte er Jacob Grimm kennen gelernt und sich mit der Deutschen Mythologie beschäftigt. Erste Prosaskizzen entstehen 1852. In 13 Monaten liegt das gesamte Ring -Libretto vor, das er wenig später im Haus des Ehepaars Wille in Mariafeld bei Zürich vorliest und im Jahr darauf in einem Züricher Hotel. Die Resonanz ist gross.
1854 liegt die „Rheingold“ – Partitur vor, zwei Jahre später die der „Walküre“. Sofort beginnt er danach mit „Siegfried“. Die Arbeit wird jedoch zunächst eingestellt, und er widmet sich den Opern „Tristan und Isolde“ sowie „Die Meistersinger von Nürnberg“. 1862 werden erstmals Ausschnitte vom Vorspiel (Rheingold) und vom Ersten Tag (Walküre) gespielt.
Wanderleben
Ein Wanderleben führt der gebürtige Leipziger Richard Wagner. Stationen seines Lebens: Studium in seiner Geburtsstadt, Kindheit in Dresden, Chordirektor am Würzburger Theater, Musikdirektor in Magdeburg, Tätigkeit in Königsberg, in Riga, Flucht vor Gläubigern nach London in einem kleinen Boot bei stürmischer See, ein Ereignis, das ihn zum „Tannhäuser“ anregt, Paris-Aufenthalt, Berufung zum Königlich-Sächsischen Hofkapellmeister in Dresden, wo sein „Tannhäuser“ uraufgeführt wird.
1849 beteiligt sich Wagner am Dresdner Maiaufstand, der in Barrikadenkämpfe mündet. Er wird steckbrieflich gesucht – wie auch der Architekt Gottfried Semper – und flieht über Weimar (später „Lohengrin“-Premiere), Jena und Lindau nach Zürich. Hier entstehen seine ersten musiktheoretischen Schriften. Zürich musste Wagner schliesslich wegen einer Affäre mit der verheirateten Mathilde Wesendonck verlassen. Seine Ehe mit Minna lag auf Eis und scheiterte 1862 endgültig. Venedig war der nächste Fluchtort, den er aber auch wieder aus politischen Gründen aufgeben musste. Dann erlässt der Sächsische König eine Amnestie. Endlich kann Wagner in seine Heimat zurückkehren. Es folgen Konzerte in St. Petersburg, Moskau, Budapest, Prag, Wien. Cosima Liszt und Richard Wagner gestehen sich ihre Liebe – die Heirat folgt 1870. Beide fliehen kurz darauf vor den Steuerfahndern in die Schweiz. Aus dieser misslichen Lage befreit sie die grosszügige finanzielle Hilfe und Gunst des jungen bayrischen Königs Ludwig II.
1869 wird auf Befehl des Königs gegen Wagners Willen und Mitwirkung „Das Rheingold“ im Königlichen Hof- und Nationaltheater München uraufgeführt. Sieben Jahre später, 1876, werden mit dem kompletten Ring die ersten Bayreuther Festspiele eröffnet.
Die Vorgeschichte von „Rheingold“
Wotan opferte ein Auge, um aus der Weisheitsquelle zu trinken. Aus der Weltesche schnitt er einen Ast und schnitzte sich daraus einen Speer. Die darein geritzten Runen bezeichnen die Ordnung, die er der Welt gegeben hat. Wotan will die Welt gestalten. Das heisst, er will seinen Herrschaftsanspruch erweitern und festigen. Die von den Riesen erbaute Burg Walhall soll sein Hauptquartier sein. Wal, das sind im Germanischen die auf dem Schlachtfeld Gefallenen.
Die Musik repräsentiert Natur und den Rhein, der einst als Ursprungsort der Welt angesehen wurde. Er hat eine mythische Bedeutung. Mythos und Geschichte, Natur und Kultur verschmelzen in dem Werk.
Des Ringes Macht – an der Oper Frankfurt
Nahezu völlige Dunkelheit selbst im Orchestergraben. Schicht um Schicht baut sich die Musik des Vorspiels auf, zunächst in ruhigen, dann sich steigernd in immer heftiger werdenden Wellenbewegungen. Videoprojektionen mit wabernden, blubbernden, wogenden Bildern vom Spiel des Wassers begleiten die Klangbilder. Langsam schweben die drei Rheintöchter aus dem Wasserstrudel empor. Die vier Ringe der blauen „Wagner“-Scheibe, aus Sicht der alten Götter die Weltscheibe, rotieren spiralförmig. Das Spiel der drei Nixen mit Zwerg Alberich, dem Nibelung, beginnt.
Ein spannender Anfang, an Mythen und Märchen unserer Kindertage erinnernd. Schnell wird erkennbar, dass brutale Wirklichkeit hinter dem wagnerschen Gedanken steckt. „Ein Drama der Gegenwart und nicht eins aus ferner und sagenhafter Vorzeit“, wie George Bernard Shaw schrieb, zeichnet sich ab – ein „Kunstwerk“ mit sozialkritischem, humanitärem Hintergrund.
Katharina Magiera (Floßhilde), Britta Stallmeister (Woglinde), Jenny Carlstedt (Wellgunde), Jochen Schmeckenbecher (Alberich)
Handlung
Die drei Töchter des Rheins locken und verspotten Alberich, der wenigstens eine von ihnen verführen will. Die sexuellen Spiele der Flussjungfrauen sind verachtend, verletzend. Sie steigern sie derart, dass sie ihre Aufgabe vernachlässigen, nämlich das Rheingold zu bewachen. Sie plappern auch über dessen Zauberkraft: wer der Liebe entsagt, kann sich aus dem Gold einen Ring schmieden. Dem bis zur Weissglut gereizten Nibelung fällt es nicht schwer, die Liebe zu verfluchen und den Schatz zu rauben.
Musikbeispiel aus der soeben erschienenen CD-Produktion der Oper Frankfurt
(bitte anklicken; alle Rechte Oper Frankfurt / OehmsClassics Musikproduktion, München)
„Das Rheingold“ mit Katharina Magiera (Floßhilde), Britta Stallmeister (Woglinde), Jenny Carlstedt (Wellgunde), Jochen Schmeckenbecher (Alberich), Frankfurter Opern- und Museumsorchester – Dirigent Sebastian Weigle:
Vorspiel 1.Szene / 6
Alberich:
Spottet nur zu! Der Niblung naht eurem Spiel!
Rheintöchter:
Heia! Heia! Heiajahei!
Rettet euch! Es raset der Alb!
In den Wassern sprüht’s, wohin er springt:
Die Minne macht ihn verrückt!
Alberich:
Bangt euch noch nicht?
So buhlt nun im Finstern, feuchtes Gezücht!
Das Licht lösch’ ich euch aus
Entreisse dem Riff das Gold
Schmiede den rächenden Ring –
Denn hör‘ es die Flut:
so verfluch‘ ich die Liebe!
Aus dem Gold, das Alberich den drei Rheintöchtern stahl, schmiedet er sich den Ring, der masslose Macht verleiht, und zwingt seinen Bruder Mime, ihm eine Tarnkappe zu fertigen.
Derweil ist Gott Wotan in arger Bedrängnis. Er machte mit den Riesen, die ihm die Götterburg Walhall bauten, einen Vertrag: er versprach ihnen Freia, die Schwester seiner Frau Fricka, als Lohn. Wenn sie Freia jedoch weggeben, verlieren die Götter ihre ewige Jugend und ihre Macht. Wie kann Wotan diesen Vertrag, zu dem ihm Loge riet, brechen?
Loge erzählt ihm von Alberich, vom Rheingold, von der Tarnkappe und vom Ring. Alle Zuhörenden werden begierlich. Die Riesen wollen nun auf Freia verzichten, wenn sie den Schatz bekommen. Wotan und Loge steigen hinab in die Unterwelt zu den Nibelungen Alberich und Mime.
Durch List und brutale Folter sieht sich Alberich schliesslich gezwungen, den Ring, dem er seinen Fluch anhängt, dem machtgierigen Gott Wotan zu überlassen.
Kurt Streit (Loge), Jochen Schmeckenbecher (Alberich; liegend), Terje Stensvold (Wotan)
Mit Gold und Ring kauft Wotan Freia wieder frei, die er den Riesen als Pfand überlassen musste. Gold, Tarnkappe und Ring, alles begehren die Riesen, und schon wirkt der Fluch des Rings: Riese Fafner erschlägt seinen Bruder Fasolt.
Wotan – Alberich: Gegenspieler
Wotan kämpfte, um Macht zu gewinnen. Die „Freien“ band er durch Verträge, die Frieden versprachen, an sich. Aber Wotan ist wortbrüchig. Was er von seinen Untergebenen verlangt, will er für sich nicht gelten lassen. Arthur Schopenhauer spricht vom gebrochenen Vertrag, von der „vollkommensten Lüge“, die er sich zuschulden kommen lässt. Dadurch wird er angreifbar und schwächt seinen Machtanspruch. Sein Gegenspieler Alberich will Millionen zu Sklaven von Wenigen machen, der pure Kapitalismus.
Alberich und Wotan, die Einzigen, die von Anfang bis zum Ende das Geschehen beeinflussen, sie beide beginnen, die Natur zu vergewaltigen. Loge dagegen versucht zunächst vergeblich, sie zu retten. Er will den Rheintöchtern das Gold zurückgeben. Während die Götter in Walhall einziehen, erklingen die Klagerufe der Nixen um das verlorene Rheingold.
Eindrücke von Musik und Inszenierung
Vera Nemirova und Sebastian Weigle (Foto © Renate Feyerbacher)
Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle ist der uneingeschränkte Star des Abends. Die differenzierten Klangbilder der wagnerschen Musik werden eindringlich umgesetzt. Mit den durchdachten Bildern der Inszenierung von Vera Nemirova bilden sie eine überzeugende Einheit.
Ruhig, ohne Aktionismus bewegen sich die Figuren zur manchmal geradezu zelebrierten Musik. Allein sechs Harfen sind dabei, wunderbar intonieren die Hörner, die Fagotti, und und und … Wasser, Feuer, Erde, Luft werden sichtbar, spürbar, erlebbar. Diese vier Elemente haben die Regiearbeit gedanklich beeinflusst. Mit Wasser beginnt „Das Rheingold“, der erste Teil der Tetralogie, und mit dem Wasser in der „Götterdämmerung“ wird sie enden.
Kurt Streit singt Loge. Er ist der Liebling der Regisseurin. Er hat das Feuer. Witzig, schlau, akrobatisch, stimmlich klar realisiert er diesen einzig Freien der Handlung. Gierig, leidend, hasserfüllt, authentisch agiert Jochen Schmeckenbecher als Alberich, dessen Triebkraft die Regisseurin begeistert. Mitfühlend ist sie für Fasolt, den liebenden Riesen – gesungen von Alfred Reiter.
Unsicher, schwach, brutal, ausbeuterisch zeigt sich Gott Wotan, den Terje Stensvold grossartig singt und spielt. Stattlich ist seine Figur. Hilflos, gequält unterjocht zeigt sich Hans-Jürgen Lazar als Mime. Diese Fünf sind die sängerischen Stars des Abends. Sie alle überzeugen in ihrem Stimmfach. Nicht ganz so eindringlich die Frauen: Martina Dike als Fricka, Barbara Zechmeister als Freia – Ausnahme die Erda, wohlklingend intoniert durch Meredith Arwady, die wuchtig mit ihren Kindern inmitten auf der Scheibe thront.
Meredith Arwady (Erda), Terje Stensvold (Wotan), Kinderstatisterie der Oper Frankfurt
Sie beschwört Wotan, sich vom Ring zu trennen. Die Riesen beanspruchen ihn. Eine eindrucksvolle Szene, die von der Not der Natur kündet. Wotan scheint einsichtig, demütig.
Grossartig eingesetzt wird die „Wagner-Scheibe“, mittlerweile auch Frankfurter Scheibe genannt, unterstützt von interessanter Lichtregie und von Videoprojektionen (Bühnenbild: Jens Kilian, Licht: Olaf Winter, Video: Bibi Abel). Gekonnt wird sie bewegt von einem unterirdischen Helfertrupp. Ihr tiefes Blau, das den „Menschen in das Unendliche“ (Wassily Kandinsky) ruft, symbolisiert Naturkraft.
So spannend wie der Anfang bleibt es die ganze Handlung über, ein Krimi um Macht.
Alles bleibt im Fluss.
CD-Edition
Seit kurzem gibt es von dieser musikalisch aufregenden Inszenierung an der Oper Frankfurt eine CD-Edition von OehmsClassics Musikproduktion in München.
Ein Erlebnis. Man merkt ihr an, dass Sebastian Weigle Zeit hatte, sie mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester, das die Jahrestrophäe als bestes Orchester erhielt, zu erarbeiten. Die Bühnendramatik kommt überzeugend rüber. Dem hohen Anspruch werden alle Sängerinnen und Sänger gerecht. Die Texte sind gut zu verstehen.
Wer es nicht schafft, diesen Zyklus in der Oper Frankfurt zu erleben, der sollte sich diese Edition für 25,99 Euro gönnen. Das fast 140seitige Booklet in Deutsch und Englisch mit farbigen Fotografien von Monika Rittershaus liest sich gut und enthält manch Interessantes.
Editionen der weiteren Zyklus -Teile „Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ sind geplant mit dem bewährten Team.
„Die Walküre“ – der erste Tag des Bühnenfestspiels
Vater-Tochter- Konflikt
Es muss zuerst gesagt werden: eine Inszenierung aus einem Guss. Nur die Szene, als Soldaten Särge in eine Gruft tragen, bleibt fremd. Es sind tote Krieger, die nach Wotans Burg Walhall, Götterburg, aber auch ewiger Ruheort der auf dem Schlachtfeld Gefallenen, überführt werden. Ein direkter Zusammenhang zum Geschehen des Bühnenwerks erschliesst sich nicht. Ausdruck für die Verrohung der Götterwelt? Eine aktuelle Mahnung? Denn unser Land befindet sich im Krieg – allerdings weit entfernt von hier.
Ein bewährtes Team
Selten wurde das Familiendrama „Die Walküre“ – wie erwähnt der erste Tag des Bühnenfestspiels – psychologisch so spannend und ausgereift inszeniert.
Vera Nemirova ist die Regisseurin, die bereits „Das Rheingold“, den Vorabend des Bühnenfestspiels, in Szene setzte. Generalmusikdirektor Sebastian Weigle steht wieder am Pult, und Bühnenbildner Jens Kilian lässt die „Frankfurter Scheibe“ weiter drehen. Das Blau beim „Rheingold“ ist warmen Tönen gewichen.
Vergänglichkeit ist sichtbar. Erde, Wasser, Feuer, Luft, die Elemente sind präsent. Wasser bestimmte „Das Rheingold“. Mit Wasser in Sieglindes Händen beginnt „Die Walküre“, und sie endet im Feuer, das weiter lodern wird. Ingeborg Bernerth, die Kostümschöpferin, der Lichtgestalter Olaf Winter und die Videospezialistin Bibi Abel sind auch wieder dabei, ebenso Malte Krasting, der Dramaturg. Ein eingespieltes Team, das Besonderes geleistet hat.
Wotans verworrene Liebschaften
Wehwalt nennt sich Siegmund, als er seine Geschichte vom Vater Wolfe erzählt, dessen Haus gebrandschatzt wurde. Auch von der Ermordung der Mutter und der Entführung der Zwillingsschwester berichtet er. Das geschieht im Haus von Hunding, der mit Sieglinde verheiratet ist. Gerade vor diesem Hunding, düster interpretiert vom dem estnischen Bass Ain Anger, der erstmals in Frankfurt singt, ist er auf der Flucht. Siegmund ist in einer Falle, aus der ihn Sieglinde, die sofort in Liebe zu ihm entbrennt, rettet.
Sie zeigt, nachdem sie Hunding einen Schlaftrunk gab, das Schwert, das der unbekannte Greis, Wotan, einst in den Eschenstamm stieß. Sie ahnt, dass Siegmund der Mann ist, dem es zugedacht ist.
Eva-Maria Westbroek (Sieglinde) und Frank van Aken (Siegmund)
Hochkarätig ist die Besetzung. Ensemblemitglied Frank van Aken singt den Siegmund, seine Ehefrau Eva-Maria Westbroek die Sieglinde. Er sang die Rolle vor über zehn Jahren bereits in der Oper am Rhein in Düsseldorf/Duisburg, sie die Sieglinde unter anderem in Aix-en-Provence, bei den Salzburger Osterfestspielen, in Bayreuth und im nächsten Jahr an der Metropolitan Opera in New York. Beide kennen also die Partien gut. Beide sind eins mit ihren Figuren. Es ist ein Fest der Stimmen.
Wotan sieht in Siegmund den freien Helden, denn nur ein solcher könne den Ring des Nibelungen, der masslose Macht verleiht, zurückgewinnen. Fricka belehrt ihren Gatten eines Besseren. Da Siegmund Wotans Geschöpf sei, sei er im Handeln nicht frei. Wotan breche die Grundsätze des Rechts, wenn er die Geschwister-Ehe dulde. Ausserdem stehe ihre Autorität auf dem Spiel. Das schade auch ihm.
Terje Stensvold und Martina Dike gewährleisten als Götterpaar Wotan und Fricka Kontinuität. Beide können ihre Rollen in der „Walküre“ grossartig steigern. Stimmgewaltig droht Fricka als Bewahrerin der Ehe ihrem Mann, der den Inzest des Zwillingspaars Siegmund und Sieglinde duldet. Sie heizt ihm mächtig ein und verlangt den Tod von Siegmund, seinem Sohn, den er mit Wälse, einer sterblichen Frau, zeugte. Wotan beugt sich Fricka und gibt Brünnhilde, seiner Tochter aus der Verbindung mit Erda, den Befehl, Siegmund zu töten..
Martina Dike als Fricka ist grossartig.
Musikalische Elektrizität
Auf der Wand, vor der sich die erste Vater-Tochter Diskussion abspielt, ist eine Art Stammbaum aufgekritzelt. Da stehen unter anderem die Namen der acht Walküren. Es sind die gemeinsamen Töchter von Wotan und Fricka. Neue Namen kommen hinzu. Dem Zuschauer werden so die komplizierten Familienverhältnisse verständlich gemacht. Eine Patchwork-Familie. Eine schöne, hilfreiche Idee. Das Gespräch zwischen Vater und Tochter wird belebt durch diesen Einfall.
Susan Bullock (Brünnhilde) und Terje Stensvold (Wotan)
Wotan berichtet seiner Tochter von seinen Bemühungen, die Welt durch Verträge, an die er selbst nun gebunden ist, zu ordnen. Siegmund, der bestimmt war, Fafner, dem Riesen in Drachengestalt, den Ring zu entreissen, kann diesen Auftrag nicht ausführen. Nur ein Freier kann das und Siegmund ist nicht frei. Er wird von Wotan gelenkt. Wotan hat den Irrtum erkannt und befiehlt wie erwähnt Brünnhilde, Siegmund zu töten.
Susan Bullock, unvergesslich als Elektra an der Oper Frankfurt, ist eine zwiespältige Brünnhilde: einerseits selbstbewusst und kämpferisch, andererseits sich dem Willen des Vaters unterordnend, seine Strafe akzeptierend. Susan Bullock, die diese Rolle in letzter Zeit an den bedeutendsten Bühnen Europas und auch in Tokio sang, gibt dieser Rolle eine neue, eindrucksvolle Prägung.
Siegmund und Sieglinde sind auf der Flucht. Brünhilde verkündet ihm den Tod und fordert ihn auf, ihr nach Walhall, der Stätte für die toten Helden, zu folgen. Siegmund verweigert sich. Er will lieber mit Sieglinde sterben, als sie zu verlassen. Brünnhilde offenbart nun die Schwangerschaft von Sieglinde. Als Siegmund die Geliebte daraufhin töten will, gebietet sie Einhalt. Sie hat Mitleid und verschont Siegmund. Brünnhilde will, dass beide leben. Das schmutzige Geschäft der Ermordung des eigenen Sohns überlässt sie Wotan. Brünnhilde flieht mit Sieglinde.
Die Strafe
Von grosser Eindringlichkeit ist der Auftritt der acht Walküren im dritten Aufzug. Mit ihren Speeren bewaffnet, stehen sie hoch oben auf der Bühnenscheibe, unter ihnen die Gruft mit der Sargzeremonie. Vergeblich sucht Brünnhilde, auf der Flucht vor dem Vater, bei den Halbschwestern Hilfe. Aber sie streiten für sie beim Vater. Acht vorzügliche, junge Sängerinnen, die den Walkürenritt explosiv schildern, die ihren Vater beschwören, geradezu bedrängen, von der Strafe abzulassen. Eine eindringliche, eine emotional hoch aufgeladene Szene.
In der Bildmitte Terje Stensvold (Wotan) und Susan Bullock (Brünnhilde; mit kurzem roten Haar) sowie die Walküren
Der Vater-Tochter Konflikt erlebt einen spannungsgeladenen Höhepunkt: Wotan will Brünnhildes Bestrafung vollziehen. Die Strafe ist der Entzug der Göttlichkeit. Sie soll in wehrlosen Schlaf versetzt werden und dem erstbesten Mann als Frau zugetan sein. Das kann Brünnhilde, diese kämpferische Frau, nicht akzeptieren. Eindringlich verhandelt sie mit Wotan, ihrem Vater, schachert geradezu mit ihm, um die Strafe abzumildern. Sie weiss, dass sie sich vergangen, seinen Willen nicht respektiert hat, aber sie ist sich sicher, dass das, was sie tat, im Sinne Wotans gewesen ist. Sie bringt ihn dazu, die Strafe zu mildern: die Ungehorsame, die Abtrünnige wird schlafend mit einem Feuerring umgeben, den nur der Würdigste durchschreiten kann. Das wird Siegfried sein, das Kind von Siegmund und Sieglinde, Wotans Enkel.
Terje Stensvold (Wotan) und Susan Bullock (Brünnhilde; liegend)
Diese Szene ist von eminenter psychologischer Brisanz dank Terje Stensvold als Wotan und Susan Bullock als Brünnhilde. Wunderbar, wie differenziert Stensvold seinen Bass einsetzt, mal wohlklingend, mal beissend scharf. Und Bullock steigert fulminant ihren kühlen Sopran.
Wieder ist es ein musikalisches Ereignis, das das Frankfurter Opern- und Museumsorchester beschert. Dieser Klangkörper, der zum Orchester des Jahres gekürt wurde, fantastisch schon im „Rheingold“, setzt einen erneuten Höhepunkt. „Diese Musik ist wie Elektrizität“ hat Frank van Aken im Gespräch mit dem Dramaturgen Malte Krasting gesagt. Und so wird die wagnersche Musik mit dem Opern- und Museumsorchester Frankfurt unter Leitung von Sebastian Weigle erlebt.
Mit nimmer enden wollendem Beifall bedankt sich das Frankfurter Publikum für diesen aussergewöhnlichen Opernabend von Richard Wagners „Die Walküre“. Die junge Vera Nemirova freut sich.
Oper Frankfurt; nur noch am 28. November 2010 gibt es in dieser Saison eine Vorstellung.
⇒⇒⇒ Frankfurter Nibelungen-Projekt: Siegfried
⇒⇒⇒ Frankfurter Nibelungen-Projekt: Götterdämmerung
⇒⇒⇒ „Das Rheingold“ an der Berliner Staatsoper