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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Deutscher Theaterpreis DER FAUST 2011

Glanzvolle Festveranstaltung in der Oper Frankfurt

Text:   Renate Feyerbacher
Fotos: Renate Feyerbacher (11), © Mirjam Wählen / Schauspiel Frankfurt (2)

Die deutsche Theaterlandschaft ist einzigartig in der Welt. Nirgendwo werden so viele Bühnen bespielt. Aber sie ist auch gefährdet, weil kleineren und freien Theatern das Geld fehlt und sie von Schliessung bedroht sind.

Erst seit 2006 gibt es den Theaterpreis DER FAUST, der jenen Künstlerinnen und Künstlern verliehen wird, die in der vergangenen Spielzeit mit herausragenden Leistungen auf sich aufmerksam machten. Über 500 Vorschläge der deutschen Theater gab es, 24 Künstler vom Star bis zum Newcomer wurden nominiert, 20 Bühnen vom kleinen freien Theater bis zum weltberühmten Staatsballett gehörten dazu.

Die Theater schlagen vor. Es ist also ein Preis für ihre Künstlerinnen und Künstler. Jedoch darf es keine eigene Produktion  sein. Jeweils drei Kandidaten für die acht Kategorien wählt die Jury, Intendanten, Ballettdirektoren, Regisseure und andere Theaterschaffende, aus. Schliesslich stimmen die Mitglieder der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste über die Vorschläge schriftlich ab.

Veranstalter der Preisverleihung am 5. November 2011 in der Oper Frankfurt waren der Deutsche Bühnenverein, die Kulturstiftung der Länder, die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste sowie das Land Hessen.

Oper Frankfurt nach der Preisverleihung des FAUST(Foto: Renate Feyerbacher)

Die hessischen Nominierten

Allein aus Hessen kamen sechs Nominierte. Es waren die Schauspielerinnen Bettina Hoppe für ihre Rolle als Cäcilie in Goethes „Stella“ (Regie Andreas Kriegenburg) und Valery Tscheplanowa für ihre Darstellung der Maria Stuart im gleichnamigen Stück von Schiller (Regie Michael Thalheimer). Beide sind Ensemblemitglieder am Schauspiel Frankfurt. Es war schade, dass zwei so hervorragende Schauspielerinnen miteinander konkurrieren mussten.

Bettina Hoppe (Foto: Schauspiel Frankfurt, © Mirjam Wählen)

Valery Tscheplanowa (Foto: Schauspiel Frankfurt, © Mirjam Wählen)

Nominiert war die Sängerin Claudia Barainsky für die Titelpartie in „Medea“ von Aribert Reimann an der Oper Frankfurt.

Die Choreografin, Direktorin des Tanztheaters am Staatstheater Darmstadt, Mei Hong Lin, war nominiert für „Die Brautschminkerin“. Die Choreografien der Taiwanesin sind von eindrucksvoller Aussagekraft und haben gesellschaftkritischen Bezug. Für die Inszenierung und Choreografie der Lorca-Oper „Ainadamar“ 2008 von Osvaldo Golijov erhielt sie den Grammy Award. Eine aufwühlende, mahnende Produktion.

Stephan Thoss und Giuseppe Spota

Nominiert, aber diesmal nicht ausgezeichnet, wohl aber bereits FAUST-Preisträger 2007, war der Choreograf Stephan Thoss, seit vier Jahren Ballettdirektor am Wiesbadener Theater, der „Blaubarts Geheimnis“ choreografierte. Der 46jährige Leipziger gehört schon seit Jahren zu den bedeutendsten Choreografen Deutschlands.

Zu den hessischen Nominierten zählt auch Giuseppe Spota.  Er tanzt den Blaubart in der Thoss-Choreografie.

Acht der zehn Ausgezeichneten

Die Preisträger

Der Deutsche Theaterpreis ist undotiert. Die Preisvergabe erfolgt in acht Kategorien. Das sind:

1. Regie Schauspiel: Preisträger Regisseur Stephan Kimmig, Deutsches Theater Berlin für „Kinder der Sonne“ von Maxim Gorki

Auch ich war begeistert von dieser konzentrierten, klaren Inszenierung, die der Regisseur mit einem grossartigen Ensemble verwirklichen konnte. Dazu gehörten unter anderem Nina Hoss, Ulrich Matthes und die damals schwangere Katharina Schüttler.

Stephan Kimmig

2. Darstellerin/Darsteller Schauspiel: Preisträger Martin Wuttke, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin für seine Darstellung des Dr. J. Duval in „Schmeiss Dein Ego weg“ von René Pollesch.

Gegen Wuttke, als Tatort-Kommissar dem Fernsehpublikum bekannt, hatten die beiden Frankfurter Schauspielerinnen keine Chance. Die eigenartige Komik dieses Vollblut-Akteurs, die mich schon in Bertolt Brechts 1941 geschriebenem Stück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ 1995 am Berliner Ensemble faszinierte, wurde zu Recht ausgezeichnet.

Martin Wuttke mit Filmschauspielerin Hannelore Elsner

„Mit anarchischer Energie und groteskem Slapstick pflügt Wuttke durch den Text: Ein hysterisch fuchtelnder Verrückter, dem im Eifer die Stimme verrutscht“, heisst es im Nominierungs-Text. „Schmeiss Dein Ego weg“ ist ein typisches Pollesch’sches „Diskurs-Gebrabbel“, für das Wuttkes „Verrücktheit“ genau passt. „Mut zum Irrsinn“ ist die Parole. Bei Jacques Duval geht es um einen Typ, der nach 200 Jahren aus der Gefriertruhe steigt.

3. Regie Musiktheater: Preisträger Benedikt von Peter, Staatsoper Hannover für „Intolleranza 1960“ von Luigi Nono.

Dem Regisseur, so die Jury, ist die kühnsten je gesehenen „Intolleranza“-Aufführungen gelungen. „Unversehens wird spürbar, dass nichts von dem, was Nono thematisiert, historisch erledigt ist.“ Es geht um Gefangenschaft, Folter, Unterdrückung.

4. Sängerdarstellerin/Sängerdarsteller Musiktheater: Preisträgerin Claudia Barainsky, Oper Frankfurt / Koproduktion Wiener Staatsoper für „Medea“ von Aribert Reimann.

Die Oper hatte in der letzten Saison Premiere in Frankfurt. Die Uraufführung am 28. Februar 2010 in der Wiener Staatsoper wurde im Radio live übertragen. Musik und Interpretation elektrisierten. Das Wiener Publikum feierte den Komponisten und die Sängerin der Titelpartie stürmisch.

In Frankfurt wagte sich Claudia Barainsky an diese Rolle. Die international gefeierte Sopranistin, als „Sängerin des Jahres“ 2007 und mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet, präsentierte eine „interpretatorische Leistung von bemerkenswerter Intelligenz und Eigenständigkeit“. Beeindruckend, wie sie diese musikalisch schwierige Rolle – Reimann fordert mit einer kunstvollen Koloraturpartie heraus – auch schauspielerisch meisterte, den Schmerz der verzweifelten Mutter, die ihre Kinder zurücklassen soll, weil sie, die Fremde,  das Land verlassen muss. Von vokaler Subtilität, von filigraner Feinnervigkeit der Stimmführung ist die Rede. Zu Recht wurde die gebürtige Berlinerin mit dem Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnet.

Claudia Barainsky

5. Choreografie: Preisträger Christian Spuck, Theaterhaus Stuttgart Gauthier Dance / Koproduktion mit Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und Kooperation mit dem Theater Bonn, der Schauburg München und Achtfeld Berlin.

Christian Spuck war bereits zum zweiten Mal für den FAUST nominiert. Diesmal erhielt er ihn. Claudio Monteverdis Werk „L’incoronazione di Poppea“ (Die Krönung der Poppea) ist eine Oper und kein Tanzstück. Der Choreograf verwandelte das Werk in ein tänzerisches Experiment. Es gelang ihm, „Poppea //Poppea“ in Stuttgart, wie der kleine Filmausschnitt am Verleihungsabend zeigte, „wirkungsmächtig schlicht wie effektvoll und affektgeladen, eben schonungslos emotional“ zu realisieren.

6.  Darstellerin/Darsteller Tanz: Preisträger  Guiseppe Spota, Hessisches Staatstheater Wiesbaden, für seine Darstellung des Blaubart in „Blaubarts Geheimnis“ – Musik Henryk Górecki und Philip Glass.

Für diese Darstellung hatte Spota bereits beim 25. Internationalen Choreografen-Wettbewerb in Hannover den 2. Preis erhalten. Der junge Süditaliener, der in einem Zeitungsinterview erzählt, er habe heimlich zum Ballettunterricht gehen müssen, hat in Stuttgart seine ersten Erfolge verbuchen können. Seit einem Jahr gehört er zum Ensemble des Staatstheaters in Wiesbaden, wo er vom Publikum gefeiert wird.

Giuseppe Spota mit Preis

Spota gelingt es, die vielschichtigen Ebenen von Blaubarts Persönlichkeit zu verkörpern – „eine extreme Entwicklung, die Spota in makelloser Technik und zarter Eleganz vollendet“ (Nomierungs-Text). Am Ende schleppt sich der blutrünstige Schlossherr, der die Freundinnen tötet, nur Judith nicht, die sein Geheimnis lüftet, aber nicht aufgibt, zu ihr. Aus dem „harten Brocken“ ist alle Überlegenheit gewichen.

7.  Regie Kinder- und Jugendtheater: Preisträger Neco Çelik, Junge Oper Stuttgart, für „Gegen die Wand“ von Fatih Akin (gleichnamiger Film), Musik: Ludger Vollmers.

Dem Berliner Regisseur mit türkischen Wurzeln ist es gelungen, den gleichnamigen Film in Musiktheater umzusetzen, „weil Inhalt und Ästhetik sinnfällig zusammenwirken und die Oper hier eine Geschichte aus dem Deutschland von heute erzählt.“

8.   Ausstattung Kostüm/Bühne: Preisträger Johannes Schütz, Schauspiel Köln Bühne und Kostüme, für „Das Werk / Im Bus / Ein Sturz“ von Elfriede Jelinek.

Faszinierend, was da in dem kleinen Filmspot zu Jelineks Drei-Stücke-Abend – inszeniert von der mehrfach ausgezeichneten Regisseurin und Kölner Intendantin Karin Beier, die nach der Spielzeit 2012/2013 Chefin des Deutschen Schauspielhauses Hamburg wird – zu sehen war. Zunächst ist die Ausstattung unspektakulär, dann wird es turbulent mit dem Presslufthammer, um schliesslich im ständig rieselnden Sand- und Wasserbad zu enden. „Schütz ist wahrlich nicht der erste, der das Wasser auf die Bühne bringt – doch selten verband es sich so organisch und sinnvoll mit dem Spiel“.

In Jelineks Stück „Ein Sturz“ werden die Verantwortlichkeiten für den Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 belangt. Diese Produktion wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Johannes Schütz, der Bühnenbildner des verstorbenen Regisseurs Jürgen Gosch, der zu den bedeutendsten seines Fachs gehört, der viele internationale Auszeichnungen erhielt, bedankte sich schriftlich, weil er im Ausland weilte.

Zwei Sonderpreise wurden noch vergeben:

Stehend applaudierten die Gäste bei der FAUST-Preisverleihung minutenlang dem Regisseur Wolfgang Engel, der für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde.

Wolfgang Engel

1943 in Schwerin geboren, 1962 Abitur, aber zunächst ohne Studienplatz, begann als Bühnenarbeiter am Theater seiner Geburtsstadt. Das Theater liess ihn nicht mehr los. Ein Weg vom Schauspieler zum Regisseur zunächst an kleineren Bühnen, dann Dresdner Staatsschauspiel, nach der sogenannten Wende Schauspiel Frankfurt am Main unter der Intendanz von Peter Eschberg, komplizierte Jahre für ihn, und schliesslich von 1995 bis 2008 Intendant am Leipziger Stadttheater. Und er arbeitet immer noch an allen deutschen Bühnen. Furore machte er mit der Bühnenfassung von Uwe Tellkamps DDR-Roman „Der Turm“ im September 2010 in Dresden. Es war seine 100. Inszenierung.

„Immer neu und immer aufrecht“, so ist Wolfgang Engels Lebenswerk überschrieben. Seine Stärke war und ist es, aktuelle Bezüge herauszufinden. Im Oktober 1989, als sich die Situation in der DDR zuspitzt, geht er mit Theatermachern in Dresden auf die Strasse: „Meinungsfreiheit, Demonstrationsrecht, Versammlungsfreiheit“, so der Text ihres Spruchbandes. Die aktuelle Probenarbeit zu „Faust“ wurde abgebrochen, weil es Wichtigeres zu tun gab.

Erika Fischer-Lichte

Der Präsident des Bühnenvereins vergibt den FAUST- Theaterpreis für Leistungen, die im Theater herausragende Bedeutung haben.

Erika Fischer-Lichte wurde ausgezeichnet. Sie studierte in den 1960er Jahren an der Freien Universität Berlin Theaterwissenschaft, Germanistik, Slawistik – in diesem Fach wurde sie promoviert – und noch andere Fächer. 1973 wurde sie Professorin am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Frankfurter Universität, dreizehn Jahre später übernahm sie einen Lehrstuhl in Bayreuth, fünf Jahre später wurde sie Direktorin des Instituts für Theaterwissenschaften an der Mainzer Universität. Seit 1996 hat sie diese Aufgabe an der Freien Universität Berlin inne. Aber damit nicht genug. International ist sie auch aktiv und schreibt dicke Bücher über das Theater.

Über ihre Berliner Studienzeit im Fach Theaterwissenschaft sagt sie „… das war grauenvoll. Es gab keine vernünftigen Methoden. Die einen haben Anekdoten erzählt, andere mit dummem Geschwätz bramabasiert; es gab höchstens ein wenig positivistische Theatergeschichte: Man sammelte Fakten und vergass die  wichtigsten.“

So habe ich es in meinem Studium an der Kölner Universität auch empfunden. Da gab es zu viel Anekdotisches. Erika Fischer-Lichte betont auch die politische Belastung damaliger Professoren wie Heinz Kindermann in Wien und Hans Knudsen in Berlin, die einst überzeugte Nazis waren.

Es ist ihr Verdienst, die Theaterwissenschaft als Wissenschaft etabliert zu haben. „Es ist kein kleines Orchideenfach mehr … Theaterwissenschaft ist per definitionem ein interdisziplinäres Fach“. Schauspielkunst, Literatur, Musik, Fragen des Raumes, der Bildenden Kunst gehören dazu. Sie ist „keine intellektuelle Totengräberin des Theaters“ (Professor Klaus Zehelein, Präsident des Deutschen Bühnenvereins).

Ein grandioser Moderator war Michael Quast, der das Bühnenbild (Jens Kilian) der aktuellen „Siegfried“- Inszenierung (Vera Nemirova) mit einbezog: mal schreitend, mal turnend, gelegentlich unterstützt vom Salontanzorchester. „Deutscher geht es nicht.“

Berühmte Namen auch unter den Laudatorinnen und Laudatoren: Die Theater- und Filmschauspielerin Patrycia Ziolkowska – unter anderem Kriemhild in der Kölner „Nibelungen“-Inszenierung, Nominierung für den FAUST, Lotte in Fatih Akins preisgekröntem Film „Auf der anderen Seite“ – für Stephan Kimmig.

Der Theaterschauspieler, Comedystar und Tatort-Kommissar Matthias Matschke – für Martin Wuttke.

Die weltberühmte Sopranistin Christine Schäfer, eine Frankfurterin, die an der hiesigen Oper die Lucia sang, „Sängerin des Jahres“, auf allen internationalen Bühnen präsent –  für Benedikt von Peter.

Brigitte Fassbaender

Brigitte Fassbaender, eine der bedeutendsten Mezzosopranistinnen des 20. Jahrhunderts, ab 1995 Intendantin in Braunschweig, Innsbruck, Professorin. Hoch dekoriert mit dem „Pour le Mérite“ und dem Bundesverdienstkreuz – für Claudia Barainsky.

Christopher Roman, Mitglied der Forsythe Company, Choreograf, selbst FAUST-Preisträger 2009 – für Christian Spuck.

Die Filmschauspielerin Karoline Herfurth, unter anderem Mirabellenmädchen in Tom Tykwers Film „Das Parfüm“, als Lilli in Caroline Links Familiendrama „Im Winter ein Jahr“ –  für Giuseppe Spota.

Volker Ludwig

Volker Ludwig, der das Jugendtheater in den 1970ern wie kein anderer prägte, der das legendäre Grips Theater in Berlin gründete, der als Texter für „Sesamstrasse“, für „Scheibenwischer“ und vielem anderen arbeitete – für Neco Çelik.

In Hans-Christian Schmids Film „Requiem“ spielte Sandra Hüller eine an Epilepsie leidende junge Frau, die sich selbst vom Teufel besessen glaubt. Sie hielt die Laudatio für – Johannes Schütz.

Der Publizist, Herausgeber, emeritierte Professor für Literaturwissenschaft und Heiner Müllers Privatbibliothek verwaltende Frank Hörnigk – für Wolfgang Engel.

Last not least Klaus Zehelein, Theatermann, unter anderem von 1991 bis 2006 Intendant der Staatsoper Stuttgart, Professor, jetzt Präsident des Deutschen Bühnenvereins – für Erika Fischer-Lichte.

Danach wurde gefeiert.

 

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