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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Blick nach innen, Schritt nach draussen: Inge Kersting – Malerei

Von Erhard Metz

Geburt, Leben, Tod – dies seien, sagte Andreas Slominski, die Themen des Künstlers. Seine Themen jedenfalls.

„Inge Kersting – Malerei“ benennt Inge Kersting ihre neue, in Frankfurt am Main aber erste Ausstellung mit Gemälden. Ihre dort im Rahmen einer kleinen Auswahl gleich rechts am Eingang des Ausstellungsraums gehängte Arbeit zeigt eine Art „Gebärlandschaft“ – Sie haben richtig gelesen (und natürlich richtig gesehen) – einer Frau.

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Eine ungewöhnliche Darstellung, auch für jemanden, der schon mannigfach die verschiedensten weiblichen Akte hat betrachten können (und zuweilen „müssen“). Eine Arbeit, die uns auf den ersten Blick erschreckt: Aus leber- und nierenfarbigen Ovarien und Brüsten fliesst Blut – sofort kommt uns das nur schwer erträgliche Gedicht des expressionistischen Lyriker-Arztes Gottfried Benn „Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke“ in den verstörten Sinn.

Aber das Bild ist in seiner an naive Malerei erinnernden Anmutung zugleich von einer berührenden Lauterkeit, ja Reinheit, Schönheit. Selbst wenn, so wagen wir zu sagen, dieser Leib verkrebst wäre. So weicht der Schrecken, den der erste Eindruck erzeugt haben mag, einer gelösteren Betrachtung. Was auch für die folgenden Bilder gilt, die sich in ihrer behutsamen Darstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit von selbst erschliessen.

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Es sind die Fruchtbarkeit, der Beginn eines jeden Lebens, denen Inge Kersting in den zarten, pastellenen Farben ihrer in diesem Schaffensabschnitt bevorzugten Palette Ausdruck gibt. Auch in einer gewissen Rauschhaftigkeit. Vielleicht dürfen wir hier spekulieren, dass die Künstlerin dem Glück erst in einem fortgeschrittenen Lebensalter geschenkter Geburten ihrer heute erwachsenen Söhne nachspürt.

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Es sind das erstaunliche Prinzip der Zellteilung, das auch in unserer heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnis bis in alle Molekularbiologie hinein in seinem Ursprung und Sinn doch letztendlich kaum verstandene Wachstum der Zellen bis hin zum intelligenten Wesen, die die Künstlerin, in ihrer selbsterfahrenen eigenen Leiblichkeit, zu bewegen und zu faszinieren scheinen.

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Bilder also von Vitalität, Wachstum und Kraft, im Kleinen dem grossen „Urknall“ vielleicht vergleichbar.

Und es treten neue Motive hinzu: hier die Schlange. Jenes geheimnisvolle, im alten Ägypten als Gottheit verehrte, im antiken Griechenland heilige, im Orient Erleuchtung und Weisheit symbolisierende, noch heute den Äskulapstab zierende, am Anfang der biblischen Paradiesgeschichte jedoch als teuflisch-verführerisch gebrandmarkte und deshalb wohl in allen Jahrhunderten des Abendlandes von vielen Menschen bis heute sinnlos gefürchtete Wesen.

Ein lustiges, farbenfrohes, in manchen der früheren Bilder bereits erahnbares Schuppenkleid hat es angelegt, das Schlangenwesen. Und wir erkennen deutlicher, was uns Inge Kersting anvertraut hat und was schon in ihrem zu Anfang betrachteten „Schlüsselbild“ eine grosse Rolle spielt: das so unvergleichlich im Licht spielende, grünlich-türkis-bläuliche Wasser der Lagune von Venedig. Die Künstlerin hat es von Kindesbeinen an erlebt und geliebt. Und sehen wir nicht im obigen Bild mit der Schlange wahrhaftig den Canal Grande?

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Inge Kersting, 1949 im niedersächsischen Coppenbrügge geboren, studierte an der Universität Bonn Kunstpädagogik mit dem Staatsexamen als Abschluss. Anschliessend absolvierte sie an der Freien Universität Berlin und an der Universität Marburg ein Aufbaustudium der Heil- und Sonderpädagogik mit dem Schwerpunkt Kunst. Es folgten künstlerische, kunstpädagogische und kunsttherapeutische Tätigkeiten in verschiedenen Institutionen in Bonn, Berlin und Frankfurt am Main. In Berlin nahm Kersting an einer künstlerischen Weiterbildung im Atelier Kantstraße und im Atelier Tiergarten teil. Nach Frankfurt zurückgekehrt, setzte sie ihre Studien an der Abendschule der Staatlichen Hochschule für bildende Künste – Städelschule – bei den Dozenten Nino Pezzella und Michael Siegel fort.

Inge Kersting malt seit mehren Jahrzehnten, parallel zu ihrer beruflichen Arbeit, in der sie schwerbehinderte und schwersttraumatisierte Kinder und Jugendliche im Wege der Kunsttherapie betreute. Sie stellte ihre eigenen Gemälde (Acryl auf Leinwand in verschiedenen Formaten) in mehreren Gruppenausstellungen in Bonn und Berlin aus. Seit 2005 lebt und arbeitet sie als freischaffende Malerin in Frankfurt am Main.

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Und es geht in einer sich emanzipierenden Farbigkeit weiter: Die wachsenden Zellkerne von einst formen sich zu sehenden, die Welt beobachtenden Augen, noch vom schützenden Schuppenkleid der Schlangen umgeben.

Geburt und Leben – wir erinnern uns an Andreas Slominski. Der Tod möge sich, so hoffen es die Menschen, noch ein wenig Zeit lassen.

„Inge Kersting – Malerei“ im Kunstraum Lalibela, Klingerstrasse 2-4, 60313 Frankfurt am Main. Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag 13 bis 23 Uhr, Freitag und Samstag bis 24 Uhr. Weitere Informationen: Tel. 069/567843 und 069/293831. Die Ausstellung läuft bis zum 4. Dezember 2009.

(Abgebildete Werke © Inge Kersting; Fotos: Erhard Metz)

 

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