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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Michelangelos Maria der Petersdom-Pietà und Houdons „Winter“

Schwerlich nur können wir diese zwei herausragenden Meisterwerke der abendländischen Bildhauerkunst miteinander vergleichen: Michelangelo Buonarrotis Maria der Pietà im Petersdom und Jean-Antoine Houdons Allegorie des Winters. Aber jede dieser beiden Frauendarstellungen fasziniert uns immer wieder aufs neue. Und die eine will uns nicht aus dem Sinn weichen, wenn wir die andere betrachten.

Michelangelo gestaltet Maria – sie müsste beim Tod von Jesus doch bereits etwa um 5o Jahre alt gewesen sein – als eine jugendlich, ja mädchenhaft wirkende Frau. Sie ist von aussergewöhnlicher irdischer Anmut und Schönheit. Dabei verharrt sie in einer verinnerlichten, verklärten Trauer, einer in sich geborgenen Ergebenheit und Ruhe, weitab von pathetischem, vordergründigem Schmerz. Die Augenlider sind gesenkt, nicht ganz geschlossen; nur leicht geschlossen sind auch die Lippen. Ein Bild von grosser Schönheit und Innerlichkeit, von Demut und Akzeptanz des Geschehenen, geborgen in christlicher Heilserwartung, Heilsgewissheit.

Michelangelo, mit Leonardo da Vinci und Raffael der Grossmeister der italienischen Hochrenaissance, schuf in derem Geist eine idealschöne weibliche Gestalt von höchster Vollkommenheit und Harmonie. Der auf das Feinste bearbeitete Marmor ist hochglanzpoliert. Als einzige seiner Skulpturen hat Michelangelo die römische Pietà signiert, vielleicht deshalb, wie einerseits überliefert, weil man dem noch jungen Künstler die Urheberschaft an seinem frühen Meisterwerk streitig machen wollte; vielleicht – so interpretieren andere – aber als ein Zeichen dafür, dass er ihr eine besondere persönliche Bedeutung zumass. Wie wir der Kunstgeschichte entnehmen können, soll dieses einzigartige Werk unter manchen Zeitgenossen des Künstlers durchaus auch für einige Irritationen gesorgt haben.

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Michelangelo Buonarroti (1475 bis 1564), Pietà (Detail), 1499/1500, Marmor, Petersdom Rom; Bildnachweis: Stanislav Traykov, Edited version (cloned object out of background); wikimedia commons GFDL

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Jean-Antoine Houdon (1741-1828), Der Winter („Frileuse“), 1787 (Detail), Marmor, Höhe 145 cm; Musée Fabre, Montpellier; Foto: (c) Musée Fabre, Montpellier Agglommération – photographie Fréderic Jaulmes

Einiges des an Michelangelos Maria Beobachteten – nicht nur was die Irritationen mancher zeitgenössischen Betrachter anlangen mag – lässt sich auch für Jean-Antoine Houdons Allegorie „Der Winter“ („Frileuse“) feststellen. Houdon, mehr als zweieinhalb Jahrhunderte nach Michelangelo geboren, war ein Künstler und Protagonist der Aufklärung. Seine 1783 geschaffene Frileuse atmet gleichsam diesen neuen Geist.

Konnte seinerzeit von einer allegorischen Darstellung des Winters eher ein „alten Mann“ erwartet werden, so schuf Houdon, ähnlich wie Michelangelo, die Skulptur einer äusserst anmutigen, schönen jungen Frau.

Steht nicht aber die Bekleidung der Frileuse in einem sinnwidrigen Kontrast zur Jahreszeit des Winters? Nein, im Gegenteil: Die Frileuse fröstelt, friert, eben weil sie fast unbekleidet ist. Lediglich ihr Kopf, ihre Schultern und ihre Scham sind mit einem Tuch verhüllt, ihre übrige Gestalt vom Rücken an abwärts ist entblösst. Sie steht, mit verschränkten Armen das Tuch haltend, die Beine aneinander geschmiegt, mit nackten Füssen auf dem Boden. Der Betrachter der Aufklärung sollte sich in die Frierende hineinversetzen, die Skulptur ohne die in Mittelalter und Barock übliche Beigabe von Attributen unmittelbar aus seiner eigenen sinnlichen Wahrnehmung heraus verstehen können. Ein Attribut verbleibt jedoch bei der hocherotischen Darstellung der jungen Frileuse: der zerbrochene Krug, damals bekanntes Sinnbild für den Verlust der Jungfräulichkeit. Sinnbild zugleich für die zur Zeit der Aufklärung verbreiteten bürgerlichen Moralvorstellungen gegenüber den Ausschweifungen höfischen Lebens.

Auch bei Houdon steht der Winter für das Lebensende. So trägt das gesenkte Antlitz der Frierenden eine in sich gekehrte Trauer. Erotik und Verlust der Unschuld, Scham und Tod vereint der Künstler in seinem grandiosen Meisterwerk. Der Marmor ist fein geglättet, aber nicht glänzend poliert. Äusserlich ähnlich wie bei Michelangelos Maria ist der Blick der Frileuse gesenkt, sind ihre Augen und Lippen leicht geschlossen. Auch ihr Gestus strahlt Demut und Ergebenheit in das Schicksal, in die Endlichkeit des Lebens aus; nun aber im von kritischer Erkenntnis und Emanzipation bestimmten Geist der Aufklärung. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zwischen den beiden meisterlich gearbeiteten Figuren.

Abschliessend die beiden Kunstwerke in der Gesamtansicht:

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Jean-Antoine Houdon (1741 bis 1828), Der Winter („Frileuse“), 1787, Marmor, Höhe 145 cm, Musée Fabre, Montpellier; Foto: © Musée Fabre, Montpellier Agglommération – photographie Fréderic Jaulmes

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Michelangelo Buonarroti (1475 bis 1564), Pietà, 1499/1500, Marmor, Höhe 175 cm, Petersdom Rom; Bildnachweis: Stanislav Traykov, Edited version (cloned object out of background); wikimedia commons GFDL

Zu Michelangelos römischer Pietà müssen Sie sich in die Ewige Stadt begeben (was jeder Kunstliebhaber nur allzu gerne auf sich nehmen wird). Houdons „Der Winter“ können Sie derzeit im heimischen Frankfurt am Main besuchen: in der Jubiläumsausstellung zum 100. Geburtstag des Liebieghauses „Jean-Antoine Houdon: Die sinnliche Skulptur“.

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