Stadtgestaltung in Frankfurt: Ein Symposion gegen die „Verlotterung“
Das „urban future forum“ verhandelt die Behandlung des öffentlichen Raums
Von Uwe Kammann
„Optisch extrem gelungen“ findet Frankfurts Mobilitätsdezernent die Umgestaltung des Oeder Wegs in Frankfurt im Zuge der 2019 eingeleiteten „Mobilitätswende“. Erkennbar kaum jemand (besser: niemand?) aus dem Plenum hätte diesem Urteil beigepflichtet, als zum Auftakt eines Symposiums zu den Qualitäten des öffentlichen Raums ein Beispielfoto dieses städtischen Gestaltungsvermögens projiziert wurde. Mit der Kakophonie von Straßenkomponenten und -farben illustrierte es drastisch die Titel-Fragestellung: „Ästhetische Kapitulation des öffentlichen Raums oder dessen Rückgewinnung?“ Diesmal hatte das veranstaltende „urban future forum“ – eine Bürgerstiftung, die sich im Untertitel dezidiert der „Zukunft der europäischen Stadt“ widmet – also ein Fragezeichen gesetzt. Vor drei Jahren, damals noch als Online-Podium, klang es verhalten optimistischer: „Ästhetische Kapitulation des öffentlichen Raums und die Chance auf Verschönerung“.
Skyline im Hintergrund beim Symposion des urban future forum, Foto: Petra Kammann
Sind Illusionen verschwunden? Lässt das Sichtbare des Stadtbildes, das in Frankfurt an vielen Stellen zu erleben, zu erfahren oder in den Augen vieler nur noch zu erleiden ist, jegliche Hoffnung zerschellen? Worum es im Ziel geht, das umriss der Vorstandssprecher der Bürgerstiftung, der Architekt Prof. Helmut Kleine-Kraneburg, mit einigen Hauptstichworten zur „sinnlichen Gestaltung“ des uns alle umgebenden Raumes. Danach gehören dazu nicht nur die architektonischen und städtebaulichen Grundlinien der (europäischen) Stadt, sondern auch die „bedeutsamen Belanglosigkeiten“ (beispielsweise alle Elemente der Straßenmöblierung oder der Pflasterungen).
Vorstandssprecher des urban future forum: Architekt Helmut Kleine-Kraneburg, Foto: Petra Kammann
Dem schon Anfang der 60er Jahre erschienenen alarmierenden Negativ-Befund der Urban-Kritikerin Jane Jacobs (u.a. „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“) stellte er ein womöglich beispielgebendes Hoffnungszeichen zur Seite. Nämlich mit dem Hinweis auf die Stadt Zürich, die über eine Gestaltungssatzung versucht, den öffentlichen Raum „als Gesamtbauwerk erfahrbar“ zu machen; dies über so sorgsam wie sparsam ausgewählte Elemente („so wenige wie möglich“), mit der Generalmaxime „ruhig, offen, übersichtlich“. Das alles sei nicht zuletzt dem Ziel verpflichtet, „auch schön zu sein“ – schließlich sei der öffentliche Raum „das Gesicht einer Stadt“. Er fügte hinzu: Schönheit sei nicht einfach gleichzusetzen mit Harmonie.
Die Diskussionsrunde (v.l.): Christoph Mäckler, Melanie Nolte, Gabriele Eick, Ulrike Gaube, Frank Dievernich, Foto: Petra Kammann
Einen Abriss, wie Schönheit verstanden werden und was sie bedeuten kann, vermittelte dann in einem Impulsreferat der Vorstandssprecher der Polytechnischen Gesellschaft, Prof. Frank E. P. Dievernich (der Wirtschaftswissenschaftler war zuvor und bis 2022 Präsident der Frankfurt University of Applied Sciences). Seine Schlüsselthese: Schönheit kann heilen. Als aktuelles Beispiel berief er sich auf die Hauptfigur des neuen Wim-Wenders-Films „Perfect Days“, einen Toilettenreiniger, der sich im Betondschungel Tokios von der Schönheit des Himmels und der Bäume „berühren“ lasse. Das naturgebundene Hinschauen führe zu „magischen Momenten“, lasse den Menschen sich als „Teil eines größeren Ganzen“ empfinden („Verbindung zum Göttlichen“). „Natur erdet“, lautete eine weitere Dievernich-Formel. Doch die Orte für diese Erfahrungen schienen „weniger zu werden“, mit der Folge, dass „das Auge davonläuft“, eben, weil es das Unwirtliche nicht aushalte.
Aufmerksamkeit beim Vortrag von Prof. Frank Dievernich (v.r.): Stellv. Vorstandssprecher Jens-Jakob Happ, CMS-RA Jakob Steiff, Foto: Petra Kammann
Als Gegenmittel zu einer vorwiegend oder rein funktional gestalteten Umwelt plädierte er für eine Massenbewegung im Sinne einer „Schönheit für das Volk“, basierend auf einer „werteorientierten“ Gestaltung. Jeder trage das entsprechende Potential in sich („Menschen sind empfindsame Wesen“), doch gehöre zur Entfaltung eine ausreichende Bildungsgrundlage. Derzeit allerdings, da war Dievernichs Perspektive nüchtern, gebe es „keine Langzeitperspektive“, der Befund – gerade im Blick auf die Stadt als „sozialer Raum und soziales Lebenwesen“ – sei eindeutig: „Der öffentliche Raum ist verkommen“. Als Gegenbeispiel zu hiesigen digitalen Fluchten verwies er auf das Barcelona-Paradebild des zentralen Boulevards, der Ramblas, auf denen Menschen miteinander ins Gespräch kämen.
Sehnsuchtsgedanken in Richtung vermeintlich schönerer, anziehenderer südlicher Städte kamen auch in der anschließenden Podiumsdiskussion auf, befeuert durch die konkreten Blicke auf die Frankfurter Wirklichkeit. Deren administrativen (Ur-)Gründe erläuterte dabei in ernüchternder Weise Ulrike Gaube, Referentin im Mobilitätsdezernat der Stadt Frankfurt. Die studierte Stadtplanerin verwies auf den dauernden „Spagat zwischen Funktion und Rechtsanforderungen“, der alle Maßnahmen bestimme, welche mit den derzeitigen Gestaltungsformen verbunden seien – Maßnahmen, welche speziell auf verkehrliche Nutzungsveränderungen abzielten.
Prof. Mäckler, IHK-Vizepräsidentin Melanie Nolte, Moderatorin Gabriele Eick, Stadtplanerin Ulrike Gaube, Foto: Petra Kammann
Für Melanie Nolte, erklärte Frankfurt-begeisterte Vizepräsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK), sind die bisherigen Ergebnisse der Frankfurter Stadtpolitik nicht überzeugend, ganz im Gegenteil. Die Unternehmerin, die eine attraktive, eine schöne und saubere Stadt schon aus wirtschaftlichen Gründen für wichtig hält („wir brauchen Zuzug“), kommt zum harschen Gesamturteil: „Viele Plätze sind verkommen“. Ihr ideales Gegenbild ist die Altstadt-Architektur: „Leute wollen Altstädte sehen, davon können wir mehr gebrauchen“.
Plädiert für ein lebendiges Miteinander auf schönen Straßen: Prof. Mäckler, Foto: Petra Kammann
Der Architekt und Städteplaner Christoph Mäckler, mit vielen prägenden Bauten in Frankfurt vertreten (besonders prominent mit dem strahlend hellen Turm an der Alten Oper), verwies beim Stichwort Schönheit auf eine harte Realität bei deren Bewertung und Einstufung, nicht zuletzt durch den eigenen Berufsstand. Noch vor zehn, fünfzehn Jahren sei schon die bloße Erwähnung dieser Kategorie eine Provokation gewesen, sei man dafür in die „Retro-Ecke“ verbannt worden. Es habe eine reine „Funktions-Dominanz“ geherrscht. Als typisches Beispiel nannte er die Eschersheimer Landstraße. Sein Gegenwunsch – den er bereits vielfach ausformuliert hat, auch über die Thesen des von ihm geführten Instituts für Stadtbaukunst –: schöne, sorgfältig gestaltete Straßenräume für ein lebendiges Miteinander, in dem auch Autos in angemessener Weise ihren Platz haben. Sein Idealbild (erlebbar in Paris) skizzierte er so: „Ich flaniere auf dem Bürgersteig, sitze dann im Straßencafé und bewundere von dort einen vorüberfahrenden Ferrari“.
Ein Bild, das konträrer nicht sein könnte zu den derzeit praktizierten und vom Magistrat vorgegebenen Vorlieben des Mobilitätsdezernats in Frankfurt. Dessen sichtbarste Maßnahmen, die allenthalben aufgebrachten roten Fahrradstreifen und Kreuzungsteppiche, sieht er voller Abscheu: „Wie absurd ist das denn?“ Seine Vorstellungen – die kürzlich auf einer großen Städtebaukonferenz in Düsseldorf von vielen Architekten geteilt wurden – zielen auf Straßen, die, wie früher üblich, über Gegenverkehr und klar strukturierte Kreuzungen zu einer natürlichen Entschleunigung führen, die Vielfalt fördern, die zu ein geordnetes und erkennbares Erscheinungsbild erkennen lassen.
Prof. Frank Dievernich und Architekt Helmut Kleine-Kraneburg, Foto: Petra Kammann
Es brauche, so eine Quintessenz von Dievernichs Forderungen auf dem Podium, aber einen erkennbaren Willen der Stadt „zum großen Bild“, eine klare Zielvorstellung, begleitet von Dialogräumen. Zu alldem gehöre auch, gerade auch angesichts der Komplexität der Anforderungen und Aufgaben, eine grundlegend neue Organisation der Verwaltung.
Dass in dieser Hinsicht vieles im Argen liege, dass die jetzige Struktur zu einer „Verlotterung“ führe, beklagte Mäckler auf dem Podium generell. Ein beredtes Beispiel sieht er in den vorliegenden Plänen zur Umgestaltung des Schweizer Platzes: „Es gibt keinen Grund, diesen Platz zu verändern“. In der späteren Publikumsdiskussion griff ein Architekt diesen Punkt als exemplarisches Problem auf: Bei solchen Projekten und entsprechenden Wettbewerben seien vorrangig Verkehrs- und Landschaftsplaner einbezogen, nicht hingegen Architekten.
Mobilitätswende mit Modalfilter, Foto: Uwe Kammann
Ulrike Gaube verteidigte die Entscheidungen des Mobilitätsdezernats als funktional begründet, ausgehend vom „politischen Auftrag“, die Zielsetzungen des Radentscheids umzusetzen. Die noch vom Vorvorgänger des jetzigen Dezernenten ausgewählte rote Farbgebung solle fortgesetzt werden („nicht immer etwas anderes“), zudem bewege man sich in „Bestandsräumen“. Grundlegende Umgestaltungen hingegen erforderten Zeiträume von zehn bis fünfzehn Jahren.
An dieser Stelle setzte noch einmal Dievernich an, forderte bei der Gestaltung einen „Primat der Schönheit“ statt alleiniger funktionaler Setzungen (wie beim Radwege-Rot). Die Verantwortlichen in der Administration müssten auch vernehmlich „Nein“ sagen können. Allerdings, hier brachte er auch einen Begriff ins Spiel, der generell viele Verwaltungshandlungen bestimme und auch lähme: Wir seien eine „Sicherheitsgesellschaft“, die für alle Lebensbereiche genaueste Regelungen (auch für jeden denkbaren Einzelfall) vorsehe, als Rüstung für mögliche juristische Anfechtungen.
Platzgestaltung auf Frankforderisch, Foto: Uwe Kammann
Dass bei allem auch die „Zersplitterung von Zuständigkeiten“ im Spiel ist (diesen Problempunkt sprach die Moderatorin, Unternehmensberaterin Gabriele Eick, energisch an), sieht Ulrike Gaube nicht als Systemfehler. Nach ihrer Erfahrung arbeiteten alle beteiligten Stellen (federführend zusammengefasst im Tiefbauamt) mit Blick auf das beste gemeinsame Ergebnis zusammen. Allerdings: „Es gibt immer die Frage, ob die Menschen miteinander können.“ Grundsätzlich gelte, dass „nachgesteuert“ werden könne: „Lernen ist uns wichtig“. Später fügte sie hierzu (weil es dabei auch um Beteiligung geht) noch an: „Wir können nicht alle abholen.“
Für Mäckler ist der Punkt der Zersplitterung, der Aufteilung von Kompetenzen – und damit auch die stete Auseinandersetzung von widerstreitenden Interessen und Positionen – ein Grundübel, das zu den jetzigen beklagenswerten Ergebnissen des Stadtbilds führe. Man dürfe keinesfalls, wie jetzt, die Gestaltung des öffentlichen Raums den Verkehrsplanern überlassen. Vielmehr müsse es eine „Hoheit des Städtebaus“ geben. Es brauche einen verantwortlichen Kopf, der in Planungs- und Gestaltungsfragen bestimmen könne, „jemanden, der den Hut aufhat“.
Die frühere Oberbürgermeisterin Petra Roth meldet sich zu Wort, Foto: Petra Kammann
An dieser Stelle goss spontan die ehemalige Oberbürgermeisterin Petra Roth Wasser in den (gewünschten) Wein. In Frankfurt sei auch und selbst der OB nur „primus inter pares“, mit der Konsequenz: „Er kann nicht dirigieren“. Grundlage aller Planungen seien deshalb die Mehrheitsbeschlüsse des Magistrats. Aus dieser Bemerkung hörten manche der Teilnehmer im Publikum (der Konferenzsaal der gastgebenden Wirtschaftskanzlei CMS war bis auf den letzten Platz besetzt) eine dämpfende Relativierung aller Hoffnungen heraus, der konstatierten ästhetischen Verwahrlosung Frankfurts kraftvolle Gestaltungsvorgaben entgegenzusetzen. Eine Bestätigung des Fragezeichens beim Titel des Symposions, eine Ahnung, dass alles unweigerlich und schlussendlich auf eine Kapitulation zuläuft?
Ein Plenumsteilnehmer jedenfalls erntete zum Schluss Beifall, als er so temperamentvoll wie radikal konstatierte: „Verwaltung und Ästhetik, das schließt sich gegenseitig aus“. Und damit nicht genug, malte er noch einen für ihn wahrnehmbaren düsteren Hintergrund aus, nämlich „eine typische Frankfurter Selbstgefälligkeit“.
Schönheit aus der Ferne mit Lichtern einer Großstadt, Foto: Petra Kammann
Eine gerechte Bewertung? Allein die Wiederauflage des Symposions zur Gestaltung des öffentlichen Raums durch die Bürgerstiftung „urban future forum“ belegt, dass aus der Stadtgesellschaft Impulse kommen, um die zu Recht beklagten, mehr als misslichen Zustände der Stadtgestaltung in eine bessere Richtung zu lenken. Sprich: um qualitätsvolle, von den Bewohnern geschätzte öffentliche Räume zurückzugewinnen, besser wahrscheinlich: um sie überhaupt erst einmal zu gewinnen. Wozu auch ein Fazit der Veranstaltung vor drei Jahren gehört. Es lautet unmissverständlich: Um das Ziel zu erreichen, sei nicht nur die Politik gefragt. Sondern es komme auf alle und jeden an.