home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Starke Stücke  (20) – Wiederaufnahme von Premieren und Ausblick auf die Spielzeit 2021  bis Ende des Jahres

Es wird wieder gespielt!

von Renate Feyerbacher

Voller Zuversicht und Hoffnung  waren Intendant Anselm Weber und Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig, dass bald wieder ein normaler Spielbetrieb  wieder möglich sein wird. Hartwig lobte das vorbildliche Engagement der Mitarbeiter gegen Hass und Antisemitismus – Schwerpunktthema der letzten Saison–   sowie die erweiterte Öffnung des Hauses in die Stadtgesellschaft. Wie vor einem Jahr auf der Pressekonferenz hatte der Intendant  wieder seine Dramaturginnen und Dramaturgen das Programm für die kommende Spielzeit vorstellen lassen. 

Schauspiel Frankfurt – präsent in der U-Bahn, Foto: Renate Feyerbacher

Rückblick auf Stücke, die im Herbst 2020 Premiere hatten, aber abgesetzt werden mussten und nun wieder aufgenommen werden

„Andorra“ von  Max Frisch – Premiere 9.Oktober 2020

Das Stück des Schweizers Max Frisch wurde 1961 in Zürich uraufgeführt, wurde ein Jahr später in Frankfurt gezeigt. Der Name Andorra hat nichts mit dem gleichnamigen Kleinstaat zu tun, sondern dient,  laut Max Frisch, als Modell. 

Handelt es sich um Gedächtnistheater, Bewältigungsdramatik, Tragisches Missverständnis? Das Stück „Andorra“ über Judenfeindlichkeit, in dem weder Juden noch Nazis vorkommen, fokussiert auf die Alltäglichkeit des Judenhasses. Es verdeutlicht die Mechanismen, die zu Ausgrenzung und Menschenverachtung führen. Sie ist der Anfang aller Gewalt.

Andorra von Max Frisch, Regie: David Bösch, hier Nils Kreutinger, dahinter Sarah Grunert; Foto: Thomas Aurin /Schauspiel Frankfurt

Der Lehrer hat Andri als seinen Pflegesohn als Jud ausgegeben. In Wahrheit ist er sein leiblicher Sohn. Lebenslang hat der Lehrer, der ihn angeblich aufnahm, gelogen. Barblin, die er liebt – „Sie kann mich nicht lieben, ich selbst kann mich nicht lieben“ – kann er nicht heiraten, weil sie Halbgeschwister sind. Der Soldat sagt, Andri sei feige, der Wirt hält ihn nicht für geldgierig wie die anderen Juden auch. Andere wiederum sagen, er sei geil, gefühllos. Das glaubt er schließlich selbst. „Plötzlich bist Du so, wie sie sagen.“ Dann wird Andorra von den „Anderen“ überfallen und sie sagen, wer kein Jude sei, habe nichts zu befürchten. Andri ist kein Jude, aber jetzt will er einer sein.  


Der Regisseur David Bösch; Foto: Renate Feyerbacher                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       David Bösch, Regisseur des Stückes, ist ständiger Gast am Frankfurter Schauspiel. Seine Interpretation von „Räuber.Schuldenreich“ des gebürtigen Wieners Ewald Palmetshofer (September 2018) begeisterte. „Wie es Euch gefällt“ von William Shakespeare war seine letzte Corona-bedingte Inszenierung. (September 2020) Er hat „Andorra“, das er für ein starkes Stück hält, vorgeschlagen.

In zwölf Bildern schlüsselt Frisch die Entwicklung auf. Bösch hat das Stück dabei auf seine Kernaussage reduziert.Das hat ihm nicht geschadet und darstellerisch überzeugt es.

 Aus „Andorra“ sind nun 105 Minuten ohne Pause geworden. Die Rolle des Jemand, vor allem aber die der Mutter sind weggefallen. Sie ist Andris Stiefmutter. Die Senora, die von einem Stein erschlagen wird, als sie Andri sehen will, ist hingegen seine leibliche Mutter.

Premiere 3. Oktober 2020: „Mephisto“ nach dem Roman von Klaus Mann, für die Bühne bearbeitet von Claudia Bauer – Die Geschichte einer Karriere

Die Geschichte einer Karriere: Mephisto alias Mephistopheles ist die literarische Figur aus Johann Wolfgang von Goethes Drama „Faust“. Es heißt, die Rolle des Teufels habe Gustaf Gründgens (1899-1963) hunderte Mal gespielt. 

Der große Regisseur Max Reinhardt, der bis 1930 das Deutsche Theater leitete, hatte den Schauspieler nach Berlin geholt. Reinhardt war 1933 aus Deutschland geflüchtet.

1932 hatte Regisseur Lothar Müthel Gründgens mit der Rolle des Mephisto im Staatstheater am Berliner Gendarmenmarkt besetzt. Dort sah Hermann Göring ihn und war von ihm begeistert. Gründgens wurde zwischen 1937 bis 1945 Generalintendant in Berlin.

Mephisto wurde Gründgens Traumrolle, mit der er erst durch Deutschland und nach dem Krieg bis 1961 um die Welt tourte. 

Original-Schallplatten mit Gustaf Gründgens; Foto: Renate Feyerbacher

1954 brachte die Deutsche Grammophon sozusagen eine der ersten Hörbücher beziehungsweise Hör-Schallplatten heraus: Gustaf Gründgens Düsseldorfer „Faust“ –Inszenierung 1. Teil mit ihm als Mephisto, Paul Hartmann als Faust, Käthe Gold als Gretchen und Elisabeth Flickenschildt als Frau Marthe. Fünf Jahre später, 1959, folgte die Aufnahme der Hamburger Inszenierung des Faust“ der Tragödie zweiter Teil. Diesmal spielte Will Quadflieg die Rolle des Faust. 

Diese Hamburger Inszenierung wurde 1960 mit Gründgens, Will Quadflieg, Eva Büchi und Elisabeth Flickenschildt verfilmt. Gründgens wollte ursprünglich kein abgefilmtes Bühnentheater, was es schließlich doch hauptsächlich wurde, auch wenn die Kamera flexibel eingesetzt wurde.

„Mephisto“ lautet der Titel des Romans von Klaus Mann aus dem Jahr 1936. Da hatte der Autor Deutschland bereits verlassen und schrieb über den Intendanten und seine Karriere in der Nazizeit. Hendrik Höfgen nannte Klaus Mann ihn.„Alle Augen waren auf Hendrik Höfgen gerichtet. Alle bewunderten ihn. Er gehörte zur Macht.“

In den 20er Jahren hatten Klaus und seine Schwester Erika, beides Kinder von Thomas Mann, mit Gründgens Theater gespielt, so auch „Anja und Esther“ (1925). Klaus Manns Theaterstück, das mit dem Slogan „Dichterkinder spielen Theater“, Pamela Wedekind war auch dabei. Es wurde beworben und von der Kritik zerrissen, aber es brachte Gründgens, der Regie führte,  Aufmerksamkeit.

Er war zeitweise mit Erika Mann liiert. Gründgens, der, so hieß es, habe zunächst kommunistische Ideen gehabt, machte dann aber Karriere im NS-Reich. 1934 wurde er Intendant des Staatlichen Schauspielhauses in Berlin und er wurde zum  Staatsschauspieler ernannt. Bis 1945 blieb er General-Intendant der Preußischen Staatstheater, die Hermann Göring unterstanden, der ihn vor Joseph Goebbels „schützte“.

Gründgens blieb in Deutschland, während Klaus Mann, der emigrieren musste, seine ganze Wut in den Roman „Mephisto“ packte, den er aber nicht als Schlüsselroman verstanden wissen wollte, wie er in seiner Biografie schreibt.  Es sei ihm um Typen, nicht um Porträts gegangen, sondern um die opportunistischen Karrieristen. Und das war Gründgens zweifellos. Dennoch wurde das Buch nach dem Krieg sogar vom Bundesverfassungsgericht verboten. Das Verbot wurde erst 1981 wieder aufgehoben.

Die Charaktere sind satirisch, oft grotesk überzeichnet.  

Mephisto (Christoph Pütthoff) nah Klaus Mann,Sebastian Kuschmann, hinten: Fridolin Sandmeyer Mephisto mit Kopf , wie Marionette…; Foto: Arno Declair /Schauspiel Frankfurt

Mit dem Vorspiel 1936 beginnt der Roman. Zwei junge Diplomaten echauffieren sich über die horrenden Kosten des Balls, der in allen Räumen des Opernhauses stattfindet.„Ekelhaft, dass man den Rummel mitmachen muss.“

Nach dem Propagandaminister Goebbels, kam „der Dicke“, also Ministerpräsident Göring. „Man hatte Wetten darüber abgeschlossen, in welcher Fantasieuniform der Dicke, heute Abend erscheinen würde.[..] An diesem Gesicht war nichts Menschliches mehr. Es war aus rohem, ungeformtem Fleisch ein Klotz“, so Klaus Mann über Hermann Göring, der 1936 seinen 43, Geburtstag feierte.

Mit diesen turbulenten Feierlichkeiten beginnt der Theater-Abend. (Bühne: Andreas Auerbach – Kostüm: Vanessa Rust – Live-Video: Benjamin Lüdtke).

Es wurde allerdings nicht versucht, die Ballatmosphäre auf die Bühne zu bringen, sondern es gab nur Schilderungen, die jedoch ziemlich verwirrend sind wie auch die Videos. Musik und Licht helfen allerdings gelegentlich zu differenzieren. (Musik: Peer Baierlein, Licht: Marcel Heyde)

Es ist immer schwierig, einen Roman für die Bühne zu adaptieren, vor allen Dingen, wenn er so viele Personen einführt, von so vielen Geschehnissen erzählt wie Klaus Mann in seinem „Mephisto“. Daher ist es ratsam, den Roman vorher zu lesen.

Regisseurin Claudia Bauer, Foto: Renate Feyerbacher

Die renommierte Regisseurin Claudia Bauer – sie ist Hausregisseurin am Schauspiel Leipzig – gelingt es in der zweiten Hälfte, die Zügel anzuziehen und sich mehr auf die Figur von Hendrik Höfgen, den Intendanten, zu konzentrieren. 

„Was wollen die Menschen  von mir [..] Ich bin doch nur ein ganz gewöhnlicher Schauspieler“, ist der letzte Satz des Romans – ebenso im Theaterstück. Da liegt Höfgen nun, von Christoph Pütthoff dargestellt, wimmernd auf der Bühne. Er will doch nur Erfolg und machte sich zum Clown der Machthaber, der sie unterhalten will und so seine  Karriere vorantreibt. Manchmal kann man bei den Mickeymouse-Masken und Verkleidungen an Zirkus denken. Höfgen ist kein eleganter Schauspieler-Intendant. Er ist kein teuflischer, selbstbewusster Mephisto.

„Wo begann bei diesem Menschen das Falsche, und wo hörte es auf?“ grübelt Barbara, seine Frau. Freund Sebastian antwortet: „Er lügt immer und er lügt nie. Seine Falschheit ist seine Echtheit – es klingt kompliziert, aber es ist völlig einfach. Er glaubt alles und er glaubt nichts. Er ist ein Schauspieler.“

Am Ende zappelt Höfgen an Drähten wie eine Marionette. Der große Goldene Totenschädel à la Damien Hirst, Symbol für den Größenwahnsinn, für die Verkommenheit des Kulturbetriebs? Habe ich dieses Bühnenbild richtig verstanden?

Claudia Bauer will keinen Geschichtsunterricht. Sie denkt ans Jetzt. In der kleinen Runde der Journalisten betont sie, dass so etwas jederzeit passieren kann. Der Zuschauer soll sich seine Gedanken darüber machen, wie es ihm passieren könnte.

Schaupielerisch wurde es ein starker Abend, die Inszenierung war durchwachsen.

Premiere 20. Juni 2021 –  „Der Theatermacher“ von Thomas Bernhard

Der Theater#macher von Thomas Bernhard, Regie: Herbert Fritsch; hier: Wolfram Koch, Fridolin Sandmeyer, Anna Kubin, Sebastian Reiß, Tanja Merlin Graf; Foto: Thomas Aurin /Schauspiel Frankfurt

„Nirgendwo sonst  in dieser Menschheit ist die Verlogenheit größer und faszinierender als auf dem Theater.“ Ein typischer Satz des Nörgler-Autors.Seine Komödie, die 1984 bei den Salzburger-Festspielen uraufgeführt wurde, wird häufig  inszeniert.

Staatsschauspieler Bruscon reist mit Frau und zwei Kindern ins Dorf Utzbach, wo er sein Menschheits-Stück „Das Rad der Geschichte“ aufführen will. Er, der von Hybris beseelt ist, sich für den Größten hält, muss erfahren, dass nur 280 Leute in dem Dorf wohnen.

Es geht darum, dass am Ende der Aufführung die Notbeleuchtung ausgestellt werden soll. Das ist die Bedingung, dass gespielt wird. Er weiß, dass er die Feuerwehr mit dieser Forderung in Schwierigkeiten bringt. 

Bernhard erinnert damit an den „Notlicht-Skandal“, der 1972 im Landestheater Salzburg hochgespielt wurde. Regisseur Claus Peymann, in Frankfurt, in Wien und am Berliner Ensemble wohlbekannt, hatte sich gewünscht, dass bei der Uraufführung des Bernhard-Stückes „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ aus dramaturgischen Gründen für kurze Zeit das Licht komplett gelöscht wird – also auch die Notbeleuchtung. Dem wurde zugestanden. Bei der Generalprobe muss es stockfinster gewesen sein, aber bei der Premiere brannten wieder die kleinen Lampen. Die Künstler waren verärgert. Es hieß, ihre Leitungen brannten durch.

„Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht vertrage, komme auch ohne sein Schauspiel aus,“ hatte sich Thomas Bernhard geäußert. Es kam zu keiner weiteren Aufführung. Diesen Theaterskandal kostet Thomas Bernhard jetzt im „Theatermacher“ aus. 

Bruscon trickst, beziehungsweise erpresst. Die Feuerwehr von Utzbach ist bereit, die Notbeleuchtung abzustellen. Enttäuschung – sicher hätte Bruscon doch lieber den Skandal gehabt.

Dieser Theatermacher ist ein Ekel. Seine Frau und Tochter verhöhnt er, seinen Sohn tyrannisiert er und versucht es auch beim Wirt, seiner Frau und der Tochter. Aber die nehmen ihn auf den Arm.

Regisseur Herbert Fritsch, zunächst langjähriges Ensemblemitglied der Berliner Volksbühne (unter der Intendanz von Frank Castorf 1992-2017), seit vierzehn Jahren, Regisseur und Bühnenbildner, gestaltete zusammen mit Andrej Rutar die Bühne. Die Wände der holzgetäfelten Gaststube sind übersät mit Hirschgeweihen, der Raum vollbepackt mit Tischen und Stühlen, die ständig bewegt werden.

Der Clou der Aufführung ist das Loch im Boden mitten in der Gaststube. Der Wirt und seine Frauen treten gekonnt und bewusst, geradezu elegant in dieses Loch, anders der Theatermacher, der wie ein Tollpatsch reinfällt. Das Loch als Symbol der Bodenlosigkeit?

Ekel, Tollpatsch, Schwadroneur, Lebensuntertüchtiger, Vergesslicher, Prahler – diese Eigenschaften weiß Wolfram Koch als Theatermacher grandios zu bündeln. Ein Komödiant mit unglaublichem körperlichem Einsatz, eine wahre Freude. Ein grandioses Slapstick.

Die Familie hängt an seinen Lippen, lässt sich demütigen, hat auch Angst. Die Szene wie Bruscon Wasser trinkt und die andern hoffen, es ihm gleich tun zu können, aber leer ausgehen, ist meisterhaft inszeniert und gespielt. Sie ist wie ein Herzstück. Sie erklärt alles: sie wehren sich nicht, revoltieren nicht, stillen ihren Durst beim Zugucken.

Umgeben ist Wolfram Koch von einer großartigen Schauspieltruppe ,allen voran Fridolin Sandmeyer, der den nicht minder verrückten Sohn spielt. Sebastian  Kuschmann, der in der Oper „Inferno“ die Rolle des Dante sprach, ist ein pfiffiger Wirt, der mit dem Doppelgänger Sebastian Reiß ein witziges Spiel treibt. Auch die Frauen: Irina Wrona, Marta Kizyma, Anna Kubin, Tanja Merlin Graf ziehen eine tolle Show ab.

Ein Theaterabend der besonderen Art: lustig, aber mit viel Hintersinn.

Premiere 13. Juni 2021: „NSU 2.0“ Stückentwicklung Nura David Calis

NSU 2.0 – Ensemble, Foto: Jessica Schäfer / Schauspiel Frankfurt

Die Eltern des 1976 in Bielefeld geborenen Autors und Regisseurs Nura David Calis kamen aus der Türkei. Ausgezeichnet wurde Nuran David Calis 2006 als „Bester Nachwuchsregisseur“ beim Nestroy-Theaterpreis und mit dem Bayerischen Kunstförderpreis (Sparte Literatur).

Das Morden geht weiter, so ist das Kürzel „NSU 2.0“ zu verstehen. Die Frankfurter Anwältin, welche die Familie eines der Opfer im sogenannten NSU-Prozess – Nationalsozialistischen Untergrund – vertrat, erhielt nach Ende, des Verfahrens 2018 eine Morddrohung per Mail – unterzeichnet mit NSU 2.0. 

Wenig später wird der Kasseler Regierungspräsident ermordet. 2020 werden neun Menschen aus rassistischem Wahn in Hanau getötet. Die stabile Holztüre der Synagoge in Halle verhinderte ein Blutbad, aber zwei zufällig vorbeikommende Menschen wurden getötet.

Die Zahl der Droh-Mails an Politiker*innen, Kulturschaffende, Journalist*innen, Anwälte*innen, an Behörden und Schulen ist mittlerweile weit über hundert angestiegen.

Die Suche nach den oder dem Schreiber wurde intensiviert, aber das Resultat heißt immer wieder: es handelt sich um „Einzeltäter“. Aber die Täter sind nicht alleine unterwegs.

Theatermacher Nuran David Calis hat vor allem in Frankfurt recherchiert, hat mit den Betroffenen gesprochen und Gespräche mit Politikern’innen geführt, die Droh-Mails erhielten. 

Sieben, fünf Politikerinnen (Grüne, Linke), zwei Politiker (Grüner, SPD) kommen in der Dokumentation NSU 2.0 zu Wort. Diese Video-Statements sind ein starkes Gerüst der Aufführung. Und sie sind beklemmend.

Dramaturg Alexander Leiffheit hat den Autor nach Motiven und Vorgehen befragt, der sich, wie er sagt, „dokumentarisch auf archäologische Spurensuche“ begibt und Gedächtnisarbeit leisten will, „weil ich finde, dass nach 1990 Teile der neuen deutschen Geschichte, was nämlich die Migrationsgeschichte angeht und deren Verwerfungen und Konflikte, nicht so sichtbar sind, wie ich sie mir wünsche.“ (Programmheft). Die Opfer ebenso sichtbar machen wie die Täter, das ist seine Intention.

Die Schauspieler Torsten Flassig und Mark Tumba und die Schauspielerin Lotte Schubert erzählen im Programmheft über ihre erste Begegnung mit dem Autor, über den Beginn der Probenarbeit am 1. Februar 2021, bei der Material aus den NSU-Prozessen und anderen Quellen gelesen wurden. Es wurde gefilmt und alles mitgeschnitten. (Uraufführung des Films online am 14.Mai)

Für die Akteure war es ein Prozess der Selbstbefragung, der eigenen Positionsbestimmung und des gemeinsamen Denkens. Es geht nicht nur darum aufzuzeigen, was wann wo stattfand, sondern „[..] ein Gefühl von einer Situation, in der wir uns hier in Deutschland befinden, von Meinungen, die vielleicht verbreiteter sind, als man denkt, von einem rechten Netzwerk, das –  noch nicht einmal im Verborgenen – um uns herum existiert“, zu bekommen.

Die Drei müssen Texte sowohl von Tätern als auch von Opfern sprechen. Das verlangt auch vom Publikum volle Konzentration, von den Schauspielern sowieso, deren langwierige Auseinandersetzung mit dem Thema, ihre Betroffenheit echt und glaubwürdig auf die Bühne gebracht wird. „[..]ein Stückweit das eigene Selbstverständnis, das eigene Weltbild in Frage stellen“, so ihre Intention.

Man verlässt das Theater im Bewusstsein, es wird weiter gehen. „Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch.“ (Bertold Brecht: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“)

 

Fotowand in der U-Bahn Station am Willy Brandt Platz; Foto: Renate Feyerbacher

Weitere Premieren hat es im Juni, Juli gegeben: zum Beispiel die Stücke „Malina“ nach dem Roman von Ingeborg Bachmann, „Ode“ von Thomas Melle, die Uraufführung „Eternal Peace“ von Alexander Eisenach, alle in den Kammerspielen.

Die konzertante Aufführung von Lucia Ronchettis Oper „Inferno“ hatte das Publikum begeistert aufgenommen.

Bis auf „Inferno“ werden alle genannten Stücke in der kommenden Spielzeit wieder aufgeführt. Aus der Serie „Stimmen einer Stadt“ VII-IX“, die im September 2020 Premiere hatte, stehen „Alles ist groß“ von Zsuzsa Bánk und „Das Leben ist eine Kunst“ von Martin Mosebach auf dem Spielplan.

Ausblick bis Ende 2021

Jetzt hat das Schauspiel Sommerferien und wird ab dem 16. September wieder spielen. „Öl“  nach Upton Sinclair, „Nach Mitternacht“ frei nach Irmgard Keun, „Michael Kohlhaas“ nach Heinrich von Kleist, „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ von Witold Gombrowicz, „Neues Stück“ von Gerhild Steinbuch, „Das Gesicht des Bösen“ von Nils-Momme Stockmann und als Familienstück „Wickie und die starken Männer“ nach Runer Jonsson. Das sind die Premieren bis zum Ende des Jahres.

Informationen zu den Stücken im Jahr 2022 werden folgen. Jetzt kann man nur hoffen, dass eine 4. Corona-Welle nicht wieder einen Strich durch die Planung macht. Nach wie vor wird ein strenges Hygienekonzept gelten: Motto „Geimpft, genesen oder getestet“, Mundschutz, Abstand und Kontrolle am Eingang.

Am 10. September beginnt der Vorverkauf für Vorstellungen im September und Oktober und das Familienstück, das am 13. November Premiere hat.

www.schauspielfrankfurt.de

Comments are closed.