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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Städel zeigt bildmächtige Werke von Honoré Daumier (Teil 1)

Generöses Jubiläumsgeschenk des Mäzens Hans-Jürgen Hellwig an den Städelschen Museums-Verein

Von Hans-Bernd Heier

Anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Städelschen Museums-Vereins präsentiert das Städel Museum ab dem 24. Januar 2024 eine Ausstellung mit beeindruckenden Werken des französischen Künstlers Honoré Daumier. Sie sind Teil der herausragenden privaten Sammlung des Frankfurter Mäzens Hans-Jürgen Hellwig, die zu den bedeutendsten Daumier-Sammlungen außerhalb Frankreichs gehört: Das Städel Museum stellt eine Auswahl von rund 120 Werken aus Hellwigs Sammlung vor und macht sie erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich – viele von ihnen wurden noch nie ausgestellt. Als Jubiläumsschenkung geht die Kollektion vollständig im Juni 2024 an den Städelschen Museums-Verein und von diesem als Dauerleihgabe an das Städel Museum, das sie zukünftig bewahrt, erforscht und vermittelt.

Honoré Daumier „Le Passé – le présent – l’avenir“ (Die Vergangenheit – die Gegenwart – die Zukunft), 1834

„Die Privatsammlung des Mäzens Hans-Jürgen Hellwig besticht durch ihre einzigartige Qualität und bildet die ganze Breite des künstlerischen Gesamtwerks von Honoré Daumier ab“, so Astrid Reuter, Leiterin der Graphischen Sammlung bis 1800 am Städel Museum und Kuratorin der Ausstellung.

Der Sammler Hans-Jürgen Hellwig vor der Büste von Daumier, Foto: Petra Kammann

Der Bestand der Kollektion umfasst insgesamt rund 4.200 Lithografien und Holzstiche, 19 Zeichnungen, zwei Gemälde und 36 Bronzeplastiken.

„Équilibre européen“ (Europäisches Gleichgewicht), 1867

„Die Sammlung Hellwig ist als Jubiläumsschenkung an den Städelschen Museums-Verein und als Dauerleihgabe an uns eine unschätzbare Bereicherung unserer Sammlungsbestände. Sie wird das Städel Museum dauerhaft zu einem der wichtigsten Orte der Daumier-Forschung in Deutschland machen. Mit seiner außerordentlich großzügigen Schenkung schreibt er sich ein in die Geschichte des Mäzenatentums für das Städel, die mit dem Gründer Johann Friedrich Städel begann und bis heute vielfältig fortgeführt wird“.

Mit diesen Worten dankte Städel Direktor Philipp Demandt dem großzügigen Sammler und Mäzen. Für seine Verdienste in den Beziehungen zu Frankreich auf dem Gebiet der Kultur und der anwaltlichen Zusammenarbeit wurde Hellwig mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet.

Hans-Jürgen Hellwig bezeichnete er als einen „Sammler par excellence: leidenschaftlich, beharrlich, begeisterungsfähig und kenntnisreich. Es ist eine große Freude, dass wir seine exzellente Daumier-Sammlung in einer Auswahl als erste Ausstellung im neuen Jahr präsentieren können. Eine Schau, die für alle Besucher sinnliches Vergnügen bereithält, den Geist schärft und zur Auseinandersetzung mit Grundfragen unserer Zeit einlädt“.

Beim Presserundgang ein gefragter Interviewpartner – Hans-Jürgen Hellwig, Foto: Hans-Bernd Heier

Über mehrere Jahrzehnte hinweg hat der in Frankfurt lebende Anwalt Hellwig eine umfangreiche und höchst qualitätsvolle Daumier-Sammlung zusammengetragen. „Dass ich Daumier gesammelt habe, geht zurück auf meinen Vater und Konrad Adenauer“, schreibt Hellwig in dem exzellenten Katalog. Im Zentrum seines Interesses standen dabei von Anfang an die politischen Lithografien, in denen der Künstler die großen gesellschaftlichen Umbrüche im Frankreich des 19. Jahrhunderts, aber auch die inner- und außereuropäischen Konflikte thematisierte.

Besonders kostbar und von höchster Seltenheit sind vor allem die druckgrafischen Unikate im Bestand der Sammlung. Versehen mit handschriftlichen Legenden, Drucker- und Zensurvermerken bieten sie einen faszinierenden Einblick in den komplexen Veröffentlichungsprozess der Blätter in Zeiten der Zensur. Sie verdeutlichen damit über die rein künstlerische Leistung Daumiers hinaus auch die zeitgeschichtlichen Umstände ihrer Entstehung.

„L’Amateur d’estampes“ (Der Grafikliebhaber), um 1860–62

Die ehemalige Leiterin der Graphischen Sammlung des Städel Museums, Margret Stuffmann, hat mit ihrer Kennerschaft der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts Hellwig als Privatsammler begleitet. Lange habe er in Honoré Daumier lediglich den Karikaturisten des politischen Geschehens gesehen. Sie habe ihm die Augen für den Künstler Daumier geöffnet: für seine künstlerische Qualität, die in jeder einzelnen Lithografie liegt, für die Breite seines Schaffens, das alle Themen der menschlichen Existenz umfasst. „Auch zum Dank dafür soll meine Sammlung dem Städel Museum zukommen – als Schenkung zu meinen Lebzeiten an den Städelschen Museums-Verein.“

„La lecture du Charivari“ (Die Lektüre des Charivari), 1840

Honoré Daumier (1808–1879) gehört zu den größten Zeichnern Frankreichs. Als genauer Beobachter und streitbarer Zeitgenosse wurde er im politischen Paris des 19. Jahrhunderts vor allem mit seinen Karikaturen bekannt, die er für die Zeitungen „La Caricature“ und „Le Charivari“ schuf. Dabei machte sich der sozialkritische Künstler nicht nur Freunde, sondern geriet mehrmals in den Fokus der Justiz. Gefürchtet und geliebt wurde Daumier zum Gewissen einer von sozialen und politischen Umbrüchen und einem tiefgreifenden Wandel gekennzeichneten Epoche. „Sein Einsatz für republikanische und liberale Ideen, für die Presse- und Meinungsfreiheit, sein waches Interesse an modernen Neuerungen und sein kritischer, aber auch zutiefst menschlicher Blick auf die Umstände der Zeit werden in seinen Werken eindrücklich sichtbar“, betont Demandt.

„Ratapoil“, 1851 (Skulptur, Modell)

Daumier war ein so experimentierfreudiger wie vielseitiger Künstler. „Neben seinem druckgrafischen Œuvre schuf er auch Plastiken und ab Mitte der 1840er- Jahre eine zunehmende Zahl eigenständiger Zeichnungen und Gemälde, in denen sich die Ausdrucksstärke, Vielgestaltigkeit und der Erfindungsreichtum seiner Kunst zeigen“, so Astrid Reuter, „Sein Werk ist geprägt von seinem Anspruch einer kritischen Zeitgenossenschaft und erweist sich dabei zugleich immer wieder als zeitlos aktuell“. Auch in Künstlerkreisen wurde Daumier als Chronist einer äußerst bewegten Zeit geschätzt und früh gesammelt.

Honoré Daumier wurde 1808 in Marseille geboren, zog 1816 mit seiner Familie nach Paris, wo er zuerst Laufbursche für einen Gerichtsvollzieher und dann Buchhändlerlehrling war. Wohl durch Kontakte seines Vaters, eines literarisch ambitionierten Glasers, erhielt der künstlerisch begabte Honoré für kurze Zeit Zeichenunterricht bei dem Maler, Archäologen und Konservator Alexandre Lenoir. Auch besuchte er unabhängige Zeichenschulen wie die Académie Suisse, wo er sich unter anderem dem Aktstudium widmete. Von Bedeutung für die herausragende Lichtführung und Körpersprache seiner Darstellungen sollten laut Reuter jedoch vor allem seine häufigen Besuche im Musée du Louvre werden. Erste Lithografien entstanden in den 1820er-Jahren.

„Robert Macaire Boursier“ (Robert Macaire, Stockbroker), Album Caricaturana, 1838

Bereits in seinen frühen Werken der 1830er-Jahre erwies sich Honoré Daumier mit seinem Einsatz für Meinungs- und Pressefreiheit als scharfer Kritiker der Juli-Monarchie von König Louis-Philippe. Die zunehmend restriktiven Zensurbestimmungen führten zu Verboten und Strafen, von denen auch Daumier betroffen war. Nach Verschärfung der Zensur 1835 publizierte die Zeitschrift Charivari bis zur Februarrevolution 1848 vor allem politisch unverfänglichere Genrekarikaturen.

Diese humorigen Alltagsschilderungen sind satirische Betrachtungen des sozialen Lebens. Dabei erforschte und analysierte Daumier das Pariser Kleinbürgertum. Unter seinen Erfindungen ragt insbesondere der Börsenmakler Robert Macaire in seiner schillernden Vielgestaltigkeit heraus. Wie kaum eine andere Figur verkörpert er das rücksichtslose Gewinnstreben der wirtschaftsliberalen Juli-Monarchie. Und mit seinem „Ratapoil“ schuf Daumier eine andere Figur, die sich als Mischung aus hinterhältigem Provokateur und gewalttätigem Grobian erweist. Dieser steht für das Schlägerkommando aus zwielichtigen Gestalten, das der König 1849 ins Leben gerufen hatte, um seine Macht zu festigen.

„Madame déménage!“ (Madame zieht um!), 1867

Die Vielfalt der von Daumier in seinen gesellschaftskritischen Karikaturen behandelten Themen ist enorm und berührt viele verschiedene Lebensbereiche, wie zum Beispiel die Auswirkungen des industriellen und technischen Fortschritts, denen er sich nachdrücklich widmete: etwa der Eisenbahn, der Erfindung der Fotografie, dem Zeitungswesen, der Weltausstellungen oder dem Pariser Städtebau unter  griff er in seinen ausdrucksstarken Arbeiten auf.

Mit der Abmilderung der Pressegesetze 1868 erweiterte sich sein Arbeitsfeld noch einmal maßgeblich. Nach zahlreichen politischen Umbrüchen erlebte Daumier, der lebenslang für republikanisches, liberales Denken einstand, 1870 die Ausrufung der Republik und damit das Ende der Herrschaft Napoleons III. Mit seiner Darstellung der sterbenden Monarchie verabschiedete sich Daumier nach über 40 Jahren künstlerischer Tätigkeit für die Presse von der politischen Bühne.

Die äußerst sehenswerte Ausstellung „Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig“, die durch den Städelschen Museums Verein e.V. gefördert wird, ist bis zum 12. Mai 2024 im Städel Museum zu sehen.

Weitere Informationen unter:

www.staedelmuseum.de 

Mit dem kostenlosen Audioguide können Besucherinnen und Besucher Grafiken und Zeichnungen des französischen Künstlers kostenlos erleben und mehr über die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe im Frankreich des 19. Jahrhunderts erfahren, die heute erstaunlich aktuell erscheinen.

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