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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Jubiläumsprogramm – Gauthier dance mit „15 Years Alive“ im Leverkusener Forum

Ansteckende Lebensfreude pur

von Simone Hamm

Als Eric Gauthier vor fünfzehn Jahren ausgerechnet in Stuttgart „Gauthier Dance“  gründete, glaubte keiner, dass hier neben dem großen Stuttgarter Ballett eine zweite Ballettkompanie bestehen könnte. Gauthier wollte sowohl dem neoklassischen Ballett als auch dem von ihm als zu ernst empfundenen Tanztheater etwas entgegensetzen, wollte ein Publikum gewinnen, dass nicht ballettaffin war. Er ging aus dem Theatersaal raus in Schulen, Krankenhäuser, Pflegestätten. Er rief zu Flashmobs auf und hunderte tanzten auf Stuttgarts Straßen. „Gauthier Dance“ ist Kult.

 Fifteen Years alive / Gauthier dance, hier: Minus 16 von Ohad Nahrain, Foto: Jeanette Bak 

„15 Year Alive“ nennt Gauthier das Jubiläumsprogramm, mit dem er durch Deutschland tourt – in stets ausverkauften Theatern. Auch das fast 1000 Besucher fassende Forum in Leverkusen ist bis auf den letzten Platz besetzt. Gauthier Dance zeigen fünf ihrer besten Stücke und zwei Tanzfilme, die Hofesh Shechter und Marco Goecke gedreht haben.

In Mauro Bigonzettis Choreografie „Pression“ zur radikalen Geräuschmusik von Helmut Lachenmann und Franz Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ verschränken die beiden Tänzer ihre Gliedmassen, aus zwei Tänzern wird ein einziges seltsames, kriechendes, springendes Wesen, wird ein Insekt, eine Skulptur. Dann springen zwei Tänzerinnen herein, amazonengleich.

In Hofesh Shechters Film „Return“ holt ein Tänzer seine tote Partnerin aus dem Leichenhaus, hält sie in den Armen, bewegt sich mit ihr. Und ihnen gelingt etwas Unglaubliches: Sie schaffen einen Totentanz, der das Leben feiert.

Shori Yamamoto tanzt das „ABC“. Choreograf Eric Gauthier gibt ihm die Anweisungen dazu, sagt, was er tanzen soll: von A wie Arabesque über B wie Breakdance bis V für die Klassiker Giselle, Le Corsaire, La Sylphide und Don Quixote. Gauthier kennt seine Klassiker wie auch die die berühmten Tanztheaterchoreografien. Bei P wie Pina zieht Yamamoto an einer imaginären Zigarette. „ABC“ ist witzig, doch anspruchsvoll und sehr schnell.

Alejandro Cerrudo tanzte zur selben Zeit wie Eric Gauthier beim Stuttgarter Ballett. In seiner Choreografie „PacoPepePluto“ spreizen drei fast nackte Männer ihre Beine und Arme. Cerrudo hatte aus sein Fenster in das gegenüberlegnen Haus geguckt und einen nackten Mann tanzen sehen. Das inspirierte ihn zu seinem ebenso erotisch wie spaßigem Ballett.

In Marco Goeckes Film „Rats“ weht Herbstlaub durch die leeren Gänge eines verlassenen Hotels, das schon bessere Tage erlebt hat. Tänzer bewegen sich langsam durch holzgetäfelte Räume. Schnelle Schnitte, Zooms auf traurige Gesichter.

Itzik Galilis „The Sofa“, Foto: Jeannette Bak / Gauthier dance

In Itzik Galilis „The Sofa“ wirft sich ein Mann auf eine junge Frau. Vergeblich versucht sie, sich gegen den Macho zu wehren. Das gelbe Sofa kippt um und jetzt sitzt der Mann einem andere Mann gegenüber wird von diesem genauso respektlos behandelt und übergriffig betatscht, befingert, wie er selbst zuvor die Frau befingert hat. Dazu singt Tom Waits „Nobody“. Wunderbar.

Nach der Pause dann der israelische Klassiker Minus 16 von Ohad Nahrain. Nahrains Signaturstück. Zu einem Mix aus Mambo, Vivaldi, jaulender E-Gitarre. Mit der berühmten Stuhlkreispassage. Die Tänzer und Tänzerinnen tragen schwarze Anzüge und Hüte, weiße Hemden. Zum rhythmischen  jüdischen Passach Lied „Echad mi Yodea“ werfen sie nacheinander, auf den Stühlen sitzend, ihre Körper nach hinten, ein irrsinniger, sich stets bewegender, drehender Kreis. Einer springt auf, einer fällt. Immer und immer wieder. Alle springen auf die Stühle. Sie reißen sich die Hüte vom Kopf, die Anzugjacken und Hemden vom Leib, sie werfen die Schuhe in die Mitte.

Das ist unglaublich mitreißend. Und dann holen die Tänzer und Tänzerinnen Zuschauer auf die Bühne. Die lassen sich anstecken und tanzen ausgelassen mit ihnen. Nichts daran ist peinlich. Im Gegenteil. Ohad Nahrain zeigt pure Lebensfreude. Nichts scheint wichtiger in diesen dunklen Tagen.

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