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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Prinz von Homburg in einer Inszenierung von Jette Steckel an der Berliner Schaubühne

Schwarze Reiter im Sturm

von Simone Hamm

Schwarze Sandsäcke, zu einer hohen, schiefen Ebene aufgerichtet. Davor Menschen, die ihre Zivilkleidung ausziehen und Uniformen an. Dann zwei Soldaten auf eben diesem Hügel aus Sandsäcken aus schwarzem Plastik. Der eine in einem schwarz-weißen, der andere in einem roten Tarnanzug. Sie stehen einander gegenüber, der eine schießt auf den anderen. Lautes Röcheln, Stöhnen. Todeskampf. „Stirb“, schreit der Schütze in Rot den anderen an.

Prinz Friedrich von Homburg in der Inszenierung an der Schaubühne, Regie: Jette Steckel:© Armin Smailovic_

Der Angeschossene blutet immer stärker, dann fallen die beiden übereinander her, würgen sich. Der schwerverletzte Soldat reicht dem anderen ein Messer, damit er ihn von seinem Leiden erlöst. So beginnt Jette Steckels Inszenierung des „Prinz von Homburg“ an der Schaubühne. Es war das letzte Drama von Kleist, 1809/10 verfasst, uraufgeführt erst nach seinem Tode 1821.

Bei Jette Steckel ist der Prinz von Homburg (Renato Schuch) kein Träumer, sondern ein Traumatisierter. Deshalb setzt er sich auch nicht den Lorbeerkranz auf den Kopf wie in der Kleist’schen Schlafwandlerszene, sondern einen Kranz aus dem Patronengürtel, den er dem von ihm getöteten Soldaten abgenommen hat.

Er wird in die Schlacht gegen die Schweden ziehen – ohne den Befehl vom Fürsten dazu erhalten zu haben. Er hat ihm gar nicht zugehört, ist in Gedanken bei seiner Nichte Nathalie, der Prinzessin von Oranien (Alina Vimbai Strähler), in die er verliebt ist. Der Prinz von Homburg wird siegen, gilt aber als Befehlsverweigerer. Darauf steht die Todesstrafe.

An der Schaubühne sind alle sieben Schauspieler und Schauspielerinnen Soldaten, tragen Tarnanzüge, bisweilen einen schwarzen Mantel oder ein Paillettentuch darüber. Der Prinz von Homburg spielt ausschließlich auf den Sandsäcken. Sie sind Schützengraben und Schlachtfeld zugleich. Den ganzen Abend über stöhnen die Soldaten laut in die Mikrofone, dröhnend laut knattern die Gewehrsalven und die Hubschrauberblätter.

„Prinz Friedrich von Homburg“ an der Schaubühne, Regie: Jette Steckel, Renato Schuch © Armin Smailovic

Rauchwolken steigen auf, und während die Soldaten im perfekt gesetzten Licht töten und sterben und über die Sandsäcke rutschen und durch die  Luft fliegen, ist Musik zu hören. Etwa eine Coversion von David Bowies „Let’s Dance“.

Seitdem in „Apocalypse Now“ von dem Song „This is the End“ von den Doors das Töten untermalt worden ist, verbietet sich die Kombination von Doors und Krieg eigentlich. Sie ist einfach zu abgedroschen. Doch bei Jette Steckel steht die Kurfürstin (Stephanie Eid) ganz oben auf den Sandsäcken im schneidenden Gegenlicht und exerziert mit einem Gewehr. Dazu: „Riders in the Storm“ von den Doors. Diese Ästhetisierung des Krieges hält Steckel den ganzen Abend durch.

Eine fragliche Sache, zu einem Zeitpunkt, in dem jeden Abend in der Tagesschau die Bilder schrecklicher, realer Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen zu sehen sind.

Zudem wirkt das nicht immer überzeugend, manchmal fast kitschig, wenn der Prinz von Homburg als leidender Christus dargestellt wird, wenn ihn die Kurfürstin in die Arme und auf den Schoß nimmt und sie Michelangelos Pietà nachstellen. Wenn er in der Szene, in der er aus dem Kerker befreit wird, kopfüber über der Bühne hängt und dann von seiner Nichte Nathalie abgenommen wird wie Jesus vom Kreuz. Mehr Pathos geht kaum.

Die wesentlichen Fragen, die im Prinz von Homburg gestellt werden wie: Was ist Staatsräson? Darf ein Individuum sich ihr verweigern? Darf man sich von Gefühlen leiten lassen statt vom Verstand? treten in dieser Inszenierung in den Hintergrund.

Stattdessen zitiert der Prinz von Homburg aus einem Brief, den Kleist 1779 geschrieben und in dem er seine Abkehr vom Soldatentum begründet hat. „Ich wollte lieber zehn Mal den Tod erleiden als das noch einmal erleben. Mir ist der Soldatenstand so verhasst, dass es mir unmöglich ist, zu seinem Zwecke mitzuwirken. Die Offiziere halt ich für Exerziermeister, für Sklaven die Soldaten.“

Das wäre ein wirklich interessanter Regieeinfall gewesen: Der Prinz, der Tod bringende Soldat, stellt das Militär in Frage. Aber so ist die Figur nicht angelegt und so kommt das Briefzitat sehr plötzlich. Jette Steckels Prinz ist wenig ambivalent, er bleibt stets Soldat.

Der Prinz von Homburg wird begnadigt, aber bei Jette Steckel will er nicht mehr leben. Er schießt sich in den Kopf.

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