Film und Musik: „Das Cabinet des Dr. Caligari“ in neuem Klanggewand von Karl Bartos in der Alten Oper
Faszinierende Klanglandschaften zum Stummfilmklassiker
Von Petra Kammann
Den expressionistischen Psychothriller der Zwanziger Jahre „Das Cabinet des Dr. Caligari“ hat Karl Bartos, Ex-„Kraftwerk“-Musiker, klanglich illustriert. D.h. er hat der von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung digital restaurierten 4K-Fassung des Stummfilmklassikers ein experimentell vielstimmiges Klanggewand angepasst. Wenn der Film bei der Uraufführung am 17. Februar 2024 in der Alten Oper Frankfurt auf der Großleinwand gezeigt werden wird, werden dort auch die synthetischen und elektronischen Modulierungen eines zeitlosen Orchesterklangs zum Filmklassiker zu hören sein. Bartos wird dann gemeinsam mit seinem Sound-Designer Matthias Black live und punktsynchron die virtuosen Geräuschkulissen spielen und steuern.
Filmstill aus „Das Cabinet des Dr. Caligari“ mit Conrad Veidt © Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung
Eigentlich war dem einstigen Musiker der Techo-Pop-Band „Kraftwerk“ Bartos die Alte Oper als Konzerthaus nicht fremd, war er doch schon kurz nach ihrer Wiedereröffnung im Jahre 1981 anlässlich der „Computer World Tour“ der Band im Frankfurter Musentempel präsent, natürlich nicht mit klassischer Musik, sondern mit Techno-Pop-Klassikern wie „Die Roboter“, „Autobahn“ oder „Die Mensch-Maschine“.
Diesmal sind für den Komponisten Karl Bartos jedoch die Vorzeichen andere. Er wollte eine Musik zu dem ihn faszinierenden expressiven Film „Das Cabinet des Dr. Caligari“ komponieren, jedoch nicht als Ton-Film. Vielmehr wollte er ihn musikalisch in die Tiefe gehend illustrieren, was für ihn bedeutetet, drei verschiedene Zeiträume miteinander zu verbinden: die Epoche der Romantik, ausgehend von E.T.A. Hoffmann-Texten, in der sich der Doppelgänger oder Maschinen-Mensch ebenso bahnbricht wie die, wegen der neuen Betonung der Gefühle, sich entwickelnde Psychoanalyse; dann das, durch den Ersten Weltkrieg, Industrialisierung und Technisierung geprägte Zeitalter der Weimarer Republik, schließlich das Jetzt-Zeitalter der Elektronisierung und Digitalisierung.
Alte-Oper-Intendant Dr. Marcus Fein im Gespräch mit dem Komponisten Karl Bartos und dem Sounddesigner Matthias Black, Foto: Petra Kammann
Es waren die starken Film-Bilder, die den inzwischen 71-jährigen Pionier der Elektronischen Musik und ursprünglich klassisch ausgebildeten Musiker schon seit mehr als 20 Jahren faszinierten. Hinzukam, er hatte sich in der Zwischenzeit intensiv mit den Zeit- und Avantgardeströmungen des frühen 20. Jahrhunderts und damit auch mit den Folgen des „mechanisierten Tötens“ im Ersten Weltkrieg, der Weimarer Republik und den künstlerischen „Türöffnern einer neuen Weltsicht“ und ihren Folgen auseinandergesetzt.
Er ist fest davon überzeugt, dass der legendäre Stummfilm „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von Regisseur Robert Wiene aus dem Jahr 1920 mit Werner Krauß in der Rolle des irren Schaustellers, Conrad Veidt als somnambul, schlafwandelnde Mensch-Maschine sowie Lil Dagover als Muse und Entführungsopfer, uns auch heute immer noch, nach 100 Jahren, etwas zu sagen hat.
Dem Film wollte Bartos ein zeitgemäßes geeignetes Klanggewand geben, hatte er im Presse-Preview in der Alten Oper verkündet. Dabei habe er zunächst auch versucht, mit elektronischen Instrumenten zu arbeiten. „Aber das hat irgendwie nicht funktioniert. Das war nicht das, was ich sah.“ So habe er versucht, die Musik „nicht zu sehr aus der Perspektive von heute zu machen“, stattdessen die verschiedenen musikalischen Zeitebenen aufzunehmen. Also komponierte Bartos eine Musik, die sich auch aus verschiedenen musikalischen Quellen der Vergangenheit speist und hauptsächlich orchestral angelegt ist. Kurzum: es entstand eine Mischung aus „Kulturorchester“, Elektro-Sounddesign und erzählender Filmmusik.
Filmstill aus „Das Cabinet des Dr. Caligari“ mit Conrad Veidt und Lil Dagover,©Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung
Anregungen fand er dabei unter anderem bei Komponisten aus der Entstehungszeit des Films – zum Beispiel in der Zwölftonmusik eines Arnold Schönberg oder in der Ballettmusik „Sacre du printemps“ von Igor Strawinsky aus dem Vorkriegsjahr 1913, aber auch Melodien aus der Bachschen Zeit und aus der Musik der frühen Romantik. Bartos lässt sich dabei ebenso von John Cage und Philip Glass anregen wie von der Orgelmusik eines Olivier Messiaen. Die verschiedenen Musikfragmente passte er dabei den vorgegebenen Filmbildern an und kombinierte sie so, dass die Musiken selbst untereinander kommunizieren und vor allem rhythmisch dem Timing des Films entsprechen.
Daneben sind Schritte, Türenschließen und -öffnen oder Stimmengewirr aus Wortfetzen auf dem Jahrmarkt, raschelndes Laub ebenso deutlich hörbar wie auch die durch Geräusche hervorgerufene suggestive Bedrohung durch Trugbilder und Schimären, die auch den Zuschauer in seinem Urteil verunsichern, die Ebenen verschwimmen lassen und alle gewonnenen Eindeutigkeiten zunichte machen. „Es ist so eine Sache mit diesem Film. Egal wie oft man ihn sich anschaut, er bewahrt sein Geheimnis. Wer hier wahnsinnig ist und wer nicht, ist und bleibt eine Frage der Interpretation“, so Bartos.
Natürlich klinge Musik in jedem Raum anders, meint Bartos, der auch atmosphärisch auf die Räume der Alten Oper reagieren wollte, in der auch so großartige Musiker wie die Geigerin Hillary Hahn auftreten. Das wird er vorher mit seinem Partner, dem Sounddesigner Matthias Black, noch eruieren und vor Ort testen.
Dialoge und Off-Text werden hingegen weiterhin schlicht über die vorgegebenen Texttafeln vermittelt, so dass auch die starke optische Gestaltung des expressionistischen Kunstwerks Film mit den eigenwilligen geometrischen Gängen, Landschaften und Räumen, mit den ungewöhnlichen Perspektiven und Fluchtpunkten bis zum Schluss einen ebenso präsenten Kontrapart bilden.
Karl Bartos während der Pressekonferenz in der Alten Oper, Foto: Petra Kammann
Die Presse konnte sich im relativ kleinen Schumann Salon in der Alten Oper einen ersten Eindruck von dem über vier Jahre entstandenen gewaltigen Werk verschaffen und vorab ein Bild davon machen, wie die intensiv die begleitende Musik auch das Sehen des Films beeinflusst. Die konzentrierte Wahrnehmung der Pressevertreter war bis zum Schluss im kleinen Raum förmlich spürbar. Zum Schluss und vor dem Gespräch herrschte dann erst einmal eine gespannte Stille.
Zwar wurde schon bei der ursprünglichen Premiere des „Cabinet des Dr. Caligari“ eine Originalmusik für Orchester des Filmkomponisten Giuseppe Becce aufgeführt. Die jedoch ist verschollen. Schon jetzt lässt sich aber über die Komposition sagen, die im Auftrag der Alten Oper entstand: Das neue Klanggewand zeichnet sich durch eine neue differenzierte und mehrschichtige Geräuschebene wie auch durch eine eigenständige musikalische Handschrift des Komponisten aus, die jede Menge Assoziationen und Parallelerfahrungen in Gang setzt, nicht zuletzt diejenigen, die auch unsere aktuelle politisch-sozialen Lage, in der es oft nur schwer zwischen Wahrheit und Fake News zu entscheiden ist, betrifft.
Im Großen Saal der Alten Oper wird dann Anfang des kommenden Jahres der Effekt der so berauschenden wie durch etliche Verfremdungen provozierten Klanglandschaft changierend zwischen „Kulturkonzert“- und Techno-Pop sicher noch eindrücklicher nachhallen.
Karl Bartos, Foto: Petra Kammann
KURZBIOGRAFIE KARL BARTOS
Karl Bartos studierte an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf, spielte an der Deutschen Oper am Rhein und in mehreren experimentellen Ensembles, bevor er 1974 von Kraftwerk zu deren Autobahn-U.S. Tournee (1975) eingeladen wurde.
Von 1974 bis 1990 war er Mitglied und Co-Autor der Band und wirkte an folgenden Plattenveröffentlichungen mit: Radio-Aktivität, Trans Europa Express, Die Mensch-Maschine, Computerwelt, Tour de France, Techno Pop, The Mix.
Nachdem er die Gruppe verlassen hatte, komponierte er unter anderem mit Bernard Sumner (New Order), Johnny Marr (The Smiths) und Andy McCluskey (OMD) neue Popmusik und lehrte von 2004 bis 2009 als Gastprofessor Auditive Mediengestaltung an der Universität der Künste Berlin. Seit den neunziger Jahren veröffentlichte Karl Bartos auch Soloplatten u.a.: Esperanto 1993, Electric Music 1998, Communication 2003 und Off the Record 2013.
2021 wurde Karl Bartos als Mitglied des Classic line-up mit dem Early Influence Award / Kraftwerk ausgezeichnet und in die Rock‘n‘Roll Hall of Fame aufgenommen. Seine Autobiografie „Der Klang der Maschine“ (Eichborn) erschien 2017 in Deutschland und wurde in der Übersetzung „The Sound of the Machine – My Life in Kraftwerk and Beyond“ 2022 in Großbritannien und den USA von Omnibus Press veröffentlicht, im November 2023 als Taschenbuch.
Filmstill aus „Das Cabinet des Dr. Caligari“, Foto:©Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung
Kommende Aufführungen
17.2.24 Frankfurt, Alte Oper (Uraufführung)
24.4.24 Berlin, Babylon Kino
25.4.24 Berlin, Babylon Kino
26.4.24 Dresden, Rundkino
5.6.24 Hamburg, Laeiszhalle
(Schleswig-Holstein Musik Festival)
6.6.24 Hamburg, Laeiszhalle
(Schleswig-Holstein Musik Festival)
2.11. München, Prinzregententheater
(Tournee wird fortgesetzt)