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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„HAP Grieshaber — FORM|SPRACHE“ im Museum Wiesbaden

Holzschnitte als Sprachrohr gegen soziale Missstände

Von Hans-Bernd Heier

Der deutsche Grafiker und Holzschneider HAP Grieshaber revolutionierte die Technik des Holzschnitts im Deutschland der Nachkriegszeit. Seine großformatigen Arbeiten in abstrahiertem, jedoch figurativem Duktus thematisieren essentielle Fragestellungen unserer Gesellschaft, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben – von Naturschutz bis hin zu sozialer Gerechtigkeit. In der sehenswerten Sonderausstellung „HAP Grieshaber — FORM|SPRACHE“ versammelt das Museum Wiesbaden über 70 Grafiken des umfassenden Œuvres Grieshabers.

Ausstellungsansicht; Foto: Museum Wiesbaden/Christoph Boeckheler

„FORM und SPRACHE definieren das künstlerische Erbe des Holzschneiders HAP Grieshaber (*1909, Rot an der Rot -†1981, Eningen unter Achalm). Mit seinen großformatigen Holzschnitten gelang es dem renommierten Grafiker in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht nur den Holzschnitt ins Großformat zu überführen, auch re-etablierte er die Technik zu den für ihn prägenden Themen und Fragen des Nachkriegsdeutschlands“, erklärt Direktor Dr. Andreas Henning.

Als althergebrachtes Hochdruckverfahren ist der Holzschnitt eines der ältesten visuellen Reproduktionsmethoden der Menschheit, die vor allem ab 1400 in Europa mit der zunehmenden Papierindustrie zur Vervielfältigung genutzt wurde. Die von Johannes Gutenberg geleistete Erfindung von beweglichen Lettern erhob den Holzschnitt darüber hinaus zu einem der ersten Massenmedien und damit Informationsträger, vorwiegend zu religiösen und weltanschaulichen Inhalten. Dies entsprach exakt der Intention des wichtigsten deutschen Holzschneiders.

„Ich bin ein ‚homme engagé‘, für den es selbstverständlich ist, dass eine Sache nur dann einen Wert hat, wenn sie politisiert worden ist“, betonte HAP (Helmut Andreas Paul) Grieshaber. Er nutzte dafür die Mittel des traditionellen Holzschnitts als Sprachrohr seiner sozialen wie politischen Ansichten und Forderungen. Dennoch lehnte er „die Bezeichnung ‚politischer Künstler‘ ab, da er als Mitmensch und Teil der Gesellschaft so oder so eine soziale Verantwortung verspürte“, schreibt Kuratorin Jana Dennhard in dem profunden Ausstellungskatalog „HAP Grieshaber war sich der prekären Missstände im sozialpolitischen wie ökonomischen Spektrum mehr als bewusst und kommunizierte seine Meinung zu allen ihn bewegenden Ungerechtigkeiten ohne Zensur“. Er träumte, wie selbst formulierte, von „einer gerechteren Welt“.

Ausstellungsansicht; Foto: Hans-Bernd Heier

Als ein Beispiel für die Aktualität seiner ökologischen Ansichten sei auf das Plakat: „Umweltschutz – Sache der Jugend“ verwiesen. Bereits 1972 prangerte er mit diesem Schriftzug in grünen Lettern die enormen Handlungsmissstände beim Umweltschutz an. Rückblickend könnte der verantwortungsbewusste Künstler als „Vordenker“ der friedlichen Protest-Bewegung “Fridays for Future“ gesehen werden.

Auch setzte sich der renommierte Grafiker und Holzschneider intensiv mit konkreten Themen und Ereignissen auseinander, die ihn als engagierten Bürger beschäftigten: wie Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit und auch Hoffnungslosigkeit, die er selbst im Verlauf seines Lebens erlebte. Diese sozialen Missständen und seine Erfahrungen hinterließen eine Prägung und ein Feingefühl für Ungerechtigkeiten – auch über das selbst Erfahrene hinaus.

Interaktive Schau-Elemente; Foto: Hans-Bernd Heier

HAP Grieshabers Lebenslauf ist gezeichnet von politischen Umbrüchen und Fragen nach Identität im historischen Kontext von zwei Weltkriegen, der politischen Situation im geteilten Deutschland und einer Sensibilisierung für Missstände auf internationaler Ebene. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise führten zum frühzeitigen Ende seines Studiums an der Staatlichen Kunstgewerbeschule in Stuttgart. Unregelmäßige Auftragsarbeiten sicherten dem ausgebildeten Buchdrucker und Schriftsetzer zwischenzeitlich den Lebensunterhalt und ermöglichten ihm Reisen nach Ägypten und Griechenland. Nicht von einem Arbeitsverbot belegt, jedoch stark in seiner Tätigkeit eingeschränkt, agierte er mit seiner Kunst in Zeiten der nationalsozialistischen Meinungspolitik und Diktatur im Verborgenen – auch während seines verpflichtenden Diensts als Funker und während der Kriegsgefangenschaft bis 1946.

Grieshabers Aktivitäten nach dem Krieg sind geprägt von regem Engagement im Deutschen Künstlerbund, von neu gegründeten Kunstgruppierungen oder Lehrtätigkeiten an der progressiven Bernsteinschule in Sulz am Neckar sowie an der Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. „Es bewegten ihn Fragen nach dem Mehrwert und der Wertschätzung künstlerischer Arbeit – sowohl unter sozialen wie ökologischen Aspekten“, so die Kuratorin. „Vor allem Grieshabers Spätwerk ist von den politischen wie sozialen Missständen und Umweltfragen seiner Zeit geprägt. Aktivistische Aktionen der jüngsten Vergangenheit zeigen, dass diese Fragen bis heute nicht an Aktualität eingebüßt haben“. In der hervorragenden „Überblicksschau nähert sich das Museum Wiesbaden diesem Künstler zwischen Fragestellungen um die Revolution des Holzschnitts in Deutschland und den soziopolitischen Appellen, die HAP Grieshaber damit und darin formulierte“, ergänzt Henning.

Die gut strukturierte Schau im Untergeschoss des Museums, die bis zum 21. Januar 2024 zu sehen ist, widmet sich in drei großen Themenkomplexen dem Œuvre Grieshabers: den soziokulturellen Hintergründen des Künstlers und seinem „Interessenkosmos“ sowie dem Holzschnitt als dessen präferierte Technik und Teil seines künstlerischen Selbstverständnisses. Dabei liegt der Fokus auf den Apellen und Schwerpunkten, mit denen sich der engagierte Künstler Zeit seines Lebens beschäftigte, darunter auch religiöse Themen.

Die Präsentation schlägt auch inhaltliche Brücken zu Kunstschaffenden und Personen der Kunstwelt, die bereits in der ständigen Sammlung des Landesmuseums vertreten sind. Dazu zählt beispielsweise die Mäzenin und Galeristin Hanna Bekker vom Rath, in deren Galerie HAP Grieshaber mehrfach ausstellte. Über Grieshabers Beziehungen zur Rhein-Main-Region berichtet Kustos Dr. Roman Ziglgänsberger in einem Essay des Katalogs.

„Die Ausstellung wurde möglich durch die Generosität eines Sammlers, der uns seine Türen weit und vertrauensvoll öffnete“, betont Henning. „Die herausragende Qualität der Werke wie auch die beeindrucke Vollständigkeit dieser Sammlung sind ein großes Glück. Wir sind sehr dankbar, dass wir dieses Glück nun mit der Öffentlichkeit teilen dürfen.“

Die Ausstellung wird umrahmt von einem vielseitigen Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm. In zwei interaktiven Stationen können Besucher:innen auf Entdeckungstour gehen und sich selbst zu den vom Künstler aufgegriffenen und propagierten Themenfeldern befragen. Eine kostenfreie Media Tour mit weiteren Informationen zu ausgewählten Objekten begleitet in der MuWi-App die Schau. Außerdem gewähren zwei Video-Filme Einblicke in Grieshabers Leben und künstlerische Positionen.

Die Ausstellung wird gefördert durch die Freunde des Museums Wiesbaden e.V.

Weitere Informationen unter:

https://museum-wiesbaden.de/hap-grieshaber

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