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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Leipziger Schule: ein faszinierender Einblick in ein oft verkanntes Kunst-Reich

Ein gewichtiger Katalog stellt die einzigartige Sammlung des Frankfurter Kunstmäzens Fritz P. Mayer vor.

Von Uwe Kammann

Ein gewichtiges Buch. In jeder Hinsicht. Was eben heißt: nicht nur wortwörtlich, als kiloschwerer Quader in der Hand. Sondern vor allem im übertragenen Sinne: als ein verlegerischer Meilenstein, um ein großes Panorama der Kunst vorzustellen, die im westlichen Kunstbetrieb immer noch an den Rand gedrängt oder gar pauschal diffamiert wird, als propagandabestimmte Staatskunst.

Werner Tübke, Happening in Pompeji, 1980, Mischtechnik auf Holz, 103 x 136 cm, Sammlung Fritz P. Mayer, Frankfurt am Main | Leipzig, VG-Bildkunst, © Galerie Schwind, Leipzig

Wer aber den großformatigen Katalog unter dem Titel „Leipziger Schule und Kritischer Realismus“ zur Hand nimmt, der wird aus dem lustvollen Staunen und wachsender Bewunderung gar nicht mehr herauskommen: So eindrucksvoll sind die Werke, welche der Frankfurter Sammler und Mäzen Fritz P. Mayer zusammengetragen hat und die nun in perfekter Abbildungsqualität (ein großes Kompliment an den Hirmer-Verlag) vorliegen.

Es ist aber nicht nur die Qualität der Bilder (überwiegend sind in der Mayer-Sammlung klassische Tafelbilder zu finden, neben einigen Skulpturen), die beeindruckt, sondern es sind auch die Texte, die jedem der dort vertretenen 21 Künstler gewidmet sind. Es sind ausführliche und höchst kenntnisreiche Einführungen in die jeweiligen Werke, mit einer Reihe von unterschiedlichen Aspekten.

Sie reichen von der detailreichen Beschreibung vieler der gezeigten Bilder über weiterführende Interpretationen bis zu vielen kunsthistorischen Bezügen und natürlich auch zu gesellschaftspolitischen Einordnungen und zu differenzierten kritischen Auseinandersetzungen mit den Biographien und den vielfältigen persönlichen Bezügen. Gezielt gesetzte Randnoten und vergleichende Bildbeispiele erlauben weiterführende Bezüge (so zu früheren Epochen und Referenz-Bildern), ohne aufdringlich zu wirken: Auch das ist vorbildlich.

Zu verdanken ist diese kluge Auswahl der Begleittexte (mit jeweils ausgesprägten eigenen Handschriften) der herausgebenden Leipziger Kunsthistorikerin Stefanie Michels, die sich seit mehr als einem Jahrzehnt intensiv mit den Themen der Leipziger Schule und der Kunst der DDR beschäftigt hat.

Markus Matthias Krüger, Neuer See, 2016, Acryl und Öl auf Leinwand, 100 x 150 cm, Sammlung Fritz P. Mayer, Frankfurt am Main | Leipzig, VG-Bildkunst, © Galerie Schwind, Leipzig

Mit Leichtigkeit und in jedem Moment überzeugend kann sie über ihre Autoren darlegen, warum die Leipziger Schule zu den „faszinierendsten Bewegungen der neueren deutschen Kunst“ gezählt werden muss. Und warum, wie es in der knappen Selbstdarstellung weiter heißt, bei aller unterschiedlichen Stilistik der Künstler „zwischen expressiv, neusachlich und historisierend“, es eine Gemeinsamkeit der unter diesem Sammeltitel arbeitenden und vorgestellten Künstler gibt: „die malerische Finesse, die metaphorische Bildsprache und der kritische Blick auf die Gesellschaft.“

Einführend vorangestellt ist dem Band ein Geleitwort von Eduard Beaucamp, der sich über Jahrzehnte als hochrenommierter Kunstkritiker der FAZ für die Maler der Leipziger Schule eingesetzt hat. Und der heute, drei Jahrzehnte nach der Wende, das Lob für die „kapitale Privatsammlung“ des Frankfurter Unternehmers Fritz P. Mayer und auch das Leipziger Engagement der Frankfurter Galerie Karl Schwind mit einer bitteren Klage verbindet:

„Ansonsten“ nämlich, so konstatiert Beaucamp in einem so klaren wie bitter-schneidenden Urteil, „hat der Kunstbetrieb vor allem im Westen die bedeutende Kunstentwicklung in der DDR, die sich vor der Geschichte im Vergleich mit dem Westen glänzend behaupten wird und sich übrigens auch mit der vergötterten Kunst der Weimarer Republik messen kann, zuerst boykottiert und in die Depots versenkt, dann fast mitleidig als Regionalkunst behandelt und als solche zu relativieren und abzuschieben versucht.“ (FeuilletonFrankfurt veröffentlicht diese höchst temperamentvolle Einführung Eduard Beaucamps begleitend im Anschluss an diese Rezension).

Wolfgang Mattheuer, Sonnenfenster, 1965, Öl auf Hartfaser, 118 x 96 cm, Sammlung Fritz P. Mayer, Frankfurt am Main | Leipzig, VG-Bildkunst, © Galerie Schwind, Leipzig

Manche werden sich noch erinnern, welche Auseinandersetzung, ja auch Ablehnung die Entscheidung der Macher der documenta 6 (1977) hervorrief, Werke der prominentesten Maler aus der DDR vorzustellen: also von Willi Sitte, Berhand Heisig, Wolfang Mattheuer und Werner Tübke. Und fast ein kleine Sensation war es, als das Düsseldorfer Museum Kunstpalast vor drei Jahren unter dem Titel „Utopie und Untergang“ eine repräsentative Auswahl einer größeren Zahl von Künstlern ausstellte.

Der Erfolg beim Publikum war überwältigend, viel Begeisterung war in den Besucherstimmen zu hören: wegen der durchaus lesbaren Motive, wegen der zu entdeckenden inneren Erzählungen, wegen oft existentieller Sichtweisen, wegen der elementaren Ernsthaftigkeit, wegen expressiver Kraft. Dies alles in der Regel verkörpert in klassischer Tafelmalerei, weit ab von fast allen Formenbrüchen und Innovationsbemühungen, wie sie den westlichen Kunstbetrieb lange beherrscht haben, in der geographischen Spannweite vornehmlich von Westeuropa bis in die USA.

Willi Sitte, Erdgeister, 1990, Öl auf Hartfaser, 125 x 210 cm, Sammlung Fritz P. Mayer, Frankfurt am Main | Leipzig, VG-Bildkunst, © Galerie Schwind, Leipzig

Es war also, kurz gesagt, leicht zu erkennen, welch’ hohe Qualität die ausgewählten Werke hatten; und keineswegs nur jene, welche mit der Vierer-Gruppe der documenta verbunden sind. Sondern auch jener Namen, die zum Umkreis der Leipziger Schule gehören. Wie reich die Szene war und noch ist – nicht umsonst spricht der jetzige Katalog von drei Generationen – ist an der jetzigen Katalogauswahl leicht abzulesen.

Wobei es einen eindeutigen Schwerpunkt in der Mayer-Sammlung gibt: Wolfgang Mattheuer. Viele seiner bedeutenden Bilder sind auf großen Tafeln zu sehen, seine Allegorie „Seltsamer Zwischenfall“ (1984/91) ziert geradezu signifikant den Titel des Katalogs: ein eher touristisches Staunen über den abgestürzten Menschen, leicht zu deuten als überzeitliche Darstellung des Ikarus.

Viele, eigentlich alle der versammelten Künstler sind Erzähler, mal laut, mal leise, manchmal explizit, nicht selten verrätselt, in hochkomplexen Überlagerungen der Motive, auch in äußerster Reduktion, wenn das erzählende Element sich in einer Landschaft verdichtet, wenn es sich über äußerste Entfremdungen mitteilt (wie beim großartigen Markus Matthias Krüger).

Michael Triegel, Eine Auferstehung, 2006, Mischtechnik auf Leinwand, 140 x 80 cm, Sammlung Fritz P. Mayer, Frankfurt am Main | Leipzig, VG-Bildkunst, © Galerie Schwind, Leipzig

Überhaupt, es sind viele Namen zu entdecken oder zu erkungen, eben nicht nur jene, die auch schon länger im Westen bekannt sind wie Michael Triegel, dessen als altmeisterlich klassifizierte Malkunst (die italienischen Einflüsse drängen sich auf und werden auch erklärt) immer noch und immer wieder äußerstes Staunen auslöst. (Dass gerade die UNESCO-Denkmalinstitution einen so kuriosen wie anmaßenden und insgesamt nur dumm anmutenden Streit wegen einer Triegel-Altarergänzung im Naumburger Dom angezettelt hat, lässt allen Kennern die Zornesadern auf der Stirn anschwellen.)

Es würde hier im Rahmen der Rezension zu weit führen, die in der Mayer-Sammlung vertretenen Künstler mit exemplarischen Werken vorzustellen oder einzelne hervorzuheben. Sie seien hier aber einmal alle genannt, weil es sich schon per Zufallsprinzip lohnen würde, die vertreten Namen herauszugreifen. Es sind also, rein alphabetisch genannt:

Fritz Cremer, Wieland Förster, Hubertus Giebe, Johannes Grützke, Waldemar Grzimek, Ulrich Hachulla, Bernhard Heisig, Erich Kissing, Markus Matthias Krüger, Gero Künzel, Matthias Ludwig, Wolfgang Mattheuer, Wolfgang Peuker, Arno Rink,  Johannes Rochhausen, Willi Sitte, Volker Stelzmann, Werner Stötzer, Günter Thiele,  Michael Triegel und Werner Tübke. Auffällig vielleicht, dass hier so große Künstlerfrauen wie Angela Hampel, Elisabeth Voigt oder Cornelia Schleime fehlen. Oder dass der international arrivierte Neo Rauch nicht vertreten ist.

Doch gehorcht natürlich jede Sammlung ihren eigenen Linien und Vorlieben. Die hier präsentierte ist auf jeden Fall mehr als nur ein Anriss, mehr als eine erste Versuchung. Sondern der Katalog zur Mayer-Sammlung erlaubt eine Vielzahl von intensiven Begegnungen, er lädt auf jeder Seite ein zum vertiefenden ‚Lesen’ der Bilder, erkundenden Interpretationen ganz eigener Art.

Und darüberhinaus zur rationalen Beschäftigung über die einführenden Texte der kompetenten Kenner. Der Rezensent garantiert: Gerade jene, welche nur wenige oder gar keine der hier versammelten Künstler kennen, werden mit wachsender Intensität Stunden um Stunden mit diesem außergewöhnlichen Kunstband verbringen.

Leipziger Schule, kritischer Realismus: Das ist nur der Hauch einer Klassifizierung. Tatsächlich müsste es heißen, in jeder Hinsicht: eine faszinierende Schule des Sehens – in die Facetten der menschlichen Existenz.


Der Katalog 

zur 
sogenannten Leipziger Schule
und zum Kritischen Realismus
mit Meisterwerken von 21 Künstlern,
vereint in der größten und bedeutendsten
privaten Kunstsammlung
des  Frankfurter Kunstmäzens
Fritz P. Mayer ist im
Hirmer Verlag erschienen 

 

→ „Point of No Return“ – Eine bemerkenswerte Ausstellung im Museum der bildenden Künste Leipzig

Der Kunstkritiker Eduard Beaucamp über die „Leipziger Schule“

FF Einen sehr erhellenden, höchst kenntnisreichen und jederzeit scharfzüngig-kritischen Einführungstext zum Katalog der Sammlung Fritz P. Mayer hat Eduard Beaucamp geschrieben, der von 1966 bis 2002 das Kunstressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) geleitet hat. Beaucamp hat sich dort und in vielen Publikationen und Vorträgen – in der Regel allein auf weiter westlicher Flur – schon früh für die Künstler der Leipziger Schule eingesetzt. Aus welch’ langjähriger eigener Anschauung und wie differenziert er die in diesem Umkreis entstandene und entstehende Kunst darstellt und beurteilt, ist bestens in seinem gerade im Wallstein-Verlag erschienenen Sammelband „Jenseits der Avantgarden“ nachzulesen, der eine repräsentative Auswahl von Beaucamps markanten Texten und auch Gespräche des Herausgebers Michael Knoche mit ihm versammelt. Für den oben besprochenen Katalog zur Mayer-Sammlung hat Beaucamp nicht nur die das Thema überaus erhellende Einführung verfasst, sondern auch den Text über den Maler Volker Stelzmann geschrieben. ◊

Dr. Eduard Beaucamp, der Doyen der Kunstkritik, Foto: Petra Kammann

Sie gehört zu den faszinierendsten Bewegungen der neueren deutschen Kunst seit der Nachkriegszeit. So unterschiedlich sich die Stilistik ihrer Mitglieder zwischen expressiv, neusachlich und historisierend bewegt, so verbindet diese Künstler doch alle die malerische Finesse, die metaphorische Bildsprache und der kritische Blick auf die Gesellschaft, die im Westen lange Zeit nicht wahrgenommen wurde.

Die Vereinigung der beiden deutschen Teilkünste ist in dreißig Jahren nach der Wende ziemlich spektakulär misslungen. Um es klar zu sagen: Die Kulturpolitik, die Museen, die akademische Kunstgeschichte haben weitgehend versagt. Die Ausnahmen sind in Leipzig zentriert: im Bildermuseum in der Epoche von Herwig Guratzsch und Hans-Werner Schmidt und am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Universität, wo Frank Zöllner zahlreiche Forschungsarbeiten initiierte.

In Leipzig hat sich außerdem im früheren Wohn- und Atelierhaus Werner Tübkes, das heute auch die öffentlich zugängliche Tübke-Stiftung und die Leipziger Dependance der Frankfurter Galerie von Karl Schwind beherbergt, die kapitale Privatsammlung des Frankfurter Unternehmers Fritz P. Mayer, der sich vor allem den Leipziger »Schulen« verschrieben hat, etabliert.

Ansonsten hat der Kunstbetrieb, vor allem im Westen die bedeutende Kunstentwicklung in der DDR, die sich vor der Geschichte im Vergleich mit dem Westen glänzend behaupten wird und sich übrigens auch mit der vergötterten Kunst der Weimarer Republik messen kann, zuerst boykottiert und in die Depots versenkt, dann fast mitleidig als Regionalkunst behandelt und als solche zu relativieren und abzuschieben versucht.

Es war beschämend, wie instinktlos und brutal Westkuratoren nach der Wende über Museen wie das Dresdner Albertinum hergefallen sind, ganze Säle mit den angestammten ostdeutschen Meisterwerken ausgeräumt und durch matte Marktprodukte der Westmatadoren, die zu Siegern der Geschichte aufgedonnert wurden, ersetzt haben.

Heute hat sich die Lage etwas entspannt. Im Osten regten sich ein neues Selbstbewusstsein und endlich Widerstand gegen die vielen Herabsetzungen. Die Museen in Rostock, Erfurt, Halle oder Potsdam haben, unter ostdeutscher Führung, markante Retrospektiven der Werke der berühmten Maler aus der DDR in Szene gesetzt. Und selbst im Dresdner Albertinum werden in bescheidenem Rahmen die Meisterwerke von Mattheuer und Tübke wieder geduldet.

Man komme nicht wieder mit dem Freiheitskriterium, das der Kunst aus der DDR fehle. Bekanntlich fehlte Freiheit der Kunst jahrtausendelang. Das sollte zum Grundwissen von Kunsthistorikern gehören.

Unter den Bedingungen von Unfreiheit Freiheit zu erkämpfen, darin bestanden und bestehen Leistung und Qualität der größten Künstler. Auch in der Sphäre finsterer Herrschaften und Regime sind durch Widerspruch Meisterwerke entstanden. So zuletzt auch in der DDR.

Westliche Arroganz demütigte nach der Wende nicht nur die ostdeutschen Meistermaler, die vor 1989 international bewundert und gesammelt wurden. Sie missachtet auch das Publikum, das Anspruch hat auf Kenntnis und Genuss der immer noch kaum bekannten, überaus reichen Kunst und auf eine Alternative zu den deprimierenden Banalitäten und lähmenden kommerziellen Netzwerken des Westbetriebs.

Erfreulicherweise hellen einige Lichter die trostlose Vereinigungsbilanz auf. Da sind einmal die beiden christlichen Kirchen, die schon zu DDR-Zeiten die christlichen Prägungen in den ostdeutschen Bildsprachen aufspürten und nach der Wende die Künstler mit Ankäufen und vielen großen Aufträgen ermutigten und würdigten.

Rühmenswert sind ferner die Leidenschaft, das Engagement und die Kennerschaft zahlreicher privater Sammler, die sich ihren souveränen Sinn für Bedeutung und Qualität von Kunst nicht vom flachen Zeitgeist haben abkaufen lassen. Man hat es aparterweise durchweg mit kapitalistischen Unternehmern zu tun, also mit ehemaligen »Klassenfeinden«, die mit Sicherheit keiner DDR-Nostalgie verdächtig sind.

Die Liste dieser bürgerlichen Sammler eröffnet als großer Pionier der Aachener Schokoladenfabrikant Peter Ludwig, von Hause aus ein erfahrener, promovierter Kunsthistoriker, der seit den siebziger Jahren das ostdeutsche Terrain sondierte und eine veritable Museumssammlung vor allem Leipziger Malerei zusammentrug, die die Erben – eine Stiftung – kaum war der Stifter gestorben, in unbegreiflicher Taktlosigkeit in den Osten zurückschickten.

Es folgten Bernhard Sprengel (Hannover), Henri Nannen (Emden), Hartwig Piepenbrock (Berlin), Siegfried Seiz (Reutlingen) und viele andere mehr. Die Hoffnungen richten sich jetzt auf den trotzigen Hasso Plattner (SAP), der in Potsdam ein eigenes Museum für ausgesuchte Kunst aus der DDR aus eigenem Besitz unterhält und damit ein weiteres Mal die apathisch-abgeneigte Hauptstadt Berlin beschämt.

Mitten in diese prominente Phalanx gehört der Frankfurter Textilmaschinenbau-Industrielle Fritz P. Mayer. Seine Leidenschaft weckten 1994 Matt- heuer-Bilder. Im Abstand entzündete sich die Begeisterung für Werner Tübke (ab 2001). Zwischen die beiden Väter und Gründerfiguren der Leipziger Schule schiebt sich erstaunlich früh, ab 1999, ein Enkel-Schüler, der wiedergeborene Renaissance-Maler Michael Triegel. Triegels kluge und hintergründige Artistik verblüffte, schockierte und begeisterte gleich nach der Wende. Man musste lernen, dass seine Meisterschaft keine Attitüde ist, sondern einen Zentralnerv der geschichtsbeherrschten und geschichtssatten, hochreflektierten Leipziger Ästhetik freilegt, die vor allem Tübke geprägt hatte:

Dieser Kunst geht es nicht um Brüche, Entwicklungen, Fortschritte und moderne Etappensiege, sondern um Erinnerungen, Wiedergeburten und Verspiegelungen von Epochen, Landschaften und existentiellen Verfassungen. Mit Mattheuer, Tübke und Triegel, von denen Mayer heute kaum noch erreichbare Meisterwerke, wie sie sonst nur noch in den Leipziger, Dresdner und Berliner Museumsdepots zu finden sind, erwerben konnte, präsentierte der Sammler 2007 im Frankfurter Museum Giersch eine erste Bilanz.

Mit dem neuen Katalogbuch legt Mayer jetzt eine zweite Bilanz seiner inzwischen nach vielen Seiten expandierten Sammlung vor, die auf über zweihundert Werke angewachsen ist. Die Gründergeneration vervollständigte Mayer durch Bilder von Willi Sitte und, merkwürdig spät, von Bernhard Heisig, von dem die Sammlung heute ein kapitales Hauptwerk (Der Maler und sein Thema) besitzt.

Setzt sich leidenschaftlich für die Leipziger Schule ein: Eduard Beaucamp, Foto: Petra Kammann

Den Aufstieg der Leipziger Schule beförderte das Miteinander und Gegeneinander der drei kontroversen Gründerfiguren. In diesem Spannungsfeld kam es zum Durchbruch unbändiger Talente, die ihrerseits eine heute aktive dritte, ja inzwischen eine vierte Malergeneration, inspirierte. Mayers Sammlung bietet fast alle großen Namen auch der zweiten Generation auf: Stelzmann, Rink, Hachulla, Giebe, Peuker, Thiele, Kissing und schließlich aus der vierten Generation Markus Matthias Krüger und Johannes Rochhausen.

Dabei hatte der Sammler wohl weniger ein komplettes Panorama, vielmehr historische Gerechtigkeit, ja, eine dringend nötige Richtigstellung im Sinn. Denn in den letzten Jahren wird von interessierter Seite ein sehr einseitiges, ja verzerrtes Bild der Leipziger Schulen fabriziert, in dem der respektable Neo Rauch (und allenfalls noch sein von ihm verehrter Lehrer Arno Rink) die ganze Szene in Anspruch nimmt. Darüber werden sogar Mattheuer, Tübke und Heisig nach Kräften marginalisiert.

Mayers Sammlung verfolgt noch eine weitere Strategie: Sie löst die Leipziger Wagenburg-Abschottung, lockert die Demarkationslinien der geteilten deutschen Kunst und bezieht ins ostdeutsche Gruppenbild als Patron beider Lager Karl Hofer und zur Gegenwart hin den genialen Westberliner Exzentriker Johannes Grützke ein, der, wie die Leipziger, zeitlebens Außenseiter auf der westdeutschen Museumsszene geblieben ist.

Ein weiteres strategisches Konzept erinnert an Peter Ludwig, dessen Missionierungsdrang bis nach Peking reichte. Auch Mayer wirbt mit seiner Sammlung für die Ostdeutschen mit Schenkungen und Leihgaben einzelner Werke in vielen Museen – vom Frankfurter Städelmuseum, der Berliner Nationalgalerie, dem Bonner Haus der Geschichte über Würzburg (Museum am Dom), Chemnitz und auch dem Leipziger Bildermuseum bis ins holländische Zwolle, wo das Stiftungsmuseum in den letzten Jahren mit verblüffendem Erfolg monografische Ausstellungen von vier Leipziger Malern ausgerichtet hat. Das hatte zur Folge, dass heute die Holländer, auch dank Mayer, die Leipziger Malerei besser kennen als die Westdeutschen.

 

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