home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Jeder soll von dort, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott“. Navid Kermani im Schauspiel Frankfurt

Ach, Du lieber Gott! Reden über Unsagbares

von Petra Kammann

Friedenspreisträger, Kriegsreporter, Poet und Orientalist Navid Kermani spricht allabendlich mit seiner heranwachsenden ungläubig-kritischen Tochter über Gott und was es für ihn als gläubigen Muslim bedeutet. Er hat es dem sterbenden Vater versprochen, seiner Tochter etwas von Opas Religion zu vermitteln. Darum geht es im neuen Buch von Kermani (Hanser). Im Schauspiel Frankfurt las der Schauspieler Isaak Dentler im Wechsel mit Kermani Passagen daraus, über die im Anschluss mit dem Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach diskutiert wurde, moderiert von der Wissenschaftsjournalistin und Astrophysikerin Sibylle Anderl. Hat das Theater die Kirche ersetzt?

Lesung mit Diskussion: v.l.n.r.: Martin Mosebach, Sibylle Anderl, Navid Kermani, Isaak Dentler; Foto: Petra Kammann

Wie ein schwarzes Loch wirkt die Bühne, auf der die Diskutanten mit dem derzeit nötigen hygienischen Abstand aufgereiht sind. Während die individuellen Gesichter im Licht zu verschwimmen scheinen, ist eigentlich nur der etwas rätselhafte Satz „Jeder soll von dort, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott“ richtig sichtbar. Den hat Kermani-Vater seinem Sohn Navid mit auf den Weg gegeben, einen Satz, den er wiederum von Scheich Abu Saíd, einem berühmten Mystiker des 11. Jahrhunderts, übernommen hat, und der nun auch Titel des neuen Buches von Navid Kermani wurde. Eine handschriftlich notierte Brücke der  Tradition in golden leuchtenden Lettern.

Vielleicht entspricht die streng schwarze Bühnenanordnung auch der Produktionsweise des Autors beim Schreiben des Buches, der seinem Vater am Totenbett versprechen musste, seine Tochter den gelebten Islam zu lehren. Der Minimalismus, der nötig war, um sich an das delikate Thema heranzuwagen, an dem sich Islamwissenschaftler und Theologen schon die Finger wundgeschrieben und und die Zähne ausgebissen haben, muss eine Voraussetzung gewesen sein. Die Gräben zwischen den Diskutanten auf der Bühne aber sind luftig, es sind keine betonierten unüberwindbare Mauern zwischen den Fronten.

Auf dem Schreibtisch des Schriftstellers Kermani in Köln musste auch erst einmal Tabula rasa gemacht werden und die vielen klugen Bücher des Orientalisten mussten beiseite geräumt werden, um das uralte Thema des Religionsdialogs frisch und unbefangen anzupacken. Denn – so das Setting der Erzählung – während die 12-jährige Tochter in der Schule ist, muss der Schriftsteller-Vater das Ergebnis ihres ganz persönlichen Dialogs aufschreiben und die gemeinsame Erinnerung an den Opa wachhalten, denn „Opa ist weg“ und nicht nur „mal weg“. Da beginnen auch für die Tochter die Fragen, an die der Vater in der Sprache der Tochter anknüpft.

Das aber –  so wurde in der Diskussion klar – bedeutet nicht etwa, dass der Schriftsteller 1:1 die Gespräche mit seiner eigenen Tochter referiert, sondern die Tochter dient auch als „Kunstfigur“. Er nutzt damit die Erfahrungen ihrer Generation für seine Erzählung, um sich so couragiert wie überlegt an das Riesenthema heranzuwagen und dafür eine überzeugende und nicht verletzende Sprache zu finden, behutsam, ohne sich herabzubeugen, ganz ohne cancle culture, ohne dabei die durchaus real existierenden Grausamkeiten der Religion auszusparen.

Eigentlich – so der dem Katholizismus zugeneigte Mosebach – müssten wir alle ein solches Buch schreiben und den Kindern gegenüber „Zeugnis ablegen“. Recht hat er. Dabei zitiert er das griechische „martyr“, das soviel wie Ohnmacht bedeutet und bezieht sich lieber auf die mystischen und wissenschaftlichen Grenz-Erfahrungen eines Blaise Pascal oder eines Augustinus, der keine „Welt des Friedens“ heraufbeschworen habe. Da seien einzig  – wie in der katholischen Kirche – so etwas wie die Sakramente tröstlich.

Die Diskutanten auf dem Podium haben ihre je eigene Religionsgeschichte. Die naturwissenschaftlich orientierte Moderatorin gab zu, dass sie zwar mit dem „lieben Gott“ im Katholizismus großgeworden sei, ihr aber doch im Laufe der Geschichte und Ausbildung Zweifel gekommen seien, während der Schauspieler Isaak Deutler wiederum, aufgewachsen im Schatten des Pietismus in einem Dorf auf der schwäbischen Alb, sich mit fortschreitender Pandemie gegenüber seinen Kindern solche Fragen stellt und zu dem Schluss gelangte: „Wer zweifelt, der denkt“.

So bestimmte denn auch der Zweifel als notwendiger Schritt, verbunden mit der Aufforderung zum eigenen Denken und als Ausgangspunkt des Erforschen der Welt eine Weile die Diskussion, die man überraschenderweise auch bei großen Wissenschaftlern wie Newton finde (Anderl).

Kermanis Glaube wiederum ist auch kein schlichter frommer Kinderglaube. Nicht zuletzt hat er sich schon wissenschaftlich mit den großen Weltreligionen auseinandergesetzt. Dennoch stellt er im Kreise der anderen eine Besonderheit da. Als Deutsch-Iraner ist er gewissermaßen in beiden Kulturen großgeworden und damit auch in den unterschiedlichen religiösen Systemen, kennt deren Vor- und Nachteile, wundert sich über den Wunderglauben des Christentums. Seine Eltern seien „fromme Menschen“ gewesen, überzeugt von der Tradition der islamischen Kultur, der Geschichte der islamischen Mystik und der einst hochentwickelten Koran-Deutung, was für exilierte Iraner in Deutschland durchaus nicht üblich war.

Schmerzlich konstatiert Kermani, dass der poetisch inspirierte Islam vom IS zerstört worden sei und damit auch die islamischen wunderschönen Kultstätten. Bei vielen herrsche der Furror gegen die eigene Religion. Zugleich appellierte er an die Verantwortung und an das Selbstbewusstsein des Westens, auch sie sollten sich mutiger der Diskussion stellen, um ihre monotheistische Religion intellektuell zu vertreten und aufzuräumen mit der Vorstellung, dass Religion nur  harmlos „lieb“ und eine „Wohlfühlreligion“ sei. Es gehe nicht nur um den Inhalt, sondern auch um die Gestaltung des Glaubens in seiner ganzen Tiefe, die sich in Gesten, Gerüchen, in Liedern, Gebeten, Musik und Poesie ausdrücke und nicht zuletzt um die Vielfalt von Überzeugungen.

Navid Kermani beim anschließenden Signieren seines neuen Buches, Foto: Petra Kammann

Als echter Kosmopolit schöpft Kermani sowohl aus der deutsch-iranischen wie aus der christlich-muslimischen Kultur. Insofern ist er ein Sonder- und ein Glücksfall, an dem sich aktuelle Kirchendebatten wegen der zahlreichen Austritte orientieren könnten. Kermani ist nicht nur, wenngleich auch überzeugter Genussmensch und Schöngeist, und das mit großem Vergnügen. Nicht zuletzt hat er unmittelbar als Kriegsreporter in Krisengebieten erlebt, was  Grausamkeit bedeutet. Insofern klammert er das „Böse“ und Dunkle aus seinem Religionsverständnis nicht aus. Die Religion sei Spiegel des menschlichen Lebens, in dem Hass, Schrecken und Grausamkeiten ebenso ihren Platz fänden wie Liebe oder Frieden.

Auch er habe als Jugendlicher mit seinen Eltern gehadert. Es sei ihre von Güte und Liebe geprägte Haltung gewesen, die sie sich auch in der Fremde bewahrt hätten, mit der sie ihn auf Dauer überzeugten. So wollte der Vater nur ein Wort auf dem Grabstein sehen: ,Chuk’r‘. Und das heißt soviel wie: „Danke“, während ‚kufre‘ Ungläubigkeit und auch Undankbarkeit bedeutet. Berührend, wie Kermani das der heranwachsenden Tochter erklärt.

Nie stellt er sich mit dem erhobenen Zeigefinger als Prediger hin, immer setzt er auf Dialog, mit Gott, mit dem Anderen und Fremden, spricht in Bildern, versetzt sich und hört sich in die Denk- Sprech- und Wahrnehmungsweise der kurz vor der Pubertät stehenden Tochter ein, übt sich auch in Geduld, wenn er ihr das vermüllte Zimmer vorhält, und sie sagt: „Papa, das nervt“, es sei ihr Zimmer. Dann hält er ihr entgegen: „Geh achtsam damit um, mach den Ort schön, für den du verantwortlich bist – und vor allem: Räum den Müll weg“. Und schickt ihr sogleich das „Hadith“ des Propheten hinterher: „Gott ist schön und liebt die Schönheit“.

Darum geht es ihm, um die Verbindung von Mystik und Poesie, um die Schönheit der Suren, die an die Wahrheit gebunden ist, um rhythmisierte Sprechweisen, die dem Alltäglichen und der „nackten“ Ideologie einen neuen erinnernswerten Sinn geben, der von Generation zu Generation erst einmal als Formel weitergereicht werden kann, auch wenn die jeweils Nachwachsenden das dann alles selbst erarbeiten müssen.

.

 

Comments are closed.