„Warten auf Heute“ – ein Abend in der Oper Frankfurt miteinem Einakter von Arnold Schönberg und einem Melodram von Frank Martin
Von heute auf morgen: Einsamkeit, Tod und Jedermann
Drei Einakter von Schönberg und ein Melodram von Frank Martin zu dem Opernabend „Warten auf Heute“
von Renate Feyerbacher und alle Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt
Von heute auf morgen: v.l.n.r.: Elizabeth Sutphen (Die Frau), Sebastian Geyer (Der Mann), Brian Michael Moore (Der Sänger) und Juanita Lascarro (Die Freundin)
Fast auf den Tag genau vor 92 Jahren wurde die Oper „Von Heute auf Morgen“ des in Wien geborenen und in Los Angeles gestorbenen Komponisten Arnold Schönberg uraufgeführt. In diesem Werk ist „das Zwölftonsystem zum ersten Mal auf eine ganz souveräne Weise zur Anwendung gekommen [..] Die kanonischen Formen sind von reiner Meisterschaft, für die es in der modernen Musik keine Vergleiche gibt.“ (Zitat Programmheft Uraufführungskritik von Hans Heinz Stuckenschmidt). Schönberg (1874-1951) hat die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts nachhaltig verändert.
Theodor W. Adorno sprach von einem orchestralen Reichtum der Farbe und metallischer Geschlossenheit, von guter Rationalität. „Der Erfolg war schlagend.“ Komponistenkollege Hanns Eisler bemängelte allerdings, dass Schönberg eine flotte Oper habe schreiben wollen , „[.. ] aber durch die Eigentümlichkeiten seiner Komponistenmethode und der Materialbehandlung ist eine Art Apokalypse im Familienmaßstab herausgekommen.“ Und Dirigent und Komponist Michael Gielen, zehn Jahre Generalmusikdirektor an der Oper Frankfurt, bemerkte, dass Schönberg wegen des großen Erfolgs seiner „Dreigroschenoper“ auf Kurt Weill so neidisch gewesen sei und glaubte, dass er das auch könne. „Aber nolens volens ist eben doch die Horrormusik daraus geworden.“
Das Publikum – es dürfen nur 230 Personen bei einer Aufführung dabei sein – kann sich dazu seine eigene Meinung bilden. Bei meinem Besuch gab es Begeisterung und viel Beifall auch von mir.
Das künstlerische Team, Dirigent Alexander Soddy, Regisseur David Hermann und Bühnenbildner Jo Schramm haben drei Einakter von Schönberg und ein Melodram von Frank Martin zu dem Opernabend „Warten auf Heute“ gebündelt.
Die beiden Hauptcharaktere, ein Mann und eine Frau, verändern sich erstaunlich. Das Ehepaar kommt von einer Abendveranstaltung nach Hause. Der Mann war fasziniert von der attraktiven Freundin seiner Frau, sie schwärmt vom Tenor, der ihr den Hof machte. Für den Mann ist die Freundin die perfekte „Frau von heute“, während seine Ehefrau nur eine ‚brave Hausfrau‘ sei. Nach diesen Sätzen platzt der Frau der Kragen, denn jede Frau könne beides und das wird sie ihrem Mann durch ihr Verkleidungsspiel beweisen und es gelingt ihr (unterstützt durch die Kostüme von Sibylle Wallum).
Nicht mehr sie, sondern der Mann unterliegt. Die Frau übernimmt die Kontrolle, auch musikalisch. Das Libretto schrieb übrigens Schönbergs Frau (Pseudonym Max Blonda). Schließlich wünscht er flehentlich, seine Frau zurückzugewinnen. Die beiden angehimmelten Begegnungen des Partyabends, die attraktive Freundin und der schmeichelnde Tenor, erscheinen als groteske Figuren. Ein makabrer Spaß: die abgerissene Hand des Tenors, die beim Schließen der Rolladen abgerissen wird, baumelt herunter.
Ob das neue Glück mit der Frau, die beides kann, hält, bleibt jedoch fraglich.
Elizabeth Sutphen ist eine brillante zickige Frau, Sebastian Geyer ein wandlungsfähiger Mann. Herrlich sein sonorer Bariton. Freundin und Sänger, die das Paar noch einmal an sich binden wollen, treten als Zombies auf. Eine tolle Leistung von Juanita Lascarro und Brian Michael Moore.
Kurz ist die „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“, in dem sich das Paar in der Routine des Alltags verliert und die Frau Mann und Kind verlässt.
Sechs Monologe aus „Jedermann“: Johannes Martin Kränzle als „Jedermann“
Die „Sechs Monologe aus Jedermann“ haben mich szenisch wie musikalisch am meisten fasziniert. Sie trafen mich allerdings in einer tiefen Phase, nach dem Tod meines Bruders und des Freundes Emil Mangelsdorff, der mittags beerdigt worden war.
Die Musik des in Genf geborenen Frank Martin (1890 – 1974) zog mich regelrecht in ihren Bann ebenso Johannes Martin Kränzle, der die sechs Monologe von 1949 nach dem Text von Hugo von Hofmannsthal regelrecht durchlebte. Kränzle kennt die Monologe seit dem Studium an der Frankfurter Musikhochschule und interpretierte sie immer wieder, „weil mich die Ursprünglichkeit mit dieser singulären Musik in unterschiedlichen Lebensaltern neu, anders anspricht: Die menschlichen Grundfragen dieses ursprünglich jesuitischen Welttheaters sind dieselben geblieben“, äußerte sich der ehemalige katholische Klosterschüler in der Vorschau für 2021 /22.
Jedermann, wie viele Menschen, ist einsam. Längere Einsamkeit löst seelischen Schmerz aus. „Ist all’s zu End das Freudenmahl und alle fort aus meinem Saal? [..] Hat mich Der schon dazu gemacht, ganz nackend und ohn’ alle Macht, als läg ich schon in meinem Grab [..]“ (Erster der sechs Monologe)
Nur gelegentlich kommt die Frau mit dem Essen in der Pappschachtel. Er tobt und schmeißt sie auf den sich zunehmend auftürmenden Haufen von Essensschachteln. Der dritte Monolog, als er glaubt, die mahnende Stimme seiner Mutter zu hören, geht dem Sänger besonders nah.
Er wehrt sich gegen den körperlichen und seelischen Abbau. „Zurück! Und kann nit! Noch einmal! Und kommt nit wieder! Graus und Qual! Hie wird kein zweites Mal gelebt!“ (aus dem vierten Monolog). Dann findet Jedermann seinen Frieden in Gott und stirbt. Wie Johannes Martin Kränzle das singt und ‚spielt‘, geht wirklich an die Substanz. Unglaublich.
Erwartung: Camilla Nylund (Eine Frau) und Johannes Martin Kränzle (Jedermann)
In „Erwartung“ von Arnold Schönberg begibt sich die Frau zurück ins Haus, um mit ihrem Mann das gemeinsame Leben noch einmal zu durchleben. Sie hat Angst, ist nervös, jede Bewegung, jeder Schatten irritiert sie. Sie hat ihn geliebt und will ihm noch einmal begegnen. Endlich schaut sie durchs Fenster und entdeckt seine Leiche. Neben der Trauer kommt auch Eifersucht hoch. Hat er sie betrogen? Wut und Trauer wechseln sich ab. Fragen über Fragen kommen in ihren Sinn: Wer hat ihn getötet? Wohin, wenn der Mann und das Zuhause nicht mehr existieren, keine Gegenwart und Zukunft mehr geben?
Die gebürtige Finnin Camilla Nylund, eine weltweit auch an der Frankfurter Oper gefeierte Sopranistin, sollte die Rolle der Frau zunächst an der Scala in Mailand singen. Sie nennt die Rolle, die sie nun erstmals in Frankfurt interpretiert, ihre größte Herausforderung ihrer bisherigen Karriere. Großartig wie sie diese Herausforderung bewältigt.
Ein Abend, den Dirigent Alexander Soddy mit den Musikern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, Regisseur David Hermann, Bühnenbildner und Videogestalter Jo Schramm, Kostümgestalterin Sibylle Wallum, Lichtdesigner Joachim Klein und Dramaturgin Mareike Wink eindringlich und bewegend prägten.
Das Haus, das Jo Schramm beweglich, zerteilbar schuf, ist ein Bild für die Zerrissenheit unseres Daseins. Einmalig.
„Warten auf Heute“ wird heute Abend noch einmal geboten. Allerdings heißt es: ‚Ausverkauft‘.