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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Klaus Pohl fulminantes Hörbuch und der Roman dazu: Peter Zadek inszeniert Hamlet

Im Irrenhaus: Sein oder Nichtsein?

von Simone Hamm

Dieses Buch hätte nie erscheinen sollen. Verlag um Verlag winkte ab, als Klaus Pohl sein Manuskript schickte. Ein Roman über eine reale Theaterinszenierung? Noch dazu einer Inszenierung, die zwanzig Jahre alt ist? Mit Protagonisten, von denen die meisten nicht mehr leben? Und etliche den Lesern allenfalls von Fernsehserien, nicht vom Theater bekannt sind.

 

Klaus Pohl:

Sein oder Nichtsein

287 Seiten

Galiani

23 €uro

 

 

 

 

Klaus Pohl ließ nicht locker. Er las den Roman „Sein oder Nichtsein“ im Fleetstreet Theater in Hamburg vor. Ungekürzt. An fünf Abenden. Die Zuschauer waren begeistert. Pohl hatte die Aufführung mitschneiden lassen. Herausgekommen ist ein wunderbares Hörbuch. Lustig. Warmherzig. Gekonnt und unsentimental vorgetragen vom langjährigen Burgschauspieler Pohl.

Erst danach griff der Galiani Verlag zu und gab Pohls Roman den schönsten und passendsten aller möglichen Einbände: James Ensors „Die seltsamen Masken“.

Pohl erzählt von den monatelangen Proben Peter Zadeks Hamlet Inszenierung 1999, die in Straßburg Vorpremiere hatte, dann in Wien, Berlin und Hamburg aufgeführt wurde. Er spielte den Horatio – und hatte die letzten Worte des sterbenden Freundes Hamlet wohl erst genommen. „Berichte von meinem Schicksal“.

Es ist eine längst vergangene Zeit mit wahnsinnigen Schauspielern, die bis an die Grenze des Machbaren gehen. Es sind die Granden der Schauspielkunst, die Peter Zadek um sich versammelt hat, um den Hamlet auf die Bühne zu bringen.

Angela Winkler ist Hamlet und sie will es gar nicht sein. Zu schwer erscheint ihr diese Rolle – in jeder Hinsicht. Zadek behauptet, wer den Hamlet spielen WOLLE, der könne ihn gar nicht spielen und stichelt damit gegen Ulrich Wildgruber, der den Hamlet zwei Jahrzehnte zuvor in Bochum gespielt hatte, auch unter Zadeks Regie. Wildgruber, auch diesmal mit dabei,  hält sich eindeutig für den besseren Hamlet, ist unzufrieden mit der ihm zugeteilten Rolle des Polonius.

Otto Sander ist König Claudius, der hinter der Bühne flucht, Eva Mattes, die immer wieder Streit schlichtet und tröstet, ist die Königin Gertrud. Uwe Bohm ist Laertes, wiederholt immer und immer wieder, dass seine Rolle eigentlich nur dreieinhalb Minuten Text habe und klagt über seine Freundinnen, die Mütter seiner Kinder, die zuviel Unterhalt verlangten. Hermann Lause ist der Totengräber, und den will er spielen, nicht einen serbischen Sondermüllkriegsmann auf dem Amselfeld. Hamlet spiele nicht im Kosovo. Er schreie herum wie ein Spießer vom Stadttheater, bemerkt Zadek kühl.

Die Souffleuse droht im schalldichten Soufflierkasten zu ersticken.

Das Hörbuch gibt es in Der Audio Verlag

Angela Winkler flieht aus diesem Irrenhaus und ist unauffindbar. Der ein oder andere der Schauspieler denkt, jetzt könne er doch den Hamlet spielen. Aber Zadek holt sie zurück aus den Bergen, aus einem Bienenschwarm – eine theaterreife Szene. Ihm verdanke sie alles, was sie sei. Er trüge sie auf Händen. Wenn dieser Hamlet stürbe, stürbe auch er.

Die Schauspieler sind eifersüchtig, kleinlich, egoistisch, dann wieder voller Liebe zueinander, großzügig. Sie lachen und weinen, sind tragisch und komisch zugleich, leiden und lieben und machen Hamlets Tragödie so zu ihrer eigenen. Alle sind ein wenig größenwahnsinnig. Alle geben sich bedingungslos hin.

Klaus Pohl hatte ein Probetagebuch geführt. Darauf baut sein Roman auf, der so leichthin, so lustig geschrieben, dass es einfach eine Freude ist, ihn zu lesen, das Hörbuch zu hören. Fast ein wenig selbstironisch erzählt er, wie er, einem Minnesänger gleich, Angela Winkler vor jeder Probe eine rote Rose bringt, wie die Schauspieler in Elsässer Weinstuben ihre Angst vor der nächsten Probe wegsaufen wollen.

Zadek ist unerbittlich, tobt, schreit, gurrt, flötet. Seine Schauspieler verfluchen ihn und gieren doch nach seiner Zuneigung. Manche greifen zu einem Trick: Wenn einem ein Regieeinfall nicht zusage, brauche man nur zu sagen, diese Idee könnte auch von Claus Peymann stammen. Dann mache Zadek das nicht.

Polonius ist Ulrich Wildgrubers letze Rolle gewesen. Ein halbes Jahr nach der Premiere nahm er sich das Leben. Auch Peter Zadek, Otto Sander und Hermann Lause leben nicht mehr.

„Sein oder Nichtsein“ ist eine Hommage an die großen Schauspieler der siebziger, achtziger, neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Und an Peter Zadek. Diese wahnsinnige Welt, die Klaus Pohl so wunderbar beschreibt, das Theater als Irrenhaus gibt es längst nicht mehr.

Pohl hat aber auch eine Metapher auf das Leben geschrieben. Das Leben ist Liebe, Ehrgeiz und Neid. Das Leben ist endlich. Jeder will die große Rolle spielen. Und deshalb sei sein Roman, sein Hörbuch nicht nur leidenschaftlichen Theatergängern empfohlen. Auch alle anderen werden beim Hören, beim Lesen laut lachen und sich bestens unterhalten.

 

 

 

 

 

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