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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Hessischer Jazzpreis 2020 für Tony Lakatos

Freiheit und Leidenschaft und die unbändige Lust zu Musizieren

von Renate Feyerbacher

Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das seit 1991 die Jazzmusik und seine Musiker und Musikerinnen mit einem Preis ehrt, verleiht ihn in diesem Jahr an Tony Lakatos, seit 1993 Saxofonist bei der hr-Bigband, die er 2021 vorzeitig verlassen wird. Lakatos freut sich über diesen Preis, den er am Sonntag, den 27. September im Frankfurter Dr. Hoch’s Konservatorium im Rahmen eines Konzerts entgegennehmen wird. Eine Ehrung, die dieser bedeutende Musiker schon lange verdient hat.

Tony Lakatos; Foto: Gert Richter 

Saxofonist bei der hr-Bigband zu sein, diese Tätigkeit füllt er zu 75 Prozent aus. In der restlichen Zeit widmet er sich seinen Projekten, zu denen er weltweit unterwegs ist. Tony Lakatos ist Spieler, Komponist, Produzent und Dozent. „Das Saxofon ist der menschlichen Stimme sehr ähnlich, wenn man es spielt, klingt das so, als würde man singen“, so empfindet der Musiker den Sound seines Instruments. (zitiert aus PR-Text hr)

Ich selbst lernte ihn, diesen freundlichen, humorvollen und bescheidenen Menschen, vor zehn Jahren kennen, als mich Emil und Monique Mangelsdorff zu Emils 85. Geburtstag ins Holzhausen-Schlösschen eingeladen hatten, wo Tony und sein jüngerer Bruder Roby spielten. Damals war ich vor allem von Roby, dem „Teufelsgeiger“ à la Niccolò Paganini beziehungsweise à la Pablo de Sarasate begeistert.

Emil Mangelsdorff, selbst einer der Großen des Saxofons, freut sich über die Auszeichnung für Tony Lakatos: „Tony ist mir unter den vielen Gästen in meinen Konzerten einer der liebsten. Ihm wurde der Jazz in den Schoß gelegt. Er ist ein Botschafter der hohen Musikkultur der Sinti- und Roma.“

Der Saxophonist Emil Mangelsdorff und Tony Lakatos nach dem Konzert im Holzhausenschlösschen am 2. März 2015, Foto: Renate Feyerbacher 

Auch Monique Mangelsdorff, Emils damalige Managerin und Ehefrau, war begeistert von Tonys freiheitlich-leidenschaftlichem Spiel. Sie starb 2018. Im Krankenhaus liegend, wünschte sie sich Tony herbei, damit er für sie vor dem offenen Fenster spielen würde. Als ich es Tony später erzählte, war er sichtlich berührt.

Ich selbst lernte Tony dann nach und nach schätzen, vor allem wenn ich ihn im Radio hörte. Ein Höhepunkt seiner Karriere ist das Projekt „Porgy & Bess“ nach George Gerschwins gleichnamiger Oper, das er mit der hr-Bigband 2009 realisierte. Die aus diesem Anlass erschienene CD erhielt den Deutschen Schallplattenpreis.

Leider konnte ich 2019 beim Konzert im Sendesaal von „Gerschwin’s Porgy & Bess“, mit Tony Lakatos als Solist und arrangiert vom ehemaligen Chef-Dirigenten Jörg Achim Keller, nicht dabei sein. Alle drei Konzerte in Frankfurt, Neu-Isenburg und Fulda waren schnell ausverkauft.

Ausschnitte hörte ich dann in diesem Juni schließlich im Rahmen der Stage & Seven Konzerte, die trotz Corona stattfanden. Einfach fantastisch, wie Tony Lakatos mit seinem Tenorsaxofon die tragische Geschichte des verkrüppelten Porgy und der leidenschaftlichen, dem Rauschgift zugeneigten Bess, musikalisch erzählt.

Der Sound von Tony Lakatos ist einmalig und aus vielen Aufnahmen herauszuhören.„..als Dirigent habe ich selten so sehr das Gefühl gehabt, mich mit einem Solisten so perfekt im Einklang zu befinden“, sagt Jörg Achim Keller im Grußwort zu Rainer Erds Biographie „Tony Lakatos. Sagt nur nicht Künstler zu mir“), die pünktlich zur Preisverleihung erschien.

Arrangierte Collage mit dem Journal Frankfurt September 2020; Foto: Renate Feyerbacher

Geschrieben hat sie der in Frankfurt lebende Rainer Erd, Hochschullehrer für Urheber- und Datenschutzrecht und Mitglied des Vorstands der Freunde und Förderer der hr-Bigband. Hin und wieder lud er den Musiker zum Spiel in „Die Fabrik“ nach Sachsenhausen, ein, deren Programm Erd früher organisiert hatte.

Man kannte sich zwar, aber die Idee zu diesem Buch kam Rainer Erd erst nach einem Gespräch im Rahmen der Reihe „Meet the Musicians“ im Hessischen Rundfunk, als Tony Lakatos abwehrte: „Eine Biografie über mich? Ich weiß nicht, dafür bin ich wirklich nicht bedeutend genug.“

Im Januar 2020 reiste Erd schließlich nach Budapest, um die Kindheits- und Jugendstationen des Musikers vor Ort zu erkunden, um seinen kulturellen Ursprung zu erfassen. Denn Tony Lakatos stammt aus einer Roma-Musikerdynastie, genauer gesagt, aus einer Familie von berühmten Geigern, die sich in der Tradition und Nachfolge des weltberühmten Geigers Janos Bihare (1764 – 1827), den Beethoven und Liszt schätzten, sieht.

Mein Bruder und ich, wir erinnern uns an Musik, die wir in jungen Jahren von Sándor Lakatos hörten. Er war der ältere Cousin von Toni Lakatos (1932 – 2002), dem Vater von Tony.

Antal (ungarisch hergeleitet vom lateinischen Antonius) Lakatos, der sich später Tony nannte, wurde 1958 in Budapest geboren. Sieben Jahre später kam Bruder Roby zur Welt. Die Familie ist gutsituiert. Sein Vater hat als städtischer Berufsmusiker ein festes Einkommen. Er ist Primás seiner Zigeunerkapelle, die regelmäßig im feinen Restaurant „Gundel“ spielt und im Ausland gastiert.

Im „Gundel“ muss ich selbst damals wohl den Vater gehört und erlebt haben, als mein ungarischer Studienfreund András Engelman uns nach seinem Studium der Theaterwissenschaft in Köln motiviert hatte, nach Budapest zu kommen. Unvergesslich bleibt für mich ein Abend mit Roma-Musikern im Stadtteil Pest in den 70er Jahren. Diese Musik hat mich fasziniert und nie mehr losgelassen.

Von Tony  wurde natürlich erwartet, dass er wie sein Vater ein „anständiger“ Geiger werden würde. Der Vater nahm den kleinen Tony, der schon mit vier Jahren das Instrument lernte, sogar mit zur Arbeit. Aber der Vater war mit seinem Spiel nicht zufrieden. Der Junge bemühte sich, doch seine Begeisterung für die Geige hielt sich in Grenzen ebenso wie seine Begeisterung für die sogenannte Zigeunermusik. Der sieben Jahr jüngere Bruder Roby hingegen erfüllte die Erwartungen des Vaters. Roby Lakatos, der heute in Brüssel lebt, wurde ein weltberühmter Geiger, der sich sowohl der Klassik, aber auch dem Jazz und der Roma-Musik widmet.

Der Vater interessierte sich aber auch für Jazz. So schreibt es Rainer Erd, der mit ihm viele Gespräche geführt hat, und sich die Biografie autorisieren ließ: „Der Unterricht durch den Vater [..] ist für Tony ein wesentlicher Teil seiner musikalischen Erziehung, selbst wenn er später ganz andere Wege gehen wird.“ Und später heißt es: „Er ist jenseits aller Berührungsängste oder Arroganz gegenüber bestimmten Stilen oder musikalischen Gruppen.“

Davon erzählt Tony Lakatos‘ brasilianische Lebensgefährtin Juliana da Silva, selbst eine namhafte Sängerin: „Tony spielt in meiner Band brasilianische Musik. Immer, wenn er kommt und mitspielt, freut sich die Band, alles Brasilianer, weil dann eine ganz bestimmte Energie entsteht, die sich auf die Band überträgt. […] Tony hat einen riesigen Sound. Wenn wir gemeinsam auftreten und die Bühne ist klein, höre ich nur ihn, diese Vibration, dieses Volumen. Einfach einzigartig!“ (Erd).

Mit 15 /16 Jahren entdeckt Tony die Liebe zum Saxofon, legt aber den Eltern zuliebe die Geige noch nicht beiseite.Mit dem Vater ist er gelegentlich im Ausland auf Tournee – eben auch in Deutschland. Innerhalb kurzer Zeit wird er ein gefeierter Saxofonist. Er studiert zwar an der Musikhochschule in Budapest, verlässt sie aber ohne Abschluss.

1982, mit 23 Jahren, gründet er seine erste eigene Band. Es folgen Auftritte auf Jazzfestivals und das entscheidende Engagement in der Band des deutschen Jazz-Gitarristen Toto Blanke, der ihn nach Deutschland einlädt. Tony landet in Paderborn, wo er einige Jahre bleibt und zieht auf Anraten von Toto Blanke schließlich nach München, wo er neun Jahre – von 1984 bis 1993 –  als freier Jazzmusiker aktiv ist. Dann kommt er nach Frankfurt, wo ihn der damalige Bandleader Kurt Bong ohne Probespiel engagiert, was ansonsten üblich ist.

In der hr-Bigband spielt er seit 1993 Tenorsaxofon, Sopransaxofon und Flöte. Er ist Gastmusiker auf der ganzen Welt und musiziert mit anderen Größen des Jazz, daneben gibt er sowohl Meisterkurse als auch Workshops. Unbändig ist sein „Musikalischer Welthunger“ und seine Experimentierfreude.

Collage: CD Gypsy Colours; Foto: Renate Feyerbacher

Mit seiner CD „Gypsy Colours“, die er 2005 mit ungarischen Roma-Musikern in Budapest produzierte, kehrt er zu seiner musikalischen Vergangenheit zurück und erkennt, wie großartig die „Zigeunermusik“, die er zunächst verachtete, ist. Man muss die CD hören, um die zwei Seelen in Tony Lakatos‘ Brust zu verstehen.

Seit fünfzehn Jahren besteht nunmehr das Tony Lakatos-Quintett, das regelmäßig in den Frankfurter Jazzkeller einlädt. Mit dabei sind die hr-Bigband Kollegen, der Trompeter Axel Schlosser, der  Schlagzeuger Paul Höchstädter, der Bassist Thomas Heidepriem und der freischaffende Pianist Michael Flügel. Leider kann der Jazzkeller derzeit nur mit Vorreservierung besucht werden.

Die Biografie, die Rainer Erd  über Tony Lakatos geschrieben hat, ist inklusive der politischen Aspekte und vielfältigen Informationen über Jazz und seiner verschiedenen Entwicklungen sehr fundiert. Sein Buch war auch eine der Grundlagen meines Beitrags, eine andere die Septemberausgabe des journal Frankfurt, des Weiteren waren es Quellen aus dem hr und dem Internet.

Die Preisverleihung findet nun am 27. September im Rahmen des Hessischen Jazzpodiums 2020 statt – präsentiert von der Hessischen Jazz-Initiative Frankfurt und von Dr. Hoch’s Konservatorium. Alexander von Schlippenbach und seine japanische Pianistenkollegin werden um 19 Uhr das Konzert beginnen. Es folgt die Preisverleihung an Tony Lakatos mit der Laudatio von Rainer Erd. Den Abschluss bildet ein anschließendes Konzert mit dem Lakatos-Quintett.

 

www.dr-hochs.de/de

 

 

 

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