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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zonta Club Frankfurt II Rhein-Main verleiht seinen 7. Kunstförderpreis „Zonta Art Contemporary“ an Viviana Abelson

Von Erhard Metz

Dass sich über der 7. Verleihung des Kunst-Förderpreises „Zonta Art Contemporary“ (abgekürzt „ZAC“) des Zonta Clubs Frankfurt II Rhein-Main trotz des Corona-Reglements mit Maskenpflicht und der zugelassenen Besetzung von nur einem Viertel der Plätze im Kinosaal des Frankfurter Museums für Moderne Kunst MMK ein kleiner festlicher Glanz verbreitete, lag an den Damen des Clubs wie auch der illustren Schar der Protagonisten auf der Bühne, vor allem aber am Auftritt der Preisträgerin Viviana Abelson höchstpersönlich.

(v.l.) Elisabeth Haindl, Ursula Brüggemann, Viviana Abelson und Susanne Pfeffer, Foto: Erhard Metz

MMK-Direktorin Susanne Pfeffer als Hausherrin sowie Ursula Brüggemann als Vizepräsidentin des veranstaltenden Clubs begrüßten die mehrheitlich weibliche Gästeschar, Schirmherrin und Mäzenin Elisabeth Haindl, ehrenamtliche Frankfurter Stadträtin a.D., skizzierte temperamentvoll den Werdegang des Förderpreises, und Franziska Nori, Direktorin des Frankfurter Kunstvereins, würdigte in ihrer Laudatio das bisherige künstlerische Werk der Preisträgerin.

Das vor über zwölf Jahren auf Initiative der Frankfurter Künstlerin Jutta Heun ins Leben gerufene Projekt „ZAC“ hat, neben der Vermittlung des Wissens über aktuelle Positionen in der zeitgenössischen Kunst, vor allem das Ziel, besonders förderungswürdige Künstlerinnen mit Bezug zum Rhein-Main-Gebiet in ihrer kreativen Arbeit zu unterstützen. Der in diesem Jahr erstmals mit 5.000 Euro dotierte, nunmehr bereits 7. Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Die bisherigen Preisträgerinnen waren Anke Röhrscheid (2008), Ellen Poppy (2010), Anne Imhof (2012), Eva Weingärtner (2014) Benedikte Bjerre (2016) und Vera Palme (2018). Seit 2018 ist Elisabeth Haindl Schirmherrin und Förderin des Preises.

Viviana Abelson im März 2019 im Frankfurter Kunstverein, Foto: Erhard Metz

Viviana Abelson wurde 1985 in Buenos Aires geboren. Sie studierte zunächst an der Universität Torcuato Di Tella und LIPAC und in Deutschland an der Universität der Künste in Berlin sowie anschließend an der Frankfurter Hochschule für Bildende Künste – Städelschule bei Laure Prouvost und Douglas Gordon, 2018 mit dem Abschluß als dessen Meisterschülerin. Ihre Mitkonkurrentinnen im jetzigen Wettbewerb waren Zuzanna Czebatul, Kathi Kaeppel, Laura Langer und Brenda Lien. Abelsons Arbeiten waren bereits in Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen, so z.B. im Städel Museum, im Kunstverein Göttingen und im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden, im Amsterdams Centrum voor Fotografie sowie 2019 in „And This is Us“ im Frankfurter Kunstverein. Noch bis zum 25. Oktober 2020 sind ihre drei ersten Außenskulpturen im Haus am Lützowplatz des Fördererkreises Kulturzentrum Berlin im Rahmen der 5. HaL-Hofskulptur zu sehen.

Heike Strelow, aktive Zontian, Mitglied der Projektgruppe „ZAC“ und renommierte Frankfurter Galeristin, beim Bewirten der Gäste, Foto: Petra Kammann

Ein Wesensmerkmal des Preises ist, dass sich der Zonta Club Frankfurt II Rhein-Main mit seinem „ZAC“-Team als Veranstalter nicht in den Auswahl- und Entscheidungsprozess einmischt, sondern die Findung den zwei von ihm berufenen je fünfköpfigen Jurys überlässt, wobei zunächst eine vorschlagende Jury tätig wird, jedoch anschließend erst die auswählende Jury über die Preisvergabe entscheidet – ein Verfahren, zu dem sich auch Schirmherrin Haindl als mustergültig zur Objektivierung des Verfahrens bekennt.

Der vorschlagenden Jury gehörten dieses Jahr Corinna Bimboese (Direktorin AtelierFrankfurt), Franziska Nori (Direktorin Frankfurter Kunstverein), Max Pauer (Leiter 1822-Forum der Frankfurter Sparkasse), Gastgeberin Susanne Pfeffer und Wolfgang Winter (Künstler des Duos Winter/Hoerbelt und Dozent an der Städelschule) an. Die Mitglieder der auswählenden Jury waren Katharina Dohm (Kuratorin Schirn Kunsthalle), Michael Hierholzer (Leiter Kulturressort der Rhein-Main-Zeitung FAZ), Beate Kemfert (Vorstand Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim), Christina Lehnert (Kuratorin Portikus Kunsthalle) und Silke Schuster-Müller (Leiterin Gesellschaftliches Engagement DekaBank).

Im folgenden die Begründung der auswählenden Jury für ihre Entscheidung:

„Viviana Abelsons Skulpturen und Installationen bestechen mit einer Material-Ästhetik, die an Arte-Povera-Positionen erinnert, und einem starken formalen Willen, der dann doch das letzte Wort über die Stofflichkeit der Ausgangsmaterialien und die von der Künstlerin vorgefundenen Objekte behält. Reifen, Leder, Holz, Teer, Metall bleiben zwar in ihrer Widerständigkeit erhalten, die Künstlerin lenkt den Blick auf das Schroffe, Harte, Zähe, Unverformbare, Ungeglättete. Selbst wenn sie Materialien wie Zucker oder Paraffin benutzt, formt die Künstlerin daraus Gegenstände von fester, roher, unnachgiebiger Anmutung. Sie fügt die Artefakte zu skulpturalen Gebilden und Installationen zusammen, in denen sie sich in einen Dialog mit dem menschlichen Körper begeben. Das humane Maß kommt ins Spiel, körperliche Formen spielen eine Rolle, die Brutalität des Materials wird gemildert. Abelson setzt sich mit der Körperlichkeit in einer Umwelt auseinander, die trotz aller Digitalisierung immer noch von den zweckmäßigen und nutzungsorientieren Produkten einer auf Effizienz ausgerichteten Industrie geprägt ist. Dass sie die Augen davor nicht verschließt, sondern sich bewusst den nicht schönen und auch gar nicht bunten Dingen zuwendet, die auch zu unserer Alltagserfahrung gehören, die wir aber allzu gerne ausblenden, macht die besondere Qualität ihrer Werke aus. Diese beschäftigen sich mit den Randzonen und Endstationen von Produktion und Verkehr, mit den Verfallstufen von Investitionsgütern, binden sie aber auch zurück an menschliche Erfahrungen und an die Kultur, indem sie etwa Lkw-Reifen mit Teilen von Trommeln in einen Zusammenhang bringen. Die Künstlerin macht es sich nicht einfach, sie sucht die Verbindung zu einer uns alle umgebenden Realität, auch wenn dies gelegentlich schmerzhaft sein mag. Dabei finden sie Formulierungen von erstaunlicher Originalität. Abelsons Kunst ist erzählerisch, sie vereint weibliche und männliche Energien und sicher auch Einflüsse der ländlichen argentinischen Umgebung zu spannungsreichen und sinnlichen Kunstwerken.“

Viviana Abelson vor der Preisverleihung mit ihrem Künstlerfreund José Segebre, Foto: Erhard Metz

Viviana Abelson gestaltete sich zur Preisverleihung gewissermaßen selbst zu einem Kunstwerk: in einem Rock, gefertigt aus einem für ihre Arbeiten bevorzugten Material, nämlich alten Fahrzeugreifen. Ihre weiteren Materialien sind Leder, Stahl, Paraffin, Teer. Sie schneidet die oft bis zu 65 Kilogramm schweren Reifen für große Nutzfahrzeuge auseinander, schweißt, schmilzt, brennt, klebt und näht sie zu neuen Formen und bringt sie in einen spannungsreichen Kontext etwa mit Stahl, Schaumstoff oder Leder. Der Umgang mit dem widerständigen, mit Vorstellungen von Maskulinität, Rohheit, Kraft und Gewalt verbundene Material verlangt der Künstlerin eine robuste Handwerklichkeit wie auch körperliche, physische Kraft ab.

Diese körperlichen wie physischen Energien wirken in das im Transformationsprozess entstandene künstlerische Produkt unmittelbar hinein und strahlen wiederum auf den Betrachter aus. Die zur Überwindung schwierigster Geländeformen eingesetzten grobstolligen Reifenprofile mit ihren deutlichen Verschleißspuren lassen Assoziationen an Zerstörung von Natur und Umwelt zu, an brachiale „Monster Trucks“ und „Monster Jams“, wie sie besonders in den USA ausgetragen und vermarktet werden und nicht selten von tödlichen Unfällen begleitet sind.

Mal spannt sich zwischen den Felgen der riesigen Reifen hartes Bullenleder, mal quillt aus ihnen eine geschwürartige, bedrohlich wuchernde Schaumstoffmasse hervor. Oder muss sich ein Betrachter hier von einer Rundumkamera beobachtet und bedroht fühlen?

Viviana Abelson, (↑) Hoop, 2019, Reifen, Gummi, Schaumstoff, 98 x 98 x 71 cm; (↓) Legend, 2019, Metallstangen, Reifen, Gummi, 130 x 190 x 40 cm, Fotos: Erhard Metz

Die jackenartige Skulptur, mit metallenen Säumen versehen und mit Ketten behängt, über deren Kragen und Schultern sich panzerartig Reifenprofile wölben, ruht statt auf einem Kleiderbügel auf einem blanken, kalt anmutenden Stahlgerüst. Man denkt an Punk- und Rocker-Kultur, an Brutalität, an Schlägertypen.

Und doch wohnt diesen Skulpturen eine eigentümliche Poesie inne, und man kann diese Arbeiten auch als eine Erinnerung an, eine Sehnsucht, eine Forderung lesen nach einem Leben in Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit, ein romantisierendes „Alleinaufsichangewiesensein“ in harten Umweltbedingungen. Vielleicht schwingt in ihnen ein ferner Hauch von Abenteurertum mit, von südamerikanischer Gauchokultur. Dann eigneten der auf den ersten Blick so brutalistisch anmutenden Jacke etwas Behütendes, zum Überleben in kärglicher harter Natur Schützendes. Etwas Heimatliches.

Spannende Kunst bedeutet und bewirkt immer auch ein Ausloten von und ein Sicheinlassen auf Möglichkeiten.

(v.l.) Kerstin Walter, Ursula Brüggemann, Viviana Abelson, Elisabeth Haindl, Susanne Pfeffer, Silke Schuster-Müller, Beate Kemfert, Franziska Nori, Max Pauer und Corinna Bimboese, Foto: Petra Kammann

FeuilletonFrankfurt gratuliert Viviana Abelson herzlich zum Preisgewinn!

„And this is us. Junge Kunst aus Frankfurt“ im Frankfurter Kunstverein (2)

 

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