Anne Teresa de Keersmaeker schafft eine eigene Choreografie für das Kolumba Museum
von Simone Hamm
Das schönste Museum in Köln ist das „Kolumba“, das Kunstmuseum des Erzbistums Köln. Der Schweizer Architekt und Pritzker-Preisträger Peter Zumthor hat darin die Ruinen der im Zweiten Weltkrieg zerstörten romanischen Kirche St. Kolumbus in seinen Neubau aus Backstein ebenso integriert wie die Kapelle „Madonna in den Trümmern“ (1949) mit Sakramentskapelle (1956), erbaut nach dem Entwurf von Gottfried Böhm. Das Haus steckt voller Überraschungen…
„Dark Red“ – eine eigene Choreographie für das Kolumba von Anne Teresa de Keersmaeker, Foto: Anne von Aerschot
Zumthor verzichtet darin auf künstliche Lichtquellen. Aus den großen Fenstern blickt man auf den Dom, auf romanische Kirchen, auf die Dächer der Stadt. Die Kunstwerke, die in diesem ungewöhnlichen Museum gezeigt werden, reichen von der Spätantike bis zur Gegenwart.
Stefan Kraus, der experimentierfreudige Leiter des Museums, sieht das Kolumba als Labor. Derzeit wird dort eine Ausstellung in acht Teilen gezeigt unter dem Titel: „Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir“. Darin sollen Formate überdacht werden: da ist zunächst einmal der Körper des Museums, und da stehen Körper im Museum, bleibt die Interaktion zwischen beiden zu bespielen.
In den Räumen des Kolumba tritt auch die Gruppe Rosas der belgischen Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker auf und führt „Dark Red“ auf. Unterstützt wird das ehrgeizige Projekt von Tanz.Köln.
Dreizehn Tänzer stehen da im Kreis. Ganz vorsichtig bewegen sie zunächst ihre Finger, dann die Hände, dann wiegen sie den Kopf, und drehen langsam ihre Füße seitwärts. Ihre Bewegungen sind kaum merklich. Reduzierter, minimalistischer kann Tanz nicht sein – und ist doch packend. Musik, gespielt von zwei Flötisten des Ictus Ensemble, ist zu hören. Die Tänzer tragen durchsichtige Hemden oder T – Shirts, Jeans. Der Raum, in dem sie tanzen ist – bis auf ein Kruzifix aus dem 12. Jahrhundert und einen schwarzen Ball – vollkommen leer.
Im Kolumba Museum wurde die gesamte zweite Etage für Anna Teresa de Keersmaekers Rosas leergeräumt. Die Zuschauer hocken auf der Erde, lehnen sich an helle Lehmwände, laufen hin und her, werden Teil der Inszenierung.
Dabei, Rosas tanzt nicht zum ersten Mal in einem Museum. Aber de Keersmaeker hat zum ersten Mal eigens eine Choreographie für einen architektonischen Raum geschaffen. Das lag für sie nahe, denn es ist für sie ist eine Möglichkeit, Tanz zu beschreiben, ihn als „bewegte Architektur“ zu sehen. Das Kolumba ist für sie daher ein idealer Ort, denn sie liebt das Maximieren des Minimalen. Das, so sagt sie, sei eben auch typisch für die Architektur Peter Zumthors.
De Keersmaekers arbeitet minimalistisch – Entsprechung zur Architektur Zumthors, Foto: Anne von Aerschot
Die kleinen und kleinsten Bewegungen der Tänzer geben dieses Minimieren wieder. 12 Teile von „L’opera per Flaute“ von Salvatore Sciarrino sind zu hören, die zwölf Apostelbilder von El Greco liegen in einem der Museumsräume auf dem Fussboden. Aber 13 Tänzer sind zu sehen. De Keersmaeker liebt es außerdem, das Publikum zu verwirren.
Wer ins Kolumba geht, muss sich einlassen auf die Tänzer, die in kleinen Gruppen durch die Räume der zweiten Etage tanzen, Pirouetten drehen, springen, sich immer wieder voneinander entfernen. Und er muss viel Zeit mitbringen und wenig Angst vor Covid 19 haben. Bisweilen wird es schon sehr eng, aber ein gutes Belüftungssystem soll mit den Aerosolen fertig werden.
In den letzten anderthalb Stunden werden die Tänzer wieder zu der Gruppe, die sie am Anfang waren. Ihre Bewegungen sind jetzt raumgreifender, schneller. Wie ein Vogelschwarm scheinen sie durch die Räume zu schwirren. Diese Lebensfreude überträgt sich, begeistert. Sie sind sich jetzt näher, haben die Distanz überwunden. Zum Tanzen, zum Leben brauchen sie Nähe.
Ob man die gesamten fünf Stunden konzentriert zuschauen muss, wie Tänzer leere Räume bespielen, sei dahingestellt. Irgendwann wiederholen sich Musik und Tanz – aber das ist ganz sicher gewollt – denn es hat auch einen meditativen Effekt. Die Zuschauer können sich diesem Sog ganz überlassen, diesem absolut außergewöhnlichen Tanz, der Tänzer, der die Zuschauer an ihre Grenzen bringt. Man kann auch zwischendurch pausieren und sich die Kunstwerke in den anderen Etagen anschauen.
14. September 2020 – 16. August 2021
Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir
Kunst und Choreografie
Eine Kooperation von Kolumba und tanz.köln