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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Neue Formate für Vereine : Zonta goes zoom mit einer Lesung von Saskia Hennig von Lange

Statt einer rauschenden Feier gab es im Lockdown zum Abschluss der Amtszeit von Zonta-Präsidentin Katrin Lowitz (2018-2020) erstmalig eine Vereins-Zoom-Zusammenkunft von Zonta Club Frankfurt II Rhein-Main auf dem Bildschirm. Sie war geprägt von der berührenden Lesung der Frankfurter Schriftstellerin Saskia Hennig von Lange, die vor dem Bildschirmpublikum aus ihrem gerade erschienenen Buch „Der Baum denkt“ (Henrich Editionen) las. Petra Kammann war für das FeuilletonFrankfurt zugeschaltet…

Saskia Hennig von Lange bei der Zoom-Lesung in der Galerie Heike Strelow; alle Fotos wurden mit dem Handy vom Bildschirm aufgenommen, sind daher unscharf

Alle Vereinsmitglieder, die sich eingeschaltet haben, sind froh, dass Katrin Lowitz es geschafft hat, den noch ungewohnten Zoom-Zusammenschluss auch technisch zu handeln, um der Lust nach gemeinsamer Kommunikation der Mitgliederinnen entgegenzukommen. Sie erhält viel Lob von allen Seiten für das, was sie vor allem im vergangenen Zonta-Jubiläumsjahr geschafft hat. So endet auch ihre letzte Sitzung mit der Herausforderung, trotz der Kontaktsperre noch etwas Besonderes bieten zu können.

Letzte Sitzung ihrer Amtszeit: Zonta-Präsidentin Katrin Lowitz kontrolliert, ob die Zontians auch zugeschaltet sind

Zoom-Neuland auch für die die neue Zonta-Präsidentin Renate von Köller, deren Amtszeit nun ab Juni beginnt

Das Regionalprojekt „Lindenbäumchen“

Saskia Hennig von Lange war in die Räume der Frankfurter Galeristin Heike Strelow gekommen, um sich von dort aus zuzuschalten. Heike Strelow, wiederum auch die künftige Stellvertreterin von Renate von Köller, erläutert die Hintergründe zum Entstehen des Erzählprojekts der Autorin. Alle sind gespannt und schauen konzentriert auf den Bildschirm.

In Oberursel hatte eine Linde durch ein dazugehöriges Kunstprojekt „Das Lindenbeemsche“ von Winter/Hörbelt die Gemüter erregt. Bei diesem Regionalprojekt drehte sich alles um die einstige Oberurseler/Mittelstedter Gerichtslinde, der durch entsprechende künstlerische Gestaltung eine neue Aufmerksamkeit zuteil wird. Mit diesem Projekt sollte der langen Lebenszeit eines Baums eine besondere Stimme verliehen werden. Das Lindenbäumchen, gelegen an der verlängerten Freiligrathstraße unweit der A661, ist über Jahrhunderte ein besonderer Ort in Oberursel. Einst war hier der Ort Mittelstedten, wo an der alten Linde Gericht gehalten wurde.  Über Generationen hinweg war und ist das im Volksmund genannte „Lindenbeemsche“ noch heute ein beliebter Treffpunkt.

Galeristin und künftige stellvertretende Präsidentin Heike Strelow erläutert das Lindenbaumprojekt

Bei der Installation der Skulptur „Vitrine“ des Künstlerduos Winter/Hörbelt wird die 400-jährige Gerichtslinde, bzw. ein Relikt dieses Baums, in einen im wahrsten Wortsinn neuen Rahmen gestellt, nämlich in einen weißen kubischen Rahmen, der die Anmutung einer Vitrine hat. Dieser dreidimensionale Bilderrahmen soll die einst so prächtige Linde auf diese Weise wieder in ein proportionales Verhältnis zu ihrer Umgebung stellen und zwar unabhängig von ihrer weiteren gesundheitlichen Entwicklung.

Die Installation wurde zunächst heftig und kontrovers in der Region diskutiert, wie die ebenfalls zugeschaltete Regionalplanerin für die Regionalpark RheinMain Taunushang GmbH Anja Littig anmerkte. So war der Aufschrei groß, als sie kippte.

Die Vorgabe für dieses Projekt war es aber auch, dass die Linde über eine zweijährige Dauer durch Erzählungen im Gespräch in Erinnerung bleiben sollte. Dabei konnten die erzählten Geschichten einen ebenso realen Hintergrund im kollektiven Gedächtnis des Ortes aufnehmen, sich völlig frei entfalten oder sich auf bereits bestehende Natur-Dichtungen beziehen, die dann wiederum Eingang in den sich immer weiter schreibenden Text finden könnten. So sollte die visuell erfahrbare Kunst im öffentlichen Raum eine kontinuierliche literarische Begleitung erfahren.

Das auf dem Bildschirm eingeblendete Bild von der „Vitrine“ von Hörbelt/Winter

Die Autorin Saskia Hennig von Lange bekam dafür den Zuschlag. Sie wollte mit den Oberurselern ins Gespräch kommen und sich deren eigene, mit der Linde verbundene Geschichten erzählen lassen und in ihre Episoden einbinden. Die Beschäftigung damit haben sie am Ende zu einer streng verdichteten Erzählung angeregt. Denn die Schriftstellerin hat sich intensiv in das organische Leben des Baumes eingefühlt.

So fand denn auch Hennig von Langes erste Lesung auf freiem Feld bei der Einweihung der Skulptur im Jahr 2017, die den Rahmen für alles setzte, vor dem Baum, statt. Von mal zu mal und erreichte sie auf diese Weise ein begeistertes und wachsendes Publikum. Viermal im Jahr wurden sie von der Autorin selbst an dieser Stelle vorgetragen, was dem Wechsel der Jahreszeiten entspricht und dem sich die einzelnen Geschichten anpassen.

Die Autorin schildert darin die fiktiven Begegnungen der alten Linde mit dem Mädchen Marie und ihrem Schicksal, von derem anfänglich unbefangenen Vertrauen, von der Begegnung mit ihrem späterem Mann Jan, von der Geburt ihrer Tochter Linda und von ihrer Niedergeschlagenheit, ausgelöst durch die ferne Kriegssituation. Während die Linde von ihren Erlebnissen aus vier Jahrhunderten berichtet, weiht Marie ihren Baum in die erlebten Schicksale der Menschen des 20. Jahrhunderts ein.

Die Autorin bettet die gelesenen Kapitel in die Gesamtgeschichte ein

Saskia Hennig von Lange greift dabei auf reale Hintergründe aus historischen Aufzeichnungen, aber auch auf die vielen Erinnerungen, Anekdoten und Geschichten, die die Menschen aus Oberursel und der Region mit dem uralten Lindenbaum verbinden, zurück. Damit trägt das Buch dazu bei, dass dieser historische Anknüpfungspunkt in der Landschaft und auch ein Stück lokaler Identität erhalten bleibt.

Seit dem Beginn der Lesungen im Oktober 2017 wurde sie von den Zuhörenden immer wieder gefragt, ob die einzelnen Episoden nicht in einem Buch erscheinen könnten. So entstand am Ende aus den neun Episoden, die die Autorin bereits zwischen 2017 und 2019 vor Ort vorgetragen hat, ein Buch, für das Saskia Hennig von Lange die gelesenen Kapitel entsprechend umgearbeitet hat.

All diese Episoden um die beobachtende Linde, die nur in wenigen Momenten die Sprache und das Zeitgefühl der Menschen übernimmt, gehen von dieser magischen Linde aus bis hin zu ihrem allmählichen Absterben. Davon blieben auch die Zontian-Zuhörerinnen nicht unberührt. Sie lauschten gebannt den Geschichten Hennig von Langes, den Geschichten, die an Kinderspiele, an Gerichtsverhandlungen, an Liebesschwüre, Missernten und nicht zuletzt an Leben und Tod erinnern…

Immer erscheint dabei der Baum als eigenständiges Wesen, das empfinden, hören, wahrnehmen und in menschlichen Begriffen denken kann. Da die Autorin ein paar Episoden ausgelassen hat, waren die meisten bereit, das gerade erschienene Buch, das daraus in der Edition Henrich entstand: „der baum denkt“ sofort bei ihrem Buchhändler zu bestellen.

Liegt es am Sujet, dass diese erste Zoom-Zusammenkunft so positiv geriet, ist doch die Linde von jeher ein magischer Baum. Schon Walther von der Vogelweide wurde von ihm um 1200 zu einem seiner schönsten Minnelieder „Unter der Linde“ inspiriert:

„Under der linden /Unter der Linde
an der heide, /an der Heide,
dâ unser zweier bette was, / wo unser beider Bett war,
dâ muget ir vinden / da könnt ihr schön
schône beide / gebrochen finden
gebrochen bluomen unde gras. / Blumen und Gras.
Vor dem walde in einem tal, / Vor dem Walde in einem Tal,
tandaradei, / tandaradei,
schône sanc diu nahtegal / sang die Nachtigall lieblich“.

Während Walthers Gedicht die Erinnerungen des lyrischen Ichs an eine Frau, an ihr geheimes und romantisches Treffen mit ihrem Geliebten beschreibt, und von ihm und dem wundervollen Ort, unter der Linde, wo sie sich trafen, schwärmt, hat Saskia Hennig von Lange in zwei Jahren eine zeitgenössische nachdenklich-konzentrierte Erzählung geschrieben, und das aus der Sicht und mit der Stimme der alten Gerichtslinde passend zu den Jahreszeiten.

In die neun Episoden der Erzählung wurde sogar eine Begegnung mit Eugen Kogon eingebaut, der sich nach dem Krieg auch in Oberursel aufgehalten haben soll, als er sein Standardwerk „Der SS-Staat“ schrieb. Aber ein bisschen „tandaradei“ ist auch dabei…

Saskia Hennig von Lange, geboren 1976 in Hanau, ist Schriftstellerin und Kunsthistorikerin. Für ihre Novelle „Alles, was draußen ist“ aus dem Jahr 2013 erhielt sie den Bayern 2-Wort-spiele-Preis und den Rauriser Literaturpreis. Ihr 2014 erschienener Debüt-Roman „Zurück zum Feuer“ bekam den Hallertauer Debütpreis und den Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidel-berg zugesprochen. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Frankfurt am Main 

http://www.saskiahennigvonlange.de/der-baum-denkt-buchtrailer/

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