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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

100. Geburtstag 2020 von Marcel Reich-Ranicki: Erinnerung an einen großen Abend in Köln

Das Leben, die Literatur und der Film

Berührende Filmpremiere der Verfilmung der Autobiographie von Marcel Reich-Ranicki, „Mein Leben“, im Kölner Cinenova 2009.

von Petra Kammann
(damals …IN RHEINKULTUR)

Und am Ende ein kleiner Nachtrag über ein Gespräch zwischen der Literaturkritikerin Ina Hartwig und Salomon Korn, langjähriger Freund und Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde, im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum, über Literaturkritik allgemein und über den Literaturkritiker Reich-Ranicki im besonderen

 

Hier der der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki 2009 bei der Premiere mit Matthias Schweighöfer, der ihn als jungen Mann und Katharina Schüttler, die seine Frau Tosia spielt, Foto: Petra Kammann

 

Applaus für den Kritiker und Verneigung vor dem Leben von MRR in Köln, Foto: Petra Kammann

Transkription des Artikels oben:

DAS LEBEN

DIE LITERATUR UND

DER FILM

 

Fabelhaft! Marcel Reich-Ranickis Autobiographie

in der gelungenen Verfilmung mit hervorragenden Schauspielern

von Dror Zahavi ist am

  1. und 15. April auf ARTE und ARD zu sehen

 

Bei der Premiere in Köln: großer Bahnhof. Vom

Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-

Brockhoff über den Geschäftsführer der Filmstiftung

NRW, Michael Schmid-Ospach, bis

zur WDR-Programmdirektorin Verena Kulenkampff.

Und auch Heinrich Breloer, Schöpfer

des großen Kinoerfolgs „Buddenbrooks“, erwies seine

Referenz. Alle wollten sie bei dieser Premiere des

Films dabei sein, der den schlichten Titel trägt: „Marcel

Reich-Ranicki: Mein Leben“ – und dabei natürlich

dem Autor selbst die Ehre geben.

Kann man solch’ eine Reflexion über das eigene Leben

in einen Film umwandeln, lassen sich die Worte, die

doch zugleich beschreiben und analysieren und kommentieren,

und – dies vor allem – dem auf sein eigenes

Leben zurückblickenden Autor wesensverwandt

 

F I L M

48 …in R(h)einkultur | 1/2009

FOTOS: WDR THOMAS KIST, DIRK PLABÖCK / PETRA KAMMANN

 

sind, in Bilder fassen, gar zu einer Bilderfolge werden?

Der WDR ging das Wagnis ein, mit tatkräftiger Unterstützung

auch der Filmstiftung NRW und des Kultursenders

ARTE, um daraus ein Ereignis für die ARD zu

machen. Für den Fernsehfilmchef des WDR, Gebhard

Henke, der bei der FAZ für Reich-Ranicki schrieb, ist

das Experiment der medialen Anverwandlung mehr

als gelungen – ein Urteil, dem die Premierengäste im

Kölner Cinenova Arthouse-Center mit viel Beifall zustimmten.

Die Erfolgsfaktoren? Da ist zunächst der Autor Michael

Gutmann, der die 500 Seiten der Autobiographie in

ein kongeniales Drehbuch verwandelt hat. Das ist der

Regisseur Dror Zahavi, der, „mit brennendem Herzen,

besonnener Klugheit und phantastischen Schauspielern

einen großartigen Film“ geschaffen hat, so Henke.

Und, da sind die Produzentin Katharina Trebitsch

und Benjamin Benedict, die in enger Zusammenarbeit

mit der verantwortlichen WDR-Redakteurin Barbara

Buhl das stete Gespür für das subtile Zusammenspiel

hatten, das ein Film erfordert – ein in sich kompliziertes

Teamwork, das die besten Energien vieler

Beteiligter zusammenbringen muss, wo der Buchautor

am Schreibtisch ganz mit sich alleine ist.

Was, ja was wäre gewesen, wenn Marcel Reich-Ranicki

diesen Film – ganz wie bei der Zurückweisung des

Deutschen Fernsehpreises im vergangenen Herbst –

„nicht angenommen“ hätte, wie Michael Schmid-

Ospach launig auf diese unvergessene und viel zitierte

Aktion anspielte? Auch der Kulturstaatssekretär

kam übrigens darauf zurück, gleichsam mit doppeltem

Ausrufezeichen die MRR-Verurteilung des Fernsehens

(„alles Blödsinn“) unterstützend: „Ich teile Ihre

Auffassung vollinhaltlich“. Was den Geschäftsführer

der Filmstiftung natürlich nicht daran hinderte,

ein Fernsehen zu loben, das eben auch Filme wie diesen

ermöglicht und hervorbringt, dass damit auch Teil

einer Kultur ist, die Nachdenklichkeit kennt und fördert

und nicht, wie es viele vorschnell festschreiben,

fortlaufend der seichten Unterhaltung huldigt.

Das Fernsehen ist tatsächlich zu großen Leistungen

imstande, auch solchen, wie sie den Beifall von Marcel

Reich-Ranicki finden würden, wenn er denn mehr übrig

hätte für jene Welt außerhalb der Bücher. Wobei,

nebenbei erinnert, er ja als schneidig-polternder Kritiker-

Dompteur im unvergessenen „Literarischen Quartett“

des ZDF durchaus dem medialen Affen Zucker

gegeben hat, und er sich dem Fernsehen auch sonst

nicht verweigert hat: Das zeigten beispielsweise auch

seine Aufgeschlossenheit und seine Zusammenarbeit,

als Lutz Hachmeister und Gerd Scobel vor drei Jahren

das MRR-Leben in einem differenzierten Dokumentarfilm

über ihn, „Ich Reich-Ranicki“, nachzeichneten.

Hier, im Zahavi-Film, ist das Dokumentarische weitgehend

nur im Stoff angelegt – in fiktionaler Anverwandlung

der Lebenserinnerungen Reich-Ranickis.

Vielleicht das Erstaunlichste an dieser Verfilmung der

Biographie: die Art, wie Matthias Schweighöfer sich

diese Lebensgeschichte – die ja vor allem eine Geschichte

des Überlebens ist, ein persönlicher Triumph

(aber kein triumphaler) über die Nazi-Barbarei – in

seiner Darstellung zu eigen macht, wie glaubwürdig

er Reich-Ranicki verkörpert, ihm ein junges Gesicht

und eine eindringliche Stimme gibt.

In der Beschränkung auf die Jugendjahre liegt natürlich

ein dramaturgischer Kunstgriff. Denn auf diese

Weise verdichtet sich die Geschichte, die aus einer

Rahmenhandlung entwickelt wird: Vier Jahre nach

Kriegsende wird Marcel Reich-Ranicki, damals polnischer

Vizekonsul, von London aus nach Warschau geschickt,

wo ihm die herrschenden Kommunisten ideologische

Entfremdung vorwerfen, ihn im Gefängnis

verhören lassen und ihm die Parteimitgliedschaft entziehen.

Daraus lassen sich, auch mit dem klassischen

Mittel der Erzählstimme aus dem Off, die Linien der

Kinder- und Jugendjahre ziehen – mit der Leidenszeit

im Warschauer Ghetto, den Überlebensängsten im

Versteck, der Liebesgeschichte mit seiner Ehefrau Teofila

(Tosia), dem Übergang in die Nachkriegszeit.

Sehr dicht sind viele dieser Szenen, welche sinnlich

über Bilder und Worte verstehen lassen, was diesen

jungen Mann umtrieb, mit welcher Leidenschaft er die

Literatur zu seiner Welt machte, so intensiv, wie es

vielleicht kein anderer Kritiker je getan hat. Unterdrückung

in den jungen Jahren seines realen Lebens,

das ihn – den 1920 geborenen polnischen- Juden, der

 

KÖLN: EIN BLITZGEWITTER

 

Marcel Reich-Ranicki wurde bei seiner Ankunft in Köln von

Journalisten und Bildreportern bestürmt.

Barbara Feiereis (WDR) begleitete ihn zur Veranstaltung

 

 

in Berlin zur Schule ging, dort eigentlich Theaterkritiker

werden wollte, dann jedoch nach Polen deportiert

wurde, ab 1940 dann die schrecklichen Verhältnisse

des Warschauer Ghettos erleben musste -, prägte. Freiheit

dann im souveränen Ausmessen des Reiches der

Literatur: ein ungeheurer Bogen. Ein Bogen, der selbst

unermesslich scheint. Aber Gutmann als Autor und

Zahavi als Regisseur schaffen es, all diese Momente

der stets existentiellen Unbdedingtheit situativ zu verdeutlichen

und in die richtigen Bilder umzusetzen.

Wobei nicht nur Matthias Schweighöfer als Marcel

Reich-Ranicki und Katharina Schüttler als Ehefrau Tosia

diese Lebensphasen überzeugend darstellen, sondern

auch die weiteren Darsteller die menschlichen

Konstellationen sehr glaubhaft machen – von Vater

(Joachim Król) und Mutter (Maja Maranow) bis zum

verhörenden Kommissar (Kriytsof Kawalerowicz).

So lässt der Film die entscheidenden Jahre einer außergewöhnlichen

Lebens- und Liebesgeschichte anschaulich

und lebendig werden. Und damit lässt er

verstehen und nachempfinden, unter welchen Umständen

eine Karriere ihren Anfang genommen hat,

die tatsächlich einmalig ist in ihrer Ausprägung: aus

dem Ghetto entkommend zum medial hochpräsenten

Literatur-Papst“ zu werden, wie es als Bezeichnung

üblich wurde: brillant in der Rhetorik, leidenschaftlich,

streitbar, einflussreich in den Institutionen – so

als vorwärtstreibender Literaturchef der Frankfurter

Allgemeinen Zeitung – und ebenso einflussreich

durch seine zahlreichen Auftritte als Einsprecher, ein

Vermittler, ein Groß-Kritiker, eine Instanz des öffentlichen

Lebens.

Und er, der große MRR, was sagte er nach der Premiere

in Köln (intern soll er nach der ersten Vorführungdas

Ergebnis als „fabelhaft“ beurteilt haben) ganz

schlicht: „Ich kann nichts sagen. Ich kann nur danken,

danken allen, die hier mitgewirkt haben. Ich danke

euch allen.“ Ein großer Abend. Petra Kammann

DEPORTATION UND FLUCHT

 

Marcel und Tosia gelingt die Flucht vor der Deportation.

Ein Schriftsetzer (gespielt von Sven Pippig) versteckt die beiden

in seinem Keller, wo sie tagsüber ausharren

…in R(h)einkultur | 1/2009 5 1

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Ein kleiner Nachtrag: „Meine Heimat ist die Literatur“

Dieses Zitat von Marcel Reich-Ranicki ist auf einer Gedenktafel vor dem ehemaligen Wohnhaus des Literaturkritikers und seiner Frau Teofila in der Gustav-Freytag-Straße 36 verewigt, wo das Ehepaar von 1974 bis zu seinem Tode lebte. Das Thema, welches mit dem Zitat verbunden ist, stand auch im Mittelpunkt eines sachlich sehr interessanten Gesprächs im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum zwischen Salomon Korn und Ina Hartwig über ihre Erfahrung mit Marcel Reich-Ranicki als Literaturkrikerin.

Währenddessen erinnerte ich mich an einen bewegenden Moment, als Reich-Ranickis Sohn Andrew noch zur Einweihung dieser Ehrenplakette vor seiner Frankfurter Wohnung kam. Leider gibt es den warmherzig klugen Wissenschaftler auch nicht mehr. Die Familie war dazu eigens aus England angereist. Auch hier waren Ina Hartwig und Salomon Korn präsent. So schloss sich ein wenig der Kreis.

↑ Die Kulturdezernentin und Literaturkritikerin Ina Hartwig (li) würdigte auch damals den wortgewaltigen und streitbaren Kritiker; hier mit Andrew Reich-Ranicki und Petra Roth bei der
Einweihung der Ehrenplakette in der Gutav-Freytag-Straße für Marcel Reich-Ranicki im Dezember 2016
↓ Salomon Korn (re), Der langjährige Freund und Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde, 
diskutierte 2020 im Gemeindezentrum mit Ina Hartwig, Fotos: Petra Kammann 

Ina Hartwig hatte damals über ihren Besuch bei dem gefürchteten Literaturkritiker gesprochen. Im Gespräch mit Salomon Korn erläuterte sie ihre eigene Position, die theoretischer angelegt war, zollte dabei dem Kritiker MRR , der den Deutschen auf besondere Weise die deutsche Literatur nahebrachte, großen Respekt. Korn würdigte den wortgewaltigen und streitbaren Kritiker und den Menschen, der nicht nur in Frankfurt mit seiner Frau Teofila seine Wahlheimat fand, sondern auch von 1988 bis 1997 das Literaturforum aus dem Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum leitete.

Das Gespräch in der Jüdischen Gemeinde war angenehm differenziert. So wünschte man sich den / die / ein oder andere Zeitgenossen(in). Man muss nicht alles verherrlichen, um Position zu beziehen, man kann dem Gegenüber durchaus den nötigen Respekt entgegenbringen, auch wenn die Positionen nicht zwangsläufig die eigenen sind… Das von der Journalistin Shelly Kupferberg hervorragend moderierte Gespräch setzte einen Standard für mediale Auseinandersetzung.

Das sollte wirklich Schule machen… pk

Auch der Familienzusammenhalt der Reich-Ranickis ist/war vorbildlich

 

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