Strahlende „Schöpfung“ von Joseph Haydn in der Alten Oper Frankfurt
Und es ward Licht! Haydns Oratorium mit himmlischem Gesang
Im ersten Sinfoniekonzert des neuen Jahres versammelte Chefdirigent Sebastian Weigle für Haydns wohl bahnbrechendes Werk Die Schöpfung am vergangenen Sonntag und Montag des Januars alle vier großen Frankfurter Chöre um das Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Als Solisten sangen die Ensemblemitglieder der Oper Frankfurt Florina Ilie (Sopran, vom Opernstudio), AJ Glueckert (Tenor) und Anthony Robin Schneider (Bass, beide vom Ensemble der Oper Frankfurt).
Eindrücke von Petra Kammann
Heute ist statt von Schöpfung wohl eher vom Urknall die Rede. Wie auch immer: die Schöpfung, der Beginn allen Seins, ist und bleibt ein menschliches Urerlebnis. Die Bibel hat diese Urerfahrung mit einer konkreten Geschichte ausgemalt. 1796 begann Joseph Haydn mit der Komposition seiner Schöpfung, die in drei Teilen von der Erschaffung der Welt, der Geschöpfe und der Menschen berichtet, und zwar nach einer anonymen englischen Dichtung, die an Gottfried van Swieten (1733-1803) geriet, der sie eigens für Händel leicht umgeschrieben hatte, die Händel seinerseits aber nicht vertonen wollte.
Da 1798 nach der Uraufführung der Komposition unter Leitung des Komponisten Joseph Haydn das Werk begeisterte Zuhörer aus allen sozialen Schichten bekam und bahnbrechend für die Gattung Oratorium wurde, maß Haydn dem Chor von da an deutlich mehr Gewicht bei. Große Amateurchöre wirkten mit, so bereits auch in der Frankfurter Aufführung im Jahre 1816, und später, 1861 dann, bei der Eröffnung des neuen und prächtigen Konzertsaals „Saalbau“ in Frankfurt.
In der Alten Oper standen Ende Januar 2020 nun der Cäcilienchor Frankfurt, der Figuralchor Frankfurt, die Frankfurter Kantorei und die Frankfurter Singakademie in den Rängen über dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester nicht nur geschlossen beieinander, sondern waren auch dank Weigles tansparenten Dirigats bestens aufeinander ein- und abgestimmt, um das Sechstagewerk Gottes zu preisen.
Die Schöpfungsgeschichte wird von den drei Erzengeln Gabriel, Uriel und Raphael berichtet. Unterstützt werden sie vom Chor, der anfangs als Chor der Engel zunehmend zum Chor der von Gott geschaffenen Natur wird. Die Erzählweise des Oratoriums ist mal episch berichtend, mal dramatisch, im dritten Teil mit den agierenden Figuren Adam und Eva nahezu opernhaft angelegt. Die ersten vier Tage der Schöpfung, die im ersten Teil dargestellt werden, beschreiben die Erschaffung des Lichts, der Himmelskörper und der Erde, aber auch des Wassers, des Wetters und der Pflanzen in lebendigen Bildern.
Doch fangen wir ganz von vorne an, als die Erde noch formlos und leer war und die Geister über den Wassern schweben. Da ertönt erst einmal ganz leise, zart und leicht verschleiert die Musik, die das dunkle Chaos andeutet. Fast nur gehaucht berichtet der Chor vom ersten Schöpfungsakt. Und der „Erzähler“ Raphael hebt auch ebenso zurückgenommen mit den Worten an: „Finsternis war auf der Fläche der Tiefe“. Umso gewaltiger und überwältigender klingt dann das … „und es ward Licht“, wenn mit einer Art Urgewalt fortissimo die vier Chöre ins C-Dur wechseln.
Schon hier deutet sich Haydns unerschütterliches Bekenntnis zur „Aufklärung“ an mit ihrem optimistischen Welt- und Menschenbild, was einem heute in manchen naiv erscheinen mag. Dennoch ist die Schöpfung des Herrn für ihn nicht etwa Anlass zu frommer Demut, sondern tendiert eher zu einer der Schönheit und der Welt zugewandten Lebensfreude. Bei der „Erschaffung der Welt“ geht es daher auch jeweils in einer völlig anderen Stimmung weiter.
So durchzieht der Wechsel zwischen Helligkeit und Dunkelheit das gesamte Stück, das bewegt und besonders gelungen vom österreichisch-neuseeländischen Bass-Rezitator Raphael (Anthony Robin Schneider) besungen wird, mal leise und zart, so, wenn der „leichte flockige Schnee“ fällt, mal feurig, wenn sich „ungestüm das Meer“ bewegt.
Der amerikanische Tenor-Rezitator Uriel (AJ Glueckert), anfangs sehr zurückhaltend, gewinnt an Kontur, wenn er den Gegensatz von aufgehender Sonne und schleichendem Mond besingt. Und der „Chor der Chöre“ lässt schon im ersten Teil der Schöpfung den Lobgesang förmlich strahlend erschallen, wenn „Himmel und Erde in herrlicher Pracht bekleidet“ werden, und wenn „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ als Schluss dieses Teils gesungen wird.
Fast romantische Töne klingen im zweiten Teil der Schöpfung an, wenn Gott die Tiere erschafft. Tiere, die Haydn auch tonmalerisch präsentiert. Man glaubt förmlich die echten Naturgeräusche durchzuhören zum Beispiel bei der Darstellung des Lerchengesangs, des girrenden Taubenpaars, des brüllenden Löwen, des gelenkigen Tigers, des surrenden Insektenschwarms oder des kriechenden Gewürms, bevor die Musik textlich aufgegriffen wird.
Flirrend leicht klingt es da in Gabriels Arie (Florina Ilie), in der auch die Töne imitierend durch die Flöte aufgegriffen werden, dunkel und tief, unterstrichen durch Celli und Bass bei der Erschaffung der Walfische und ganz tief „am Boden das Gewürm“. Einen glasklar wahrnehmbaren Wettstreit im Rühmen liefert sich das Terzett von Gabriel, Uriel, Raphael und Chor. Bei der Erschaffung des Menschen, als Höhe- und Schlusspunkt des Zweiten Teils schwillt der Chor so stark an, dass es fast etwas martialisch klingt. Nun ist der Mensch laut Genesis ja wohl auch abhängig von Gottes Odem.
Großer Applaus für das Orchester und seinen Dirigenten, für die Chöre und die Solisten, Foto: Petra Kammann
Geradezu schmeichlerisch beginnt hingegen der dritte Teil der Schöpfung mit einem „süßen Klang“. Hier hat bei der Erschaffung von Adam und Eva vor allem Eros die Hand im Spiel. Florina Ilie als Eva bezaubert das Publikum durch ihren leichtfüßigen Sopran, der das reine Glück und die Lebensfreude verströmt, gesteigert im strahlenden Duett mit Adam: „Mit dir erhöht sich jede Freude, mit dir genieß ich doppelt sie, mit dir ist Seligkeit das Leben, dir sei es ganz geweiht!“
Die paradiesische Stimmung des Oratoriums wirkte so ungetrübt, dass nicht nur der Applaus kaum enden wollte, sondern die Frankfurter Museums-Gesellschaft die Idee hatte, im Anschluss an das sonntägliche Konzert sogar noch zu einem Glas Geldermann-Sekt ins Hindemith-Foyer einzuladen. Eine schöne Geste, die dem Lobgesang entspricht, vor allem zum Beginn eines neuen Jahrzehnts in derzeit eher trüber Stimmung.