„Museum“ – (2)
– Ausstellung im MUSEUMMMK FÜR MODERNE KUNST (2)
Von Erhard Metz
Seit langem ist es an der Zeit, die Ausstellungen „Museum“ im Frankfurter MUSEUMMMK FÜR MODERNE KUNST und in dessen Dependance ZOLLAMTMMK in Erinnerung zu rufen beziehungsweise besser gesagt deren herannahendes Ende, am 16. Februar 2020 nämlich, übrigens just an dem Tag, an welchem auch die Super-Blockbuster-Ausstellung „Making Van Gogh“ im Städel Museum ihr Ende findet.
Gavin Turk, Spent Match, 2005, Ausstellungsansicht, bemalte Bronze, 4,1 x 0,3 x 0,3 cm, Sockel mit Plexiglashaube
Während nun in „Dribbdebach“ – soviel Kenntnisse an heimatkundlichen Vokabeln möchten wir den geneigten Leserinnen und Lesern abverlangen dürfen – die Zuschauer sich im Gedränge gegenseitig fast schon Rippenstöße verpassen, kann man sich glücklich schätzen, im „hippdebachschen“ MMK manches Mal selbst in einem der großen Ausstellungssäle mit sich und seinen Gedanken allein sein zu dürfen – ein Geschenk der wundersamen Art, wenn am Ende nicht doch noch eine mit etwas peinlich anmutendem Pedell-Kittelchen verkleidete Aufsichtsperson den Genuß von Ruhe und Kontemplation, wenn auch nur vorübergehend hereinhuschend, beeinträchtigte (wir würden besagte Damen und Herren allzu gern von diesem schrulligen Dienstkleid erlösen und ihnen wieder zeitgerechte Kostüme und Anzüge gönnen).
Vom Kleinsten zum Größten
Zwei Werken möchten wir uns – gewissermaßen vor Toresschluß und pars pro toto – im Rahmen dieser Ausstellung widmen, die wir sehr schätzen und deshalb wiederholt aufgesucht haben. Sie mögen für all das stehen, für das diese Ausstellung mit dem ungewöhnlichen, sicherlich oft (gar meist?) unverstandenem Titel „Museum“ bürgt, so wie wir bereits im ersten Teil unserer Betrachtungen schrieben: Es ist gleichsam ein Befreiungsschlag, den wir hier erleben können, nicht allein übrigens für das Haus und die Exponate, sondern auch wir als Besucher fühlen bei unseren Rundgängen alsbald, wieviel freier wir atmen, freier empfinden, freier mit der immer noch einzigartigen Architektur des Hollein-Baus und den von ihr umfangenen Werken kommunizieren können.
Gavin Turk
Zu den kleinsten Arbeiten, die man im MMK antreffen kann, gehört sicherlich „Spent Match“ von Gavin Turk aus dem Bestand des Museums. Man kann sie leicht übersehen in ihrem gleißend weiß erleuchteten kleinen Kabinettchen in der Ebene 1, rechts ein paar Stufen hinauf vor dem großen Dreieckssaal und verborgen unter einer Haube aus Plexiglas: ein verwendetes Streichholz! Nun ist es keineswegs, wie man zunächst vermuten mag, ein winziges Objet trouvé, kein vorgefundenes Readymade: Zu unserem Erstaunen lesen wir, dass es sich um eine Skulptur aus Bronze handelt, bemalt in der Erscheinung eben eines entzündeten und wieder verloschenen Streichholzes. Ein mit einigem Aufwand hergestelltes Kunstwerk also. Eine Seite des winzigen Vierkants hat der Künstler mit seinen Initialen signiert und ebenso mit der auf 05 verkürzten Jahresangabe und der Auflage 1/40 beschriftet.
Gavin Turk, Spent Match, 2005, bemalte Bronze, 4,1 x 0,3 x 0,3 cm, Sockel mit Plexiglashaube
Mancherlei mag uns in den Sinn kommen. Der Mensch und das Feuer vielleicht. Prometheus. Als Zeus den Sterblichen auf der Erde das Feuer verweigerte, stahl es ihm Prometheus und brachte es den Menschen. Zeus‘ Strafe war furchtbar: Er fesselte den Frevler an das Kaukasusgebirge, wo ihm ein Adler immer aufs neue die nachwachsende Leber fraß. Aber die Menschen hatten nun das Feuer, und es gereichte ihnen gleichermaßen zum Segen wie zum Fluch. Ein Funke entzündet alle Geschosse und Bomben dieser Welt. Und wenn nun ein von Menschen achtlos beiseite geworfenes Streichholz die katastrophal-gewaltigen Wald- und Buschbrände in Australien ausgelöst hätte?
Gavin Turk, 1967 in Guildford/Großbritannien geboren, studierte am Chelsea College of Arts and Design und anschließend am Londoner Royal College of Art. Er wird den YBA, den Young British Artists zugerechnet, einer Künstlergruppe, die sich jedoch so nie gebildet hatte. Turk, dessen Arbeiten weltweit gesammelt und ausgestellt werden, ist Professor für Kunst und Design an der Bath Spa University in Bath.
Jana Euler
Zu den an räumlicher Größe markantesten Werken, die derzeit im Rahmen der Ausstellung „Museum“ im Museum MMK zu sehen sind, gehört zweifellos das Triptychon der Frankfurter Künstlerin Jana Euler. Die vertikal angeordnete Trilogie, bestehend aus zwei Gemälden und einem Wandrelief mit den Titeln (von oben nach unten gelesen) „Augenblick“, „Ursprung“ und „Tod“, erstreckt sich über die beiden oberen Ebenen im zentralen Treppengefüge des Hauses. Man sollte die Treppen wiederholt hinauf- und wieder hinabsteigen, über die Verbindungsbrücke in der oberen Ebene gehen und sich auf diese Weise dem Gesamtwerk aus verschiedenen Blickwinkeln und Abständen nähern und sich entsprechende Betrachtungs- und Erlebnisräume erschließen.
Jana Euler, MMK Triptychon / Augenblick, 2019 / Ursprung, 2019 / Tod, 2019, Originalansicht von einem mittleren Standpunkt im zentralen Treppenhaus des MMK
Im obersten Bereich sehen wir ein relativ kleinformatiges Selbstporträt der 1982 im hessischen Friedberg geborenen Künstlerin. Eine junge Frau, mit unbekleideten Schultern, trinkt, die Hälfte des Gesichts verdeckend, aus einer Tasse, deren Henkel sie dem Betrachter entgegenhält. Mit dem rechten Auge blickt sie über den Tassenrand, ihr nachdenklich-grüblerischer Blick geht an demjenigen des Betrachter vorbei. Davor, auf der Brüstung der kleinen Brücke, die die Hälften der oberen Ebene miteinander verbindet, als Relief ein stilisiertes weibliches Geschlecht, gänzlich in weiß. Unterhalb, in Höhe der zweiten Ebene, ein großformatiges Tafelbild, sein Titel: „Tod“.
Eine Künstlerin blickt vielleicht in einem Augenblick ihres künstlerischen Wirkens, ihres Lebens zurück, auf den Ursprung, den Mutterleib, den Ort der Empfängnis und der Geburt. Und sie schaut, vielleicht, in eine Zukunft, auf ein Leben, das sich dereinst im unausweichlichen Tod vollenden wird. Ein Tod in einem kühlen, labormäßig, klinisch anmutenden Raum? Man könnte unschwer den Blick in eine Tomografenröhre assoziieren. Es ist jedoch der Blick in den gespiegelten, spitz zulaufenden Dreiecksaal der mittleren Ebene des Museums im Rücken des Betrachters, aus dessen von konzentrischen Kreisen gebildetem Mittelpunkt heraus sich Schläuche oder Rohre zum Betrachter hin erstrecken.
Vielfältige Assoziationen und Deutungen können sich im Anblick des Triptychons einstellen, die Themen Geburt, Leben und Tod gibt Jana Euler in dieser Trilogie vor. Mit dem Motiv „Tod“ – erkennbar dem gespiegelten Dreiecksaal des Museums – schlägt sie eine Brücke zwischen ihrem Leben und ihrer Kunst, wie zur Kunst allgemein in deren institutionellem Kontext. Der museale Raum als Weihestätte, als Mausoleum der Kunst?
Die Städelschülerin, die 2008 ihr Studium bei den Professoren Thomas Bayrle und Michael Krebber als Absolventin abschloss und zusätzlich ein Jahr an der Glasgow School of Art studierte, kann bereits auf eine sehr erfolgreiche künstlerische Karriere zurückblicken mit zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland. Sie erhielt ein Atelierstipendium der Hessischen Kulturstiftung in Paris und im Jahr 2018 den begehrten, mit 15.000 Euro dotierten 1822-Kunstpreis der Frankfurter Sparkasse. In Erinnerung bleibt ihre bemerkenswerte Ausstellung „In it“ 2016 im Frankfurter Portikus. Und nun die Adelung mit der Ausstellung und dem damit verbundenen Ankauf eines großen Werkes im Frankfurter MMK, einem der bedeutendsten Museen für zeitgenössische Kunst in Europa, wenn nicht weltweit!
Jana Euler, MMK Triptychon / Augenblick, 2019, Öl auf Leinwand, 90 x 110 x 2 cm
Eine Ausstellung vergleichbarer Art wie diese, „Museum“ betitelte, im Frankfurter MMK wird es im näheren wie entfernteren Umkreis in absehbarer Zeit kaum mehr zu sehen geben. Deren Besuch möchten wir unseren Leserinnen und Lesern durchaus mit einigem Nachdruck ans Herz legen!
„Museum“ im MUSEUMMMK FÜR MODERNE KUNST Frankfurt am Main, noch bis Sonntag, 16. Februar 2020
Fotos: Erhard Metz
→ Vexierspiel, Perspektive und Spiegelung: „In it“ von Jana Euler im Frankfurter Portikus