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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ernst Kahls „Vergessene Katastrophen“ im Caricatura

Multitalent mit Hang zum Absurden und Skurrilen – Caricatura vor „musealem Brexit“

Von Hans-Bernd Heier

Das Caricatura-Museum in Frankfurt ehrt den Karikaturisten Ernst Kahl zum 70. Geburtstag mit der großartigen Einzelausstellung „Vergessene Katastrophen“. Der in Schleswig-Holstein geborene Künstler ist ein wahres Multitalent: Er ist Maler, Zeichner, Autor, Lyriker, Musiker, Drehbuchschreiber und Schauspieler. Kritiker bezeichnen ihn voller Achtung als „Feingeist der Hochkomik“, „Poet des Alltäglichen“ oder „Magier des Undenkbaren“.

Plakat; © Caricatura-Museum

In der großen Retrospektive im Leinwandhaus erfreuen rund 100 farbige Acrylgemälde sowie 180 Tusche- und Aquarell-Zeichnungen die Besucherinnen und Besucher. Darüber hinaus sind Installationen, Collagen, Fotomontagen, kleine Objekte und Filme zu sehen. Dabei werden die Gäste schnell feststellen, dass bei dem Künstler, dessen Name aus zwei Adjektiven besteht, keines zutrifft: Er ist weder ernst noch kahl. Eigener Aussage zufolge interessiert den Meister der komischen Kunst die große Politik nicht wirklich, ihn reizen die kleinen komischen Geschichten des Alltags, Randgeschehnisse, Abstruses und für Moralisten bisweilen schwer Verdauliches.

Kahls originelle Schöpfungen irritieren und provozieren: Mit seinem breiten Repertoire an Mal- und Zeichentechniken und mit dem Einsatz unterschiedlichster Materialien setzt er ganz bewusst auf Brüche. Mit Kugelschreiber entstehen obszöne, dilettantisch wirkende Zeichnungen und drastische Geschichten zeichnet er mit kindlichem Strich. Auch motivisch sprengt Kahl Konventionen und durchbricht vertraute Welten alter Ölgemälde, in die er seine Geschichten einbaut und das Erhabene der „Hochkunst“ mit trivialen Elementen kontrastiert, wie bei dem Bild „Echte Witzfiguren vor gefälschten Picassos“. Strichmännchen, halt Witzfiguren, betrachten meisterhaft gefälschte Gemälde des Jahrhundert-Künstlers.

Achim Frenz, Leiter des Caricatura, des „schönsten Museums der Welt“, beim Presserundgang durch die laut Ernst Kahl (rechts) „schönste Ausstellung“; Foto: Hans-Bernd Heier

Der Künstler mit dem ausgeprägten Selbstbewusstsein wurde am 11. Februar 1949 in Kirchbarkau, Kreis Plön, Schleswig-Holstein geboren. Er hat eine ziemlich verkorkste Jugend hinter sich. Schon als Kind flüchtete er vor dem strengen Elternhaus in Phantasiewelten und entdeckte das Malen und Zeichnen. Seine ausgeprägte Liebe zu Akribie und Details stießen sowohl bei seinem Vater, aber auch bei seinen Lehrern auf Unverständnis. Zwei Lehren brach er vorzeitig ab. Auch das Kunststudium, zu dem er ohne Abitur zugelassen wurde, beendete Kahl nicht, da die Kunsthochschule ihm ein Gräuel war. Weitere Stationen seines keineswegs geradlinigen Lebenswegs waren Zivildienst als Leichenwäscher in einem Hamburger Krankenhaus, Hilfslehrer auf Hallig Hooge und ein Aufenthalt in Dänemark. Nach gut zwei Jahren hielt er, wie Kahl auf der Pressekonferenz berichtete, „die Freundlichkeiten der Menschen nicht mehr aus“, und kehrte 1980 nach Norddeutschland zurück. Zu viel Idylle erträgt der Künstler nicht.

„Der Eisprung“; © Ernst Kahl

Zurück in Hamburg betätigte sich das Multitalent als freischaffender Künstler: In der Chaos-Combo „Die Trinkende Jugend“, später bei „Ernst Kahl & Kayser“, war er mal Sänger, mal Gitarrist, mal Schlagzeuger und veröffentlichte Musik-CDs. Er trat in Kneipen mit Diashows auf und präsentierte dort seine humorvollen Cartoons, die er zu Bildergeschichten aneinanderreihte. Zudem veröffentlichte er Kolumnen, Cartoons und Bildergeschichten in „Pardon“, „Konkret“, „Titanic“, „Stern“ und anderen Publikationen, in denen er hintergründig den Tod, das Hässliche, Spielarten der Sexualität und die allgemeine menschliche Niedertracht, teils bitterböse thematisiert.

Museumsleiter Frenz erläutert: „Stets steht der offene Kontrast zu seinen Botschaften im Vordergrund. Grenzen überschreitend entlarvt Kahl die tiefen menschlichen Abgründe, das Verborgene, das eigentlich Undenkbare. Frei von althergebrachten Grenzen und Sehgewohnheiten adaptiert er Motive, Kunstmittel, Bildformen und -gattungen, zitiert und verfremdet, hebt stilistische Grenzen auf“. Beliebte Sujets in seinen ironischen, witzigen und absurden Gemälden, Aquarellen und Cartoons sind – neben Menschen in allen Schattierungen – Essen und Trinken auch die Tierwelt.

Der  Parvenü relaxt auf Sylt“, Installation; © Ernst Kahl; Foto: Hans-Bernd Heier

Seinen künstlerischen Durchbruch erreichte Kahl mit dem dreibändigen „Bestiarium Perversum“ 1985. Mit voyeuristischem Blick spießt er das aus seiner Sicht perverse Verhältnis des zivilisierten Menschen, vor allem der Stadtmenschen, gegenüber dem Tier auf. Ein Riesen-Erfolg wurde auch „Kahls Tafelspitzen“, die von 1992 – 2010 in dem Magazin „Der Feinschmecker“ erschienen. In diesen im altmeisterlichen Stil gemalten Arbeiten wandelte er Sprichwörter und Redensarten kulinarischen Inhalts in urkomische Bilder um. Eine erfrischende Auswahl ist in der Schau im Caricatura zu sehen, beispielsweise „Bienenstich“. Auf dem farbigen Gemälde ist eine Serviererin mit einer aufgrund  eines Insektenstichs heftig geschwollenen roten Nase zu sehen, die traurig Kaffee und Kuchen serviert.

„Unheimlicher Gast“; © Ernst Kahl

Im Laufe der Jahre hat sich Kahls Malstil sichtbar geändert: Arbeitete er zunächst sehr akribisch, bis hin zur lavierten Sepiafederzeichnung, so bevorzugt er heute Filzstift und malt ohne Vorzeichnung. Die dargestellten Themen beschäftigen ihn allerdings weiterhin und er variierte diese später bisweilen noch. Das zeigt das opulente, noch druckfrisch im Verlag Antje Kunstmann erschienene Begleitbuch. Bei der „Waschbär-Plage“ hat es sich ein Tier in der Badewanne  bequem gemacht und davor ist ein Junge in Badehose mit Schnorchel zu sehen. In der überarbeiten Fassung, die auf dem Ausstellungsplakat gezeigt wird, hält der Bub zusätzlich eine Harpune in der Hand – dadurch wirkt das Bild noch absurder und komischer.

Kahl machte sich auch im Filmgeschäft schnell einen Namen: Er schrieb Drehbücher zum Kassenschlager „Werner beinhart!“ (1989), zu „Wir können auch anders“ (1993), für das er den Bundesfilmpreis erhielt, und für „Die drei Mädels von der Tankstelle“ (1997). Zudem drehte er eigene Kurzfilme und trat als Schauspieler u.a. in „Ein Lied von Liebe und Tod – Gloomy Sunday“ (1999) in der Rolle des Zeichners Ferenc Torresz auf. Im Museum für Komische Kunst ist das filmische und musikalische Schaffen Ernst Kahls an Audio- und Videostationen zu sehen.

Der  vielseitige Kahl, der in Kunst und Komik neue Maßstäbe setzte, ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden: darunter der Göttinger Elch für sein Lebenswerk 2007, der Wilhelm-Busch-Preis 2011 und schließlich 2014 der Sondermann-Preis für Komische Kunst.

Er ist mit der Künstlerin Eva Muggenthaler verheiratet, mit der er zwei Kinder hat. Die Familie lebt bei Husum und in Hamburg.

Das Caricatura-Museums steht derweil vor einer ungewissen Zukunft. Seit geraumer Zeit steht die Loslösung des Hauses vom Historischen Museum, dessen Unterabteilung es derzeit ist, im Raum. Trotz des „musealen „Brexit“ hat Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer des  Kulturfonds Frankfurt RheinMain, angesichts der Qualität des Ausstellungsprogramms die Kooperation des Fonds zugesagt, der auch die aktuelle, äußerst unterhaltsame Schau großzügig unterstützt. Die Präsentation „Vergessene Katastrophen“ ist bis zum 12. Mai 2019 im Caricatura Museum Frankfurt zu erleben.

Weitere Informationen unter: www.caricatura-museum.de

Abbildungsnachweis, sofern nicht anders bezeichnet: Caricatura Museum

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