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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Dreimal Musik: im Friedrich-von-Thiersch-Saal, in der Alten Oper, im HR-Sendesaal

Das Auge hört mit

Von Uwe Kammann

Der prächtige Friedrich-von-Thiersch-Saal in Wiesbaden zum Jubiläum der Kronberg Academy

Klassische Musik in der Krise? Das konstatieren manche Auguren. Wiederum andere bezweifeln das, sehen auch Wandel und Frische im Publikum. Was auf jeden Fall stimmt: An schönen Konzertsälen mangelt es nicht, es gibt sogar einen richtigen Boom bei Neubauten. Spektakulär bei der Elbphilharmonie, voll raffinierter Eleganz beim Pierre-Boulez-Saal in Berlin, in harmonischer Verbindung mit einer alten Kirche in Bochum, in München großzügig bei gleich zwei Vorhaben: dem Komplettumbau des Gasteig und einem Neubau auf einem alten Industriegelände. Auch die RheinMain-Region wird verwöhnt werden: mit dem Bau eines Kammermusiksaals in Kronberg, der zentraler Teil des Casals-Forums wird – was wiederum die Arbeit der sehr erfolgreichen Kronberg Academy weiter beflügeln wird.

Jetzt, zum 25jährigen Bestehen, konnte die Akademie den entstehenden Saal, dem ein geschwungener Kupferhut als Dach aufgesetzt wird, noch nicht nutzen. Also zog sie zum Jubiläumskonzert ins glanzvolle und hochrepräsentative Wiesbadener Kurhaus, um im Thiersch-Saal die Jubelklänge anstimmen zu lassen – mit dem Chamber Orchestra of Europe und einer Handvoll der berühmten Dozenten und Absolventen der Akademie – von Christian Tetzlaff und Vilde Frang über Yuri Bashmet und István Várdai bis hin zu Gidon Kremer, dem ewig jungen Elder Angel dieser inzwischen weltweit renommierten Einrichtung.

Es ist nicht verwunderlich, dass zur Feier des Jahres/Tages das Programm eher konventionell ausfiel, mit Bach-Konzert für zwei Violinen, mit einer Tschaikowsky-Nocturne und einer Schubert-Polonaise. Allein ein 1994 entstandenes, von Gidon Kremer mit höchster Subtiliät interpretiertes Konzert zu Dritt für Violone, Viola, Cello und Kammerorchester – von bitterster und zartester Melancholie – brachte einen Hauch zeitgenössischer Musik zum festlich gestimmten Publikum.

Eine Festgesellschaft, die dann zum Schluss in höchst schwungvoller, fast ausgelassener Weise auf den Jubiläumsempfang eingestimmt wurde: mit Mozarts Jupitersinfonie, bei der sich der Komponist hochgemut zeigt, mit immer neuen Variationen einer gleichsam vorwärtstürmenden Musik. So jedenfalls klang es beim Chamber Orchestra of Europe, in überaus forscher und frischer Interpretation – fast könnte man von jugendlichem Ungestüm sprechen oder, besser gesagt, schwärmen.

Denn auf diese Weise klang nichts mehr bei diesem so oft als Stimmungsaufheller verbrauchten Stück lediglich eindimensional oder mechanisch, sondern es entwickelte sich ein inneres Tempo – modern gesagt: ein drive–, das alle mitnahm. Wer die erste Geigerin, Stephanie Gonley, im Blick hatte, verstand sofort, wie ihr Temperament dem inneren Gefüge des Spiels den Stempel aufdrückte – und wie genau dies einer inneren Bewegung und einem internen Verständnis des Orchesters entsprach,  das stets ohne Dirigent spielt. Eben, weil es sich selbst in seinem Vor-Verständnis, seiner Interpretationslinie und seiner eigenen inneren Spannung dirigiert.

Besonders reizvoll dabei in Wiesbaden: der Kontrast dieses unkonventionellen Spiels mit dem äußeren Rahmen. Der Saal im prunkvollen Kurhaus mit seiner imposanten Kuppel ist nämlich keineswegs ein Haus voller Pathos-Kitsch, den der Kaiser so liebte. Im großen umlaufenden Schriftband unter der spannungsreich gewölbten Kassettendecke ist er übrigens in Großbuchstaben verewigt, als IMPERATORE, der 1907 zur Eröffnung höchstpersönlich in Anspruch genommen wurde.

Der Namenspatron des Hauses und des Saals, der Architekt Friedrich von Thiersch, hatte auch Technisch-Modernistisches im Sinn, spielte bereits mit Vorelementen des Jugendstils, welche in glänzendem Gold die Bühnenwand hinter dem Orchester eine elegant-heitere Note beherrschen. Darüber beschwört ein antike Wagenszenerie einen Götterhimmel, streng angeordnete Sternenornamente an der Decke lassen ein Firmament der gezügelten Sehnsucht entstehen. Offensichtlich also, dass in diesen Visionen des Architekten (der mit der Frankfurter Festhalle und dem Münchner Justizpalast ebenfalls seine modernen Züge bewiesen hat) diese vom Chamber Orchestra of Europe so frisch vorgetragene Jupiter-Sinfornieeinen besonderen Ort gefunden hat.

Schlicht und funktional: der Konzertsaal der Alten Oper ©Alte Oper Frankfurt / Tabor Pluto

Nur zwei Tage später war sie wieder in der Region zu hören, diesmal in der Alten Oper in Frankfurt. Wer dafür empfindsam ist, konnte nur staunen, wie hier die Interpretation durch das Orchestre des Champs Elysées im vollkommenen Einklang zu sein schien mit diesem Saal, dessen Raumeindruck bestimmt wird von einem warmen, ins Rote schimmernden Ton der Holzvertäfelungen. Er ist ja in ästhetischer Hinsicht ein Kind der späten 70er Jahre, als in die wiederhergestellten Außenmauern des lange Kriegsruine gebliebenen Baus ein Inneres eingefügt wurde, das die frühere Oper in ein modernes Konzerthaus verwandelte. Gesetzt-gediegen mutet das an, ein Versuch, die alte Pracht des elegant-repräsentativen Baus in eine schlichtere, offene Bürgerlichkeit zu verwandeln, mit leichtem Zug zum Repräsentativen. Imposant ist der große Saal, der mit 2500 Plätzen ein nahezu doppelt so großes Publikum aufnehmen kann wie das Wiesbadener Pendant.

Während also das kleinere, in sich beschwingte Chamber Orchestra of Europe seinen Mozart als jugendlichen Liebhaber mit Neigung zu mechanischen Scherzen begriff, war Philippe Herreweghe als Dirigent der Jupitersinfonie in der Alten Oper eher als Grandseigneur zu erleben, der die innewohnende Dynamik mit seinem weit größeren Ensemble in pure Eleganz verwandelte – Musik wie Velour, also samtig, mit schimmernder Oberfläche. Schönklingend und in sich gesättigt, ja, aber doch in vielen Passagen zu stark dem Konventionellen verpflichtet. Was, wenn man denn die Entsprechung sucht, durchaus wie ein Reflex des Saales wirkte.

Philippe Herbewege, Foto: Alte Oper /Charlie de Keersmaecker

Dann allerdings, im zweiten Teil des Abends, sprengte Herreweghe den Rahmen, mit einer Interpretation von Mozarts Requiem, die eine hohe innere Dynamik vermittelte und die spirituelle Tiefe dieses von Mozart selbst nicht vollendeten Spätwerks auslotete. Sofort war zu spüren, wie dieses zunächst unbarmherzige höchstrichterliche Ausmessen des menschlichen Schicksals sowohl Orchester und Chor (das Collegium Vocale Gent) als auch das Publikum in einen gemeinsamen Bann schlugen, atmend und atemberaubend.

Die emotionalen Ausschläge sowohl der Furcht vor dem vernichtenden göttlichen Spruch als auch der versprochene Trost eines ewigen, von Güte bestimmten Lichts wurden eindringlich vermittelt, mit dynamischer Klangmodulation des Chores und ausdrucksstarken Vorträgen der Gesangssolisten (in ihren Intonationen korrespondierend stark: Maximilian Schmitt, Florian Boesch, Emoke Baráth und Eva Zaicik).

Allein, wer sich noch an Bachs Weihnachtsoratorium erinnert, das Thomas Hengelbrock vor drei Jahren in der Alten Oper aufgeführt hat, der wird konstatieren, dass dessen Balthasar-Neumann-Chor auch in den hochdramatischen Passagen geschmeidig-differenzierter, in sich präziser singt. Hier, beim Requiem, setzte das Collegium Vocale Gent stärker auf expressives Volumen. Das Publikum allerdings nahm diese Kraftanstrengung spürbar berührt auf, belohnte vor allem den Chor nach einer Pause der Ergriffenheit mit Jubel und Bravo-Rufen.

In ungewöhnlicher Kombination: die HR-Bigband im Großen Sendesaal im Live-Hörspiel „Homo Faber“; Foto: Petra Kammann

Wie wiederum ein Musikerlebnis unter ganz anderen Bedingungen, in einem ganz anderen Rahmen, starke Emotionen hervorrufen kann, bewies ein Konzert im Großen Sendesaal des HR, das gar kein reines Konzert war – weil nämlich szenische Lesungen aus dem Hörspiel „Homo Faber“ mit der Musik verschränkt wurden, welche Jörg Achim Keller komponiert und mit seiner HR-Bigband für das Hörspiel eingespielt hat. Unglaublich, wie diese Kombination aus dialogischen Lesepassagen – höchst nuanciert und intensiv interpretiert von Paula Beer und Matthias Brandt – das Publikum in den Bann schlug. Noch unglaublicher, dass diese dichte Aufmerksamkeit in keiner Weise darunter litt, dass im Saal gegessen und getrunken werden durfte (ein Arrangement mit Tischen und Stühlen, das der Sender sich sonst eigens für Buchmessen-Veranstaltungen leistet).

Einführungen, auch kurze Werkstattgepräche mit den Machern des Hörspiels gehörten zum Abend. Und doch, das alles war in jenen Momenten wie vergessen (ohne doch nur Beiwerk zu sein), als die beiden Protagonisten im Dialog ihre Lebenswelten sich berühren ließen, und ebenso, wenn die fulminante HR-Bigband eben diese Lebenswelten in einen musikalischen Lebensraum stellte, sie jeweils in ihren Kernen musikalisch verdeutlichte, ihnen melodiösen Atem verlieh. Es war – gerade auch, weil hier auf die sonst oft übliche Bigband-Lautstärke verzichet wurde – eine Kette geradezu magischer Momente, mit größtem Gänsehausfeeling wie beim melancholischen Disillusoned. Ein- und komplett ausgespielt sind die Stücke auch auf einer Bonus-CD zu hören, die der Hörspielbox beigefügt ist. Doch mit dem Live-Erlebnis (eine aufschlussreiche Wortkoppelung) stellte sich im Sendesaal eine ganz andere Intensität ein, teilweise mit atemloser Stille aufgesogen.

Dazu kam ein weiteres staunenswertes Phänomen: Trug doch die  Technik im Sendesaal (so mit Scheinwerfern, Mikros, Monitoren) eher zur Steigerung denn zur Minderung der Aufmerksamkeit bei. Man konnte sich als Teil der Inszenierung empfinden, die wesentlich von den ganz intimen Lesepassagen und den ingeniös komponierten, ausdrucksstarken, in sich variationsreichen Musikstücken bestimmt wurde. Wollte man eine Kurzformel für dieses Erlebnis erfinden, könnte sie lauten: Kammerspiel und große/kleine Oper, konzentriert auf das Wesentliche: die Authentizität lebendiger Musik.

Alles in allem: Ein großer Abend im Großen Sendesaal des HR. Ein Saal, der übrigens auch noch ein Weiteres beweist: wie schön der (hier: perfekt restaurierte) Geist der 50er Jahre sein kann. Das Publikum war begeistert. Und hofft, gewiss, auf eine Fortsetzung dieses Formats – in jeder Hinsicht.

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