Björn Drenkwitz: „Meaningful Silence“ in der Galerie Heike Strelow
Von Erhard Metz
Freilich ist es konzeptuelle Kunst, die wir gegenwärtig und noch bis zum 4. März 2017 bei der Frankfurter Galeristin Heike Strelow im Haus des ATELIERFRANKFURT sehen können. Aber es ist eine Kunst, die durch ihre ausserordentliche Sinnlichkeit den Betrachter fesselt, am Ende gar rundum fasziniert wie auch betroffen macht; keine solche also, die jenen fernen Wolkenkuckucksheimen oft wirr erscheinender Gedankenwelten entsprungen ist und den Kunstsuchenden ratlos-frustriert seinem Schicksal überlässt.
Björn Drenkwitz heisst der Künstler; seine Arbeiten zeichnen sich durch gediegene könnerschaftliche Handwerklichkeit aus und – wieder einmal müssen wir es so formulieren – durch ihre besondere Anmutung und „Schönheit“. Drenkwitz‘ Kunst ist durchaus politisch; sie kommt dabei weder mit dem Zeigefinger des Oberlehrers noch mit dem Holzhammer daher, sondern sie führt, wie wir sehen werden, den Betrachter feinsinnig und in eben künstlerischer Weise auf einen Weg zu eigener verstehender Erkenntnis.
Die Position human-anthropologischer Existenz in Zeit und Raum, in einem Universum, dessen wahre Dimensionen sich jenseits von Betrachtungs- und Ereignishorizont dem menschlichen Erkenntnisvermögen entziehen, ist – auch unter den Bedingen eines Künstler-Daseins – ein zentrales Thema vieler seiner Arbeiten. So in „Pale Blue Dot“: unsere Erde, 1990 von einer Kamera der Weltraumsonde Voyager 1 aus schier unüberwindbarer – hingegen zugleich unter kosmischen Massstäben winziger – Entfernung vom Rand des Sonnensystems her fotografiert, als blassblaues Pünktchen.
↑ Pale Blue Dot, 2016, Digitaldruck auf Forex, 60 x 100 cm
↓ Das legendäre Foto der Voyager 1 vom 6. Juni 1990 (Credit: NASA JP, Nachweis wikimedia commons)
Aus jenem seinerzeit um den Globus gegangenen, „Pale Blue Dot“ genannten Foto filtert Drenkwitz die Farbpixel der Erde heraus und vereint sie mit jenem Lichtbild unseres Planeten zu seiner gleichnamigen Arbeit. Wir zitieren den die Voyager-Mission begleitenden Astronomen und Astrophysiker Professor Carl Sagan (Rede in der Cornell University vom 13. Oktober 1994, Quelle: Galerie Heike Strelow): „Wir haben es geschafft, davon Bilder zu machen. Betrachte diesen Punkt. Das ist hier. Das ist unsere Heimat. Das sind wir … Die Erde ist eine winzigkleine Bühne in einer riesigen kosmischen Arena. Bedenke die Ströme aus Blut, vergossen von Generälen und Herrschern, damit sie, ehr- und ruhmreich, für einen Moment Herr eines kleinen Bruchteils eines Punktes werden konnten. Bedenke die endlosen Grausamkeiten, die den Bewohnern einer Seite von den kaum zu unterscheidenden Bewohnern einer anderen Seite dieses Pixels angetan wurden, wie zahlreich ihre Missverständnisse sind, wie eifrig sie sich gegenseitig töten, wie glühend ihr Hass sein kann. Unsere Anmassung, unsere Selbstüberschätzung, die Wahnvorstellung, dass wir in diesem Universum einen besonderen Platz einnehmen, all das wird von diesem blassen Lichtpünktchen in Frage gestellt.“
Bleiben wir bei der Voyager-Mission:
Nationalhymnen, 2014, Audioinstallation, 12 Inch Schallplatte vergoldet, Plattenspieler;
(im Hintergrund die Arbeiten OK [li.] und Ikebana WWI/WWII [re.])
Als die 1977 gestarteten Voyager 1 und 2 unser Sonnensystem verliessen, trugen sie an Bord jeweils eine „Voyager Golden Record“ in das All hinaus, vergoldete Datenplatten vom Ausmass der bekannten 30 cm-Venyl-LP mit Wort- und Bildinformationen über Erde und Menschheit. Die Lebensdauer dieser Datenträger wurde auf 500 Millionen Jahre ausgelegt. Der Künstler greift in seiner audiovisuellen Arbeit diese an mögliches ausserirdisches intelligentes Leben gerichteten Botschaften samt dem Medium auf und vereinigt die Aufnahmen aller Nationalhymnen der von den Vereinten Nationen anerkannten 193 Staaten auf die Tonspur einer später vergoldeten Venylplatte, wobei sich die Hymnen nach und nach überlagern: sie enden sämtlich zum gleichen Zeitpunk und beginnen deshalb je nach ihrer zeitlichen Länge unterschiedlich gestaffelt. Auf diese Weise entsteht ein zunehmend bedrohliches und am Ende kaum mehr erträgliches akustisches Chaos – Symbol und Kommentar für Divergenzen, Interessenkonflikte und schliesslich kriegerische Auseinandersetzungen in einer jenseits aller Globalisierungserwartungen und Hoffnungen auf Völkerverständigung anscheinend auseinanderdriftenden Welt.
Nicht minder fesselnd zwei Arbeiten aus montierten Screenshots: In „Echo – Blood, toil, tears and sweat” setzt sich Björn Drenkwitz mit den Phänomenen von Schall und Zeit, Reflektion und Echo und den Möglichkeiten ihrer Visualisierung auseinander. Aus authentischen Tonaufnahmen der berühmten „Blood, toil, tears and sweat“-Rede von Sir Winston Churchill vom 13. Mai 1940 werden die später als „geflügelte Worte“ bekannten Begriffe in grafische Darstellungen der Schallfrequenzen übersetzt.
Die der Ausstellung bei Heike Strelow titelgebende Arbeit „Meaningful Silence“ lässt den Atem des Betrachters stocken: Sie basiert auf einer historischen Tonaufnahme der letzten Millisekunden vor der Explosion der über Hiroshima am 6. August 1945 gezündeten Atombombe. Die weisse Linie auf schwarzem Grund zeichnet die winzige Zeitspanne relativer Stille vor der Detonation nach – ein zunächst für sich betrachtet eher ruhiges, unspektakuläres Bild. Doch das Wissen um die Bedeutung dieser Stille unmittelbar vor einer der grossen Katastrophen der Menschheitsgeschichte lässt den Betrachter erschüttern und macht ihm die sonst kaum erfassbare Dimension dieser Tragödie auf eine bislang unbekannte sinnliche Weise bewusst.
↑ Echo (offene Reihe), “Blood, toil, tears and sweat” (Winston Churchill, 1940), 2011/12, Montierte Screenshots, UV-Direktdruck auf Aluminium-Dibond, 30 x 358 cm
↓ Meaningful Silence, 2013, Montierte Screenshots, UV-Direktdruck auf Aluminium-Dibond, 50 x 222 cm
Björn Drenkwitz, 1978 in Frankfurt am Main geboren, studierte zunächst in seiner Heimatstadt Theater-, Film- und Medienwissenschaft und anschliessend Medienkunst an der Kunsthochschule Mainz und an der Kölner Kunsthochschule für Medien bei den Professoren Dieter Kiessling und Mischa Kuball (mit dem Abschluss Meisterschüler). Zahlreich sind die Ausstellungen, Auszeichnungen und Stipendien des bislang überwiegend für seine Videoarbeiten bekannten Künstlers. In der gegenwärtigen Ausstellung werden mehrere spektakuläre Videos gezeigt, darunter „Immaterielle Produktion“ (Full HD Video, Dauer 02: 16) aus dem Jahr 2016, „Sein und Zeit“ (Full HDVideo, Dauer 05:37 /Videoloop, 2013) sowie „Banquet“ (Full HD Video, Duration 09:50 von 2010), auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.
Abschliessend zwei Beispiele, die auf Formen des japanischen Kulturkreises Bezug nehmen und von der Betitelung her in einer gewissen Verwandschaft zu den Werken der Reihe „Ikebana“ stehen: „Origami“, Arbeiten, in denen sich malerische mit skulpturalen Elementen verbinden.
Origami (B-2 Stealth Bomber), 2016, Acryl- und Chamäleon Lack auf Büttenpapier, jeweils 55 x 55 cm
Björn Drenkwitz faltete aus handgeschöpftem Büttenpapier Flugzeuge – wir denken an Reinhard Meys „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ – doch die Sache hat eine Tücke: es handelt sich um B-2 Stealth Bomber, die auch Atomwaffen tragen könnenden, vom gegenerischen Radar kaum wahrzunehmenden sogenannten Tarnkappenbomber, und schon ist es vorbei mit der besungenen unschuldigen Freiheit des bilderbuchblauen Himmels. Drenkwitz färbte das Papiermodell mit Acryl- und Chamäleon-Lack und entfaltete es anschliessend zu den bildhaften Reliefs. Solche Vernichtung und Tod bringenden Errungenschaften menschlicher Ingenieurs- und Kriegskunst enthielten die beiden zu möglichem ausserirdischen, intelligenten Leben ins Universum gesandten „Voyager Golden Records“ allerdings nicht.
Björn Drenkwitz, Meaningful Silence, Galerie Heike Strelow, bis 4. März 2017
Bildnachweise: Galerie Heike Strelow und Björn Drenkwitz; © VG Bild-Kunst, Bonn