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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Museum Wiesbaden präsentiert „Caravaggios Erben – Barock in Neapel“

Protziger Reichtum und bittere Armut

Von Hans-Bernd Heier

Barock – die Kunstepoche zwischen dem 17. und dem frühen 18. Jahrhundert – ist nicht jedermanns Sache. Vielen ist die barocke Malerei zu theatralisch, pathetisch und bombastisch. Ein Besucher der Museumspädagogik in Wiesbaden brachte es auf die knappe Formel: „Barock – das ist jede Menge nackter Haut und einer muss sterben“. Beides ist in der Ausstellung „Caravaggios Erben – Barock in Neapel“ im Landesmuseum Wiesbaden reichlich zu sehen. Doch die großartige Schau hat wesentlich mehr zu bieten: In der Kunst des neapolitanischen Barock spiegeln sich die Pracht, Raffinesse und Kultur der Mittelmeermetropole in packender Malerei, zumeist in monumentalen Gemälden.

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Artemisia Gentileschi „Judith und Holofernes“, Öl auf Leinwand, 159 x 126 cm, 1612-1613; Neapel, Museo di Capodimonte; Foto: Ministero per i Beni e le attivita culturali e del turismo, Fototeca del Museo di Capodimonte, Napoli

Im 17. Jahrhundert zählte das damals noch spanische Neapel zu den bevölkerungsreichsten Städten Europas und war Hauptstadt des Bourbonen-Reiches. Für Goethe war die Stadt am Fuße des Vesuvs gar die schönste Hauptstadt Europas. Das Repräsentationsbedürfnis der spanischen Vizekönige und des Stadtadels sowie die mannigfaltigen Aufträge der katholischen Kirche und der großen religiösen Orden sicherten vielen Künstlern ein gutes Auskommen und zogen manche an, so auch Michelangelo Merisi (1571-1610), genannt Caravaggio – nach dem Wohnsitz seiner Eltern in der Lombardei.

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Francesco Solimena „Sophonisbe empfängt das Gift durch die Boten ihres Gatten“, Öl auf Leinwand, 179 x 230 cm, um 1704-1708; Dresden, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister; Foto: bpk / Staatliche Kunstsammlungen Dresden / Elke Estel / Hans-Peter Klut

Dieser geniale Maler war ein Heißsporn mit leidenschaftlichem, hitzigem Temperament. Immer wieder war der leicht Aufbrausende in Händel verstrickt und wurde sogar wegen Todschlags gesucht. Deshalb musste er überstürzt Rom verlassen und floh gen Süden. Im Herbst 1606 kam der Hauptmeister des frühen Barock in Neapel an. Seine Ankunft markiert den eigentlichen Beginn dieser Epoche in der prosperierenden Stadt am Golf. Innerhalb kurzer Zeit avancierte Caravaggio zum viel bewunderten Vorbild für mehrere Generationen neapolitanischer Künstler.

Seine dramatische, damals völlig neue Hell-Dunkel-Malerei sowie seine realistische, provokante Wirklichkeitserfassung lieferten wesentliche Impulse für die Herausbildung einer lokalen Schule von europäischem Rang. Caravaggio folgten eine Reihe höchst renommierter Maler wie Fabrizio Santafede, Carlo Sellitto, Giovan Battista Caracciolo, genannt Battistello, Paolo Domenico Finoglia oder die herausragende Malerin Artemisia Gentileschi, die seine Errungenschaften aufgegriffen und weiterentwickelt haben. „Werke von ihnen mit sensationeller Qualität“, so der Kustos der Sammlungen 14. bis 19. Jh. Peter Forster, sind bis zum 12. Februar 2017 in Wiesbaden zu bewundern. Insgesamt sind mehr als 200 Werke, darunter rund 100 Gemälde und Zeichnungen von über 50 Künstlern in der großartigen Schau versammelt. Nur ein echter Caravaggio ist nicht zu sehen, aber die grandiose Schau trägt ja auch den Titel „Caravaggios Erben“.

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Gaspar van Wittel (Gaspare Vanvitelli) „Posillipo mit dem Palazzo Donn’Anna“, Öl auf Leinwand, 73 x 170 cm, um 1700/1702; Warwickshire, Compton Verney Art Gallery, © Compton Verney; Foto: Prudence Cuming Associates

Die Wiesbadener Ausstellung, deren Ausgangspunkt die Gemälde von Luca Giordano und Francesco Solimena aus dem eigenen Sammlungsbestand sind, trägt zum ersten Male in einem deutschen Museum die großen Beispiele dieses goldenen Zeitalters der italienischen Barockmalerei umfassend zusammen. Die ausdrucksstarken Meisterwerke in faszinierender Lichtregie zeigen schonungslosen Verismus und die Kraft einer Malerei, in der auch die Erfahrung von Armut, Brutalität und Verfall ihren Niederschlag fand. Denn Neapel war eine Stadt der großen Gegensätze: auf der einen Seite der protzige Reichtum einiger weniger, auf der anderen die bittere Armut vieler. Beides thematisierten die Maler kraftvoll und mit schockierendem Realismus in ihren narrativen Werken.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts blühten mit Genre-, Veduten- und Stillleben-Malerei auch vormals als „niedrig“ angesehene Bildgattungen auf. Mit opulenten Blumen- und Obstbouquets, Meeresfrüchte-Arrangements und Küchenszenerien zeigt die Wiesbadener Schau, welch originellen Beitrag Neapel gerade zur Entwicklung des barocken Stilllebens geleistet hat. Ausgewählte Stadtansichten und Architekturzeichnungen runden das Bild ab. Zugleich begann die Epoche der großen Werkstätten von Mattia Preti, Luca Giordano und Francesco Solimena, die, gefördert von kirchlichen und höfischen Auftraggebern, mit eindrucksvollen Historienbildern die „Marke“ der neapolitanischen Malerei entwickelten. Mit großem Erfolg exportierten sie eine erstaunliche Zahl an hochwertigen Arbeiten in die Sammlungen Europas.

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Jusepe de Ribera „Der heilige Franziskus in Meditatio“, Öl auf Leinwand, 103 x 77 cm, 1643; Florenz, Galleria Palatina; Foto: bpk / Alinari Archives

Den Kuratoren Peter Forster und Rebecca Krämer ist es gelungen, renommierte Leihgaben aus dem Pariser Louvre, den Uffizien in Florenz, dem Kunsthistorischen Museum in Wien und historischen Privatsammlungen, wie der Graf Harrach’schen Familiensammlung von Schloss Rohrau in Österreich, in Hessens Landeshauptstadt zu holen. Das Museo di Capodimonte in Neapel steuerte aus seiner ständigen Sammlung sogar 18 Leihgaben höchster Qualität bei: darunter das großformatige Gemälde „Judith und Holofernes“ von Artemisia Gentileschi, das drastisch die Ermordung des assyrischen Feldherrn Holofernes zeigt.

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Mattia Preti: „Ölskizze für die Votivfresken anlässlich der Pest von 1656“, Öl auf Leinwand, 127 x 75 cm; Neapel, Museo di Capodimonte; Foto: Ministero per i Beni e le attivita culturali e del turismo, Fototeca del Museo di Capodimonte, Napoli

Zu sehen sind in den 17 nach Themen und Malern geordneten Museumsräumen auch Werke des aus Valencia stammenden Jusepe de Ribera, der den Betrachter mit seinem ausgeprägten Sinn für theatralische Effekte und einer packenden Lichtregie fasziniert. Andere, mit herausragenden Arbeiten in der Ausstellung vertretene Künstler wie Francesco Guarino, Andrea Vaccaro, Pacecco de Rosa oder Bernardo Cavallino verknüpften die realistische Malweise mit sinnlicher Farbigkeit. Diese Strömung erreichte im Werk des vielseitigen Massimo Stanzione eine besondere publikumswirksame Eleganz. Gegen Mitte des 17. Jahrhunderts betrat dann eine neue Generation von heimisch geschulten Malern wie Aniello Falcone oder Domenico Gargiulo die Bühne, die sich in zumeist kleinformatigen Bildern teils mit konkreter Alltagswirklichkeit und Zeitereignissen, teils mit kriegerischen und düster-gespenstischen Szenen auseinandersetzten.

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Aniello Falcone „Kopf eines schreienden Kriegers“, Rötel auf grauem Bütten, 20 x 18 cm, um 1640; Bremen, Kunsthalle – Kupferstichkabinett – Der Kunstverein in Bremen; Foto: Karen Blindow

Erlesene Handzeichnungen neapolitanischer Meister ergänzen die präsentierten Gemälde. Eine Reihe bisher unbekannter bzw. neu zugeschriebener Blätter kann erstmals dem Publikum vorgestellt werden.

Eine voluminöse Publikation (576 Seiten), die in Kooperation mit dem Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität entstanden ist, ergänzt die sehenswerte Sonderausstellung.

Die Bilderschau steht unter der Schirmherrschaft des Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier sowie des Botschafters der Italienischen Republik in Berlin, S.E. Pietro Benassi. Maßgeblich unterstützt wird sie vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain und der Art Mentor Foundation Lucerne.

Caravaggios Erben – Barock in Neapel“, Museum Wiesbaden, bis 12. Februar 2017

Bildnachweis: Museum Wiesbaden

 

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