Trude Simonsohn, die erste Ehrenbürgerin der Stadt Frankfurt am Main
Von Hass keine Spur. Erinnerungsarbeit. Humanität und Aufklärung
Von Renate Feyerbacher
Auf ihre Walking-Stöcke gestützt, schreitet die 95-jährige Trude Simonsohn neben Oberbürgermeister Peter Feldmann in die Paulskirche. Sie, die als Kind und Jugendliche viel Sport trieb, ist heute noch sportbegeistert. So forsch, wie sie geht, ist es ihr noch immer anzumerken. Die etwa 1000 Gäste erheben sich und applaudieren lange. Dann beginnt Saxofon-Legende Emil Mangelsdorff, 91 Jahre, der als junger Mann von den Nazis verfolgt wurde, sein energisch-feines Solo. Trude Simonsohn hatte ihn als musikalischen Begleiter gewünscht. Die beiden sind befreundet.
Die Ehrenbürgerschaft auf Lebzeiten wurde in Frankfurt seit 1795 dreissig Mal verliehen. Drei, Hitler, Göring und Hindenburg, wurden aus der Liste gestrichen. Sehr spät hat sich die Stadtregierung entschlossen, der seit 60 Jahren in Frankfurt lebenden, engagierten Trude Simonsohn diese höchste Ehre zuteil werden zu lassen – als erste Frau. Vorgeschlagen hatten sie die ehemalige Bürgermeisterin Jutta Ebeling und die Journalistin Helga Dierichs, seinerzeit Leiterin des Frauenfunks im Hessischen Rundfunk.
Im Mittelpunkt der Feierstunde in der Paulskirche stand das Gespräch zwischen Trude Simonsohn und dem jungen Soziologen und Filmemacher Adrian Oeser. Bereits als Schüler begann er, Trude Simonsohn und ihre Freundin, die 1916 geborene Sozialistin und Widerstandskämpferin Irmgard Heydorn, zu befragen. Sie sind letzte Zeitzeugen des nationalsozialistischen Terrorsystems. 2007 hatte Oeser den Gesprächs-Film „Eine Ausnahme“ fertiggestellt und 2015 die Website „Eine Ausnahme. Überleben. Freundschaft. Widerstand“ eingerichtet.
Trude Simonsohn und Oberbürgermeister Peter Feldmann (links Adrian Oeser), Foto: Petra Kammann
Trude Simonsohn, die Holocaust-Überlebende, geht seit 1975 und auch heute noch in Schulen und spricht über die Nazi-Zeit. Sie sagt den jungen Menschen, dass sie keine Schuld tragen, wohl aber Verantwortung. Oeser befragt Trude Simonsohn über ihre glückliche Kindheit im mährischen Olmütz, über die zionistische Jugendbewegung. Alles änderte sich, als die Deutschen 1939 in die Tschechoslowakei einmarschierten. Gefängnis, Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz folgten. In schrecklicher Erinnerung blieb ihr, wie die jungen Frauen kahlgeschoren und nackt durch das Spalier der SS-Leute laufen mussten. Und dazu spielte die Musik. Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz, habe am Klavier gesessen und Beethoven gespielt. „Kultur ohne Humanität ist nichts!“ Starker Beifall. Trude Simonsohn, die ihre gesamte Familie verlor, sagt, sie sei es den Toten schuldig, den Nachgeborenen über ihre Erlebnisse zu berichten.
Oberbürgermeister Peter Feldmann, der bereits als junger Mann mit Trude Simonsohn bekannt war – sie war von 1989 zwölf Jahre lang Gemeinderatsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt – erinnerte sich an die glückliche Zusammenarbeit.
Trude Simonsohn, die viele Ehrungen erhielt – unter anderem wurde ein Hörsaal der Goethe-Universität nach ihr benannt – begegnet jedem, der mit ihr ins Gespräch kommen will, mit Freundlichkeit. Hass ist ihr fremd. In ihrem Buch „Noch ein Glück“ schreibt sie: „Heute kann ich sagen, dass ich vielleicht nicht in Deutschland, ganz sicher aber in Frankfurt zu Hause bin.“
→ Trude Simonsohn – eine grossartige Frau