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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Waste of Beauty“ – Arbeiten von Patricia Thoma in der Galerie Christel Wagner

Von Erhard Metz

Der Mainstream im aktuellen akademischen Kunstbetrieb scheint unverändert der konzeptuellen Kunst verpflichtet zu sein, in der die Erklärungsbedürftigkeit von Kunst oder eines oft immateriellen „Werkes“- falls man dann noch von einem solchen sprechen will – in gleicher Weise zunimmt wie die Distanz, gar Verdrossenheit oder Verweigerungshaltung grosser Teile selbst eines grundsätzlich kunstaffinen Publikums. Wo nämlich bleibt dabei, was wir, gemeinsam mit vielen anderen, als der Kunst auch immanent betrachten möchten: das Sinnliche, das Haptische, das vielfach vernachlässigte, gar mancherorts geschmähte Künstlerisch-Handwerkliche?

Im Zuge des Saisonstarts der Frankfurter Galerien haben wir auf der Suche nach solcher Sinnlichkeit mancherlei Entdeckungen gemacht, nur einige können wir in unserem Rahmen herausgreifen: hier eine Schau von wunderbaren Arbeiten der Künstlerin Patricia Thoma in der Galerie Christel Wagner.

Objekte sehen wir dort, „Brautkleider“, ebenso „Kronleuchter“, ferner feinst ausgeführte Zeichnungen auf Papier und Ölmalerei auf Holz.

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Brautkleid VI, 2014, Mülltüten, Nerz, Garn, Perlen, ca. 220 cm

Es sind Arbeiten, die uns faszinieren: die schlank aufragenden, allesamt an die 2,20 Meter an Höhe messenden, auf das Feinste und reich geschmückten und bestickten, in akribischer Arbeit gefertigten „Brautkleider“, für überlebensgrosse „Bräute“, aber wo gibt es denn solche? Und umso mehr erstaunen wir, als wir der Täuschung des ersten Anscheins gewahr werden: All diese vermeintlich textilen, aus Satin und Seide gefertigten Kostbarkeiten bestehen aus – Mülltüten.

Aber nicht nur: Sie sind über die feinen Stickereien hinaus mit Fellen von Nerz und Kaninchen, mit Perlen und Pailletten versehen. Assoziationen an überhöhte, liturgische Paramente, an herrscherliche Gewandungen stellen sich ein; an Gebaren und Demonstration von gesellschaftlich-politischer Macht. Wie auch an Überhöhungen etwa von manchen Marien- bzw. Madonnen-Darstellungen in der christlichen Ikonografie. Die abbildhaften, oft in Untersicht dargestellten Gewandungen überschreiten hier wie dort das physisch-menschliche Mass.

Und dann das: Mülltüten sind es, wie gesagt, aus Plastik, umweltschädigend, Produkte der Petrochemie, wir denken an deren wirtschaftliche und folglich politische Macht. Und natürlich denken wir, nicht nur Trend und Zeitgeist folgend, an Umwelt- und Klimaschutz.

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(li.) Brautkleid IV mit Kaninchenfell, 2013, Mülltüten, Kaninchenfell, Garn, Perlen, ca. 220 cm; (re.) Brautkleid V, 2013, Mülltüten, Garn, Pailletten, Hakem, Ösen, ca. 220 cm

Aber da ist dann doch auch ein anderes: das „Brautkleid“ und seine Bedeutung und Konnotation im weitgehend noch von patriarchalischem Geist und Gedankengut bestimmten gesellschaftlichen Gefüge. Patricia Thoma konterkariert mit der materiellen Überhöhung dieses einzigartigen, allein zu dem einen Anlass im Leben einer Frau getragenen Bekleidungsstücks – nicht auf plakativ-feministische, sondern auf künstlerisch sensible Weise – das traditionelle Bild einer „Braut in Weiss“ – und damit auch als Kritik an überfordernde, kaum einzulösende Normen und Versprechen im heutigen existentiellen Zusammenleben von Frau und Mann.

Aber vielleicht ist da, jenseits aller kritischen Attitüde, doch auch Raum für eine gewisse Ambivalenz, wie ja in jedem verinnerlichten Befund auch dessen Gegenpart angelegt ist: Klingt nicht auch ein klein wenig Schmerz in diesen „Objekten“ an – über Verlorenes, nicht Wiederkehrendes? Oder anders und etwas gewagt formuliert: Wer ausser der Künstlerin selbst könnte in einem solchen Gewand „wohnen“?

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Frau in grünem Kleid, „2005/16“, Öl auf Holz, 40 x 30 cm

Von den „Brautkleidern“ kommend fasziniert uns das kleinformatige Werk „Frau in grünem Kleid“. Nur der Körper vom Hals bis zu den Knien ist dargestellt, die Hände über dem Schoss verschränkt. In traditioneller Technik in Öl gemalt. Nicht auf Leinwand, sondern auf Holz. Malmittel und Malgrund sprechen für sich. Zudem der von Patricia Thoma angegebene, ungewöhnlich langwährende Entstehungszeitraum. Der Kontrast zu den „Brautkleidern“ könnte grösser nicht sein. Und wieder möge uns die Künstlerin verzeihen: in unserer Annahme, dass sie uns, in ihrer Kunst chiffriert, etwas Autobiografisches erahnen lässt. Einen verstehenden Klang im Betrachter erzeugend, sinnlich, authentisch, fernab jedes konzeptuellen Überbaus.

Schliesslich sind es zwei grossformatige Zeichnungen auf Papier, die uns wiederum bewegen und uns unsere Absicht aufgeben lassen, anschliessend noch eine weitere Galerie zu besuchen. Von Sinnlichkeit der Kunst sprachen wir eingangs, und wir kehren dorthin zurück.

Ein Paar im Liebesakt vor einem Zelt, halb von dessen Plane bedeckt. Wer ist der unsichtbare Betrachter links im Bild, fotografiert und entzaubert er die intime Szene? Die rechte Bildhälfte eingenommen von einem in ein dunkles Inneres führenden Eingang, die umgebenden Ziegelsteine mögen den Zugang zu einem schützenden Bunker erkennen lassen, Assoziationen an den weiblichen Körper sind ebenso erlaubt.

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↑ Paar, 2013, Bleistift/Buntstift auf Papier, 150 x 150 cm
↓ Schlafende Frau, 2013, Bleistift/Buntstift auf Papier, 150 x 150 cm

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Die „Schlafende Frau“ in einem trostlosen Verhau, eine nackte Glühbirne an der Decke, zwei Kleiderbügel ohne Funktion hängen an einer Leine über dem kärglichen Lager, im Hintergrund drei Flaschen. In der wiederum rechten Bildhälfte wie in einem Traum ein gebratenes Geflügel. Eine Szene in einem Land, in dem einem, wie es die Redensart will, „die gebratenen Tauben in den Mund fliegen“?

Nicht leicht fällt es uns, in die Realität eines Berichts über eine Ausstellung und damit zur Vita der grossartigen Künstlerin zurückzukehren: Patricia Thoma, 1977 in Müllheim geboren, studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, an der University of Derby, School of Art and Design, sowie am Chelsea College of Art and Design, London, mit dem Abschluss Master of Arts. Stipendien führten sie in die Schweiz und nach Italien, nach Korea und Japan, auf die Philippinen und 2014 nach Taipei/Taiwan. Im chinesischen Bengbu und Hefei nahm sie Lehraufträge wahr. Fast rund um den Globus waren ihre Arbeiten in Ausstellungen vertreten. Ihr zusätzliches Engagement gilt Kunstprojekten mit Kindern und Jugendlichen.

Patricia Thoma: „Waste of Beauty“, Christel Wagner Galerie, bis 8. Oktober 2016

Abgebildete Werke © Patricia Thoma; Fotos: Erhard Metz

 

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