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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Krakau, April 2016 (Folge III)

Von Monika Müller-Löwenberg

Für Christa

FOLGE III

Es besuchte uns eine Sprecherin des Deutschen Konsulats in unserem Hotel und berichtete über die Probleme und die Fortschritte in Polen. „Lech Kaczyński spaltete Polen, er schaute rückwärts, womit die Hälfte der Polen nicht einverstanden ist.“

Polen hat eine sehr unterschiedliche politische Vergangenheit. Der Überfall des Deutschen Reichs am Beginn des Zweiten Weltkrieges und dessen Besatzungsherrschaft kostete Millionen Menschen, insbesondere jüdische Polen, das Leben.

Seit Mitte November letzten Jahres regiert die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) um Expremier Jarosław Kaczyński in Polen. Sie hat in beiden Parlamentskammern, im Sejm und im Senat, die absolute Mehrheit. Präsident ist Andrzej Duda, Ministerpräsidentin Beata Szydło. Beide gehören der PiS an. Mit ihrer Mehrheit hat die Regierung seither eine Vielzahl von Gesetzen verabschiedet, die unter anderem die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts und der Medien bedrohen.

Ich möchte hier nicht näher darauf eingehen. Es kann sich ein jeder selbst kundig machen und recherchieren. Was ich vermisst habe, war mit polnischen Menschen zusammenzukommen, sie kennenzulernen, wie ich das von einer Städtepartnerschafts-Reise erwartet hätte.

Unsere Führerin schwärmte von den vielen Collegien, den vielen Studenten in der Stadt, besonders Studenten aus Europa. Wir besuchten das Collegium Maius, das Museum der Jagiellonen-Universität. Das älteste Universitätsgebäude in Polen. Zu jeder ungeraden Stunde ertönt ein Glockenspiel mit dem Vorüberzug der Akademiker-Puppen auf einem runden, kleinen Tableau. Krakau hat einhundert Kirchen, gefühlte neunundneunzig haben wir besichtigt.

Wir spazierten durch das Florianstor, sahen ein wenig mehr von der Altstadt, die umgeben ist von einem Grüngürtel, die grünen „Planty“ genannt, parkmäßig angelegt. Sehr gepflegte Blumenbeete, Skulpturen, wir schritten auf den Seitenstraßen des großen Platzes, des „Rynek“, hörten den Turmbläser von der Marienkirche, der jede Stunde aus den Turmfenstern in jede Richtung bläst, immer mit viel Applaus bedacht von der Menge, die auf ihn wartet und ihm zuwinkt.

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Synagoge in Krakau; Foto (chamois verfremdet): Monika Müller-Löwenberg

An zwei Abenden war ich in der Altstadt zum Essen. In der Nähe unseres Hotels war ein bunter großer Markt mit Lebensmittel, Blumen, Käse, Gewürzen aller Art. Hätte ich ein Auto dabei gehabt, ich hätte viele Gewürzpflanzen und Blumenknollen von ungewohnter Schönheit mitgenommen.

Das Lokal, mit polnischer Küche, wurde uns empfohlen: das „Piroggy“ in der Nähe unseres Hotels. Auf der Speisekarte fanden wir Piroggen in allen Variationen mit den unterschiedlichsten Füllungen. Plötzlich ging das Licht aus, ein Donnern und ein großer Feuerschein wurde entzündet von einem Kellner in Tracht. Auf dem Kopf eine Mütze mit einer riesigen langen Feder, über dem weißen Hemd trug er einen Kaftan, bedruckt mit roten und grünen Ornamenten, bis hinunter zu den Knien. Am Nachbartisch wurde flambiert. Zwei italienische Ehepaare. „Buon appetito“ wünschten wir.

Ein weiteres Restaurant lag direkt am Marktplatz – auch polnische Speisen dort, ich muss bemerken, es gibt viel Sauerkraut, aber kein Vergleich zu unserem Sauerkraut. Ich konnte ein wenig schmecken, es fühlte sich mariniert an und war dunkel gefärbt und köstlich. Das Lokal war in hellem Holz gehalten, wir saßen am Fenster, sahen dem Treiben und Flanieren zu. Fiaker, wie in Wien, mit Touristen. Weiße Kutschen mit weißen oder schwarzen Pferden oder auch gemischt ein schwarzes und ein weißes. Von der Decke des Lokals hing eine ungewöhnlich dekorierte Riesenkugel mit rot-weißen Papierteilchen, manche rund, manche herzförmig. Für Christa habe ich natürlich ein Foto gemacht.

Wir konnten uns für den einen oder anderen Ausflug entscheiden. Im Vorfeld hatte ich mit Christa besprochen, wir machen nicht den Ausflug ins ehemalige Salzbergwerk „Weltkulturerbe Wieliczka“. Die Besichtigung beginnt in 65 Meter Tiefe. Sicherlich sehr interessant: Die Bergleute des 13. Jahrhunderts meißelten gute Geister aus dem Salz, die ihnen in der Dunkelheit Trost spendeten. Meisterhafte Salzbildwerke in der Kapelle der Hl. Kinga gehören zu den beeindruckendsten Kunstwerken Polens, allerdings wie gesagt in 65 Metern Tiefe.

Den zweiten Ausflug nach Nowa Huta hatten wir auch nicht geplant, wir wollten weiter die Altstadt erkunden. Aber ich war alleine, ohne Christa, alle Mitreisenden nahmen an den Ausflügen teil. So entschloss ich mich, nach Nowa Huta mitzufahren. Die Arbeiterstadt aus der kommunistischen Nachkriegszeit war kein schöner Ort. Plattenbauten, große betonierte Plätze.

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„Kirche der Mutter Gottes, der Königin von Polen“ („Arche des Herren“) / Kościół Matki Bożej Królowej Polski (Arka Pana), Nowa Huta; Foto: Zygmunt Put/Zetpe0202/ wikimedia commons GFDL

Das einzige, was mich faszinierte, war die „Arche des Herren“ (Arka Pana), die „Kirche der Mutter Gottes, der Königin von Polen“ (Kościół Matki Bożej Królowej Polski). Eine riesige Kirche, gegen den Widerstand des kommunistischen Regimes gebaut wie eine Arche, vom Volk, das sich nicht vorstellen konnte, in dem sozialistischen Stadtteil kein Gotteshaus zu haben. Von außen fast geschlossen oval, fast fensterlos, mit Mauern besetzt mit Tausenden von Kieselsteinen, die die Menschen gesammelt hatten. Im Innenraum dieser mächtigen Kirche hell strahlende, kleine bunte Glasfenster, keine Kreuzigung Jesu an den Wänden, eher Arbeitermotive, die mit Jesus zu tun haben. Das Beeindruckendste war eine große Jesus-Skulptur. Sie könnte aus schwarzem Stahl sein, vielleicht sechs Meter hoch, die nach einer Zeichnung eines KZ-Häftlings angefertigt wurde. Jesus, nicht ans Kreuz genagelt, sondern die Arme und Beine ausgestreckt nach hinten und in die Breite. Auf dem Kopf die Dornenkrone. Allein schon die Größe und die Schatten, die diese Skulptur bei einfallendem Sonnenlicht warf, imponierten, ihre Haltung, die so unendlich schmerzhaft erscheint, das Hohlkreuz, der Körper wie ein Bogen nach vorne gespannt.

Nowa Huta, ein Tag, an dem wir mal zu einem Mittagessen kamen, das erste und einzige gemeinsame dieser Reise. Unsere Führerin Barbara stellte uns ihre Lieblingskneipe vor. „Restauracja Stylowa“ mitten in der ehemaligen „Neuen Stadt“ des Kommunismus mit kleinen Eigentumswohnungen von nur einem Zimmer. Wir bekamen Rote Beete-Suppe mit Piroggen, auf dem Tisch eine kleine Lenin-Statue. Die Suppe war gewöhnungsbedürftig. Einige schmatzten vor sich hin. Rote Beete sollen sehr gesund sein! Zum Essen waren wir von den Veranstaltern eingeladen. Ich nehme an, die Preise waren sehr niedrig. Getränke auf eigene Kosten. „Die Kellnerinnen sehen genauso aus wie damals.“ Barbara erzählte, dass sie selbst bei Lech Wałesa und „Solidarnosc“ mitmarschierte.

→ Krakau, April 2016 (Folge IV – Schluss)

→ Krakau, April 2016 (Folge I)

 

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