25 Jahre Museum für Moderne Kunst MMK (2)
Neue Sammlungspräsentation im MMK1
Von Erhard Metz
Seinen 25. Geburtstag feierte das Museum für Moderne Kunst Frankfurt MMK zum einen mit einem Tag der offenen Tür und einem attraktiven, vielbesuchten Veranstaltungsprogramm im Haupthaus (MMK1) an der Domstrasse. Zum anderen schenkte es sich und dem Publikum eine neue und durchaus überraschende Sammlungspräsentation im MMK1: Bis auf einige Höhepunkte der Sammlung wie „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ von Joseph Beuys, Roy Lichtensteins „Compositions I“, Claes Oldenburgs „Bedroom Ensemble, Replica I“ oder „Dance Diagram [1]“ von Andy Warhol haben die weltbekannten „Bluechips“ des Hauses einmal Pause zugunsten jüngerer Positionen, teilweise aus vorangegangenen Ausstellungen im Haupthaus wie im MMK2 (TaunusTurm) und MMK3 (Zollamt).
Zur Sammlungsgeschichte muss auf den Beitrag 20 Jahre Museum für Moderne Kunst (MMK) Frankfurt am Main nebst acht Folgebeiträgen verwiesen werden, zur Eröffnung des MMK2 im Taunusturm auf den Artikel MMK 2 eröffnet unter dem Motto „Boom She Boom“ vom Oktober 2014.
Aktuell ist im Stammhaus (noch bis 14. August 2016) die grossartige Einzelausstellung „Kader Attia. Sacrifice and Harmony“ zu sehen, die man keinesfalls versäumen darf. Attia, 1970 in Paris geboren, zählt zu den international führenden Künstlern seiner Generation. Mit seinen ausgestellten Werken erforscht er, wie das MMK schreibt, die weitreichenden Auswirkungen der westlichen kulturellen Hegemonie auf nicht-westliche Kulturen vor dem Hintergrund einer globalisierten Gegenwart.
Kader Attia beim Presserundgang zur Ausstellungseröffnung „Kader Attia. Sacrifice and Harmony“ am 14. April 2016; Foto: Erhard Metz
Die neue Sammlungspräsentation im MMK1 aus den inzwischen über 5.000 Kunstwerken von den 1960er-Jahren bis in die aktuelle Gegenwart setzt den Schwerpunkt auf Erwerbungen der letzten Jahre und dabei vor allem auf Werkgruppen, die speziell für das Museum entstanden sind oder in enger Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern für bestimmte Ausstellungsräume im Dialog mit der Architektur ausgewählt wurden. Apropos Architektur: Im Grunde ist das von dem Wiener Architekten Hans Hollein entworfene Gebäude der Postmoderne bereits für sich gesehen ein Gesamtkunstwerk.
Einen Raum von nahezu sakraler Ausstrahlung bildet die Präsentation der inzwischen 36 sogenannten Date Paintings aus der Serie „Today“ und mit dem One Hundred Years Calendar – 20th Century „24,845 days“ von On Kawara (1932-2014). Neben dem New Yorker Museum Dia:Beacon besitzt das MMK die weltweit grösste Sammlung von Datumsbildern dieses Ausnahmekünstlers. Erinnerungen an den „Ulysses“ von James Joyce werden wach (der Roman handelt von einem einzigen Tag im Leben des Leopold Bloom in Dublin), durchaus auch an Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Man könnte – am besten, man wäre dort allein – einen ganzen Tag in diesem Saal verbringen und Stationen der eigenen Existenz erinnern und reflektieren.
On Kawara, NOV. 23, 1977, 1977, MMK Museum für Moderne Kunst, © 0n Kawara, Foto: Axel Schneider
Mehr als 50 Werke des emeritierten Städelschul-Professors Thomas Bayrle umfasst die Sammlung des MMK – darunter manche „Ikonen“ des Bestands. Wir erinnern uns an die grandiose Ausstellung „40 Jahre Chinese Rock ´n´ Roll“ 2006 im MMK. Eine Reihe von Bayrles Arbeiten befindet sich in der aktuellen Sammlungspräsentation.
Thomas Bayrle bei seiner Abschlussführung zur Ausstellung „Thomas Bayrle. Seniorenfeier“ im Museum Wiesbaden am 26. Juni 2016; Foto: Renate Feyerbacher
Thomas Bayrle, Autobahn-Objekte (Autobahn, 2003) und Chrysler-Tapete (1970/97), MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016, Foto: Axel Schneider
William Forsythe beim Presserundgang zur Ausstellungseröffnung „William Forsythe. The Fact of Matter“ am 16. Oktober 2015; Foto: Petra Kammann
William Forsythe, Nowhere and Everywhere at the Same Time, 2015, MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Installationsansicht, Courtesy of the artist, Foto: Dominik Mentzos
Neuland betrat das MMK mit der Ausstellung „William Forsythe.The Fact of Matter“ mit einem programmatischen Blick auf die Grenzbereiche zwischen bildender Kunst und Choreografie. In der jetzt wieder gezeigten Installation „Nowhere and Everywhere at the Same Time“ kann sich der Besucher zwischen schwingenden Pendeln frei bewegen und damit selbst Teil der choreografischen Anordnung werden.
Nicht minder Experiment und Neuland und ein Grenzgang, dieses Mal zwischen bildender Kunst und Mode: die Ausstellung „Tuchfühlung. Kostas Murkudis und die Sammlung des MMK“ im MMK2. Es war die erste umfassende Museumsausstellung des international renommierten Designers der Gegenwart.
Faszinierende Aspekte eröffneten beide neuartigen Präsentationen, sie lösten zugleich aber auch Diskussionen darüber aus, ob manche ihrer Elemente in einem Kunstmuseum „etwas zu suchen“ hätten.
Kostas Murkudis beim Presserundgang zur Ausstellungseröffnung „Tuchfühlung. Kostas Murkudis und die Sammlung des MMK“ am 16. Juli 2015; Foto: Erhard Metz
Kostas Murkudis, Frühjahr-/Sommerkollektion 2014; Eine Hommage an Franz Erhard Walther, MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Installationsansicht, Foto: Axel Schneider
Nicht nur eine begnadete Fotografin, sondern eine faszinierende Künstlerin, die ihre fotografischen Arbeiten in raumgreifende Präsentationsformen als konsequente Fortführung der Buchform zu bringen weiss: die indische Künstlerin Dayanita Singh, die wir im deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig 2013 und 2014 in der MMK-Ausstellung „Dayanita Singh. Go Away Closer“ antreffen konnten.
Dayanita Singh, Museum of Chance, 2014 / Museum of Little Ladies, 1961-2014 / Send a Letter, 2008, MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Installationsansicht, Foto: Axel Schneider
Shane Munro, Replica Tables, 2013 und Inventory Paintings, 2012, MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Installationsansicht, Foto: Axel Schneider
Shane Munro gewann den Absolventenpreis 2010 der Städelschule. Wie manch andere Absolventen der international renommierten Hochschule machte er Karriere, indem seine Arbeiten Eingang in die Sammlung des MMK fanden.
Ein eigener Saal ist den Werken des Turner Prize-Trägers Wolfgang Tillmans gewidmet: seiner Rauminstallation aus C-Prints und Inkjet-Drucken.
Wolfgang Tillmans, Tukan, Frankfurt Installation, 2011, MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Installationsansicht, © Wolfgang Tillmans, Foto: Axel Schneider
Gerald Domenig, Ohne Titel, o.J., MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, © Gerald Domenig, Foto: Axel Schneider
Sehr interessant, spannend, inspiriert, zuweilen bizarr: die Präsentation „Gerald Domenig. Ausstellungsvorbereitung“ mit Fotografien und Zeichnungen. Ein Künstler, den das MMK – dankenswerterweise – „wieder entdeckte“. 16 Arbeiten besitzt das Museum in seiner Sammlung, von denen einige jetzt erneut zu sehen sind.
Eine Reihe von Aquatinta-Blättern und die Rauminstallation mit Wolfram- und ultraviolettem Licht „Twilight Arch“ von James Turrell gehören zum Bestand des MMK.
James Turrell, Twilight Arch, 1991, MMK Museum für Moderne Kunst, Installationsansicht, From the series „Space Division Constructions“, © James Turrell, Foto: Axel Schneider
Eine grossartige Wandarbeit von Carsten Fock aus dem Jahr 2010: „Kosmos der Angst“, eine Schenkung des Künstlers an das MMK.
Carsten Fock, The Devil auf Kosmos der Angst, 2010, MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Installationsansicht, © Carsten Fock, Foto: Axel Schneider
Es besteht kein Zweifel: 25 Jahre nach seiner Eröffnung zählt das MMK mit einer Vielzahl hochkarätiger und international bedeutender Werke zu den weltweit wichtigsten Museen für Gegenwartskunst. Doch dann ein Widerspruch: Als eine Einrichtung der Stadt Frankfurt am Main verfügt es – man vermag es kaum zu glauben – über den Einkaufsetat von 0,- Euro Höhe! Deshalb sind Förderer und Sponsoren gefragt wie bei der Etablierung des MMK2 im TaunusTurm, die ohne die grosszügige Unterstützung der Immobilienentwickler Tishman Speyer und Commerz Real sowie des Unternehmers Stefan Quandt und anderer Förderer nicht möglich gewesen wäre. „Unsere Bedeutung in Deutschland und international ist erheblich grösser, als unser Haus und seine auch personellen Ressourcen es eigentlich erlauben“, so MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer. Eine Schrittmacherrolle habe das Haus auch bei der Vermittlung von Kunst: „Wir sind das Museum mit den meisten kostenlosen öffentlichen Führungen in der Stadt.“
Ein weiteres Merkmal des Erfolgs trotz kaum vorhandener Mittel für Ankäufe ist eine enge Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern, selbst wenn diese noch an der Städelschule oder der Hochschule für Gestaltung Offenbach studieren. „Wir erfahren eine enorme Unterstützung von den Künstlern. So manches Werk oder eine Werkgruppe bekommen wir zu besseren Konditionen, weshalb wir überhaupt in der Lage waren, eine so qualitätsvolle Sammlung aufzubauen“, betont denn auch Susanne Gaensheimer.
Entgegen vielleicht seinem Namen ist das MMK explizit ein Museum für Gegenwartskunst. Es gelte, die aktuelle Kunstentwicklung abzubilden, ihre Künstler zu präsentieren und zu sammeln: „Unsere Perspektive ist die Gegenwart, wir müssen immer am Puls der Zeit sein und Künstler auch langfristig beobachten, um ein sicheres Urteil über ihre Werke zu fällen“, so Susanne Gaensheimer. Zudem umfasst die Sammlung über Malerei, Grafik und Skulptur hinaus alle künstlerischen Formen wie Installation, Fotografie, Film und Video sowie Performance. Ferner strebt die Direktorin an, die Sammlung um nicht-westliche Positionen aus dem indischen, asiatischen und afrikanischen Raum zu erweitern. Und dass das MMK seine Sammlung digitalisiert, ist heute eine Selbstverständlichkeit.
→ 25 Jahre Museum für Moderne Kunst MMK (1)
→ 20 Jahre Museum für Moderne Kunst (MMK) Frankfurt am Main
→ MMK 2 eröffnet unter dem Motto „Boom She Boom“
→ Museum für Moderne Kunst MMK