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FeuilletonFrankfurt

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PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (6)

Breslau – Stadt der Brücken

Von Winfred Kaminski (Breslau)

Wenn wir dem Sänger Peter Maffay glauben schenken, dann sollen wir über „sieben Brücken“ gehen. Das ist in Breslau leicht gesagt und getan. Denn diese Stadt verfügt über mehr als 100 Brücken, Stege und Wege über die Oder und ihre Nebenarme und -flüsse. Dass nun Breslau eine Stadt der Brücken geworden ist, hat damit zu tun, dass die Oderarme viele Inseln gebildet haben wie die Dominsel, die Sandinsel oder die Bleichinsel usw. Wobei die Dominsel heute nur noch eine Halbinsel ist. Im Zuge der Errichtung des Botanischen Gartens musste nämlich ein Teil des Flußarms aufgeschüttet werden. Allerdings ist die Zahl der Brücken dadurch nicht kleiner geworden.

Breslau erweist sich aber auch insofern als eine Stadt der Brücken – manche sprechen sogar von einem „Venedig des Nordens“ – , weil das politische Selbstverständnis der Stadtoberen darauf abzielt, zwischen Polen und seinen angrenzenden Nachbarn zu vermitteln und man dies gerade im Jahr 2016, als Europäische Kulturhauptstadt, mit besonderem Nachdruck betreibt.

Mit seinen ein Dutzend Inseln und obendrein dem Stadtgraben, der die Innenstadt von den südlichen Stadtteilen trennt, bietet Breslau an vielen Orten der Stadt Übergänge für den Verkehr. Deshalb ist es auch nicht so ganz einfach, die genaue Zahl der städtischen Brücken anzugeben.

Ob aber nun real oder metaphorisch, Brücken bestimmen das Bild dieser Grossstadt mit ihrer vielgestaltigen Geschichte. Die jüngeren Brückenbauten wie Most Warshawski (Warschauer Brücke), die Universitätsbrücke oder die ganz neue Milleniums-Brücke (Grundsteinlegung 2002) sind in ihrem Aussehen klar auf die Funktion hin orientiert, als Anschauungsobjekt reizvoller sind aber sowohl in technischer als auch in ästhetischer Sicht die älteren Brücken. Ihre Geschichte reicht bis weit in die Phase der Stadtgründung Breslaus vor gut 1000 Jahren zurück.

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↑ Sandbrücke/Most Piaskowy, Foto Erhard Metz
↓ Dombrücke/Most Tumski, Foto Winfred Kaminski

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Es sind vor allem die Sandbrücke (Most Piaskowy), die Dombrücke (Most Tumski), die Mühlenbrücke (Most Mlynski) sowie im Osten der Stadt gelegen die Kaiserbrücke, heute Most Grundwaldzki genannt sowie die über die alte Oder führende und als Tor zum Zoologischen Garten und zum Gelände der Jahrhunderthalle (heute: Hala Stulecia) dienende Passbrücke (jetzt: Most Zwierzyniecki), die herausragen.

Die Passbrücke liegt an einer Stelle, wo schon in älteren Zeiten eine Zoll- und/oder Grenzstelle war, daher auch der frühere Name. Der in Breslau tätige Stadtplaner und Bauingenieur Alfred von Scholtz (1850-1934) hat die Passbrücke (1897) geplant und zeichnete gemeinsam mit Alfred Frühwirt, Richard Plüddemann und Karl Klimm für die Entwicklung des Tragwerks verantwortlich.

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Zoobrücke (Passbrücke)/Most Zwierzyniecki, Foto Winfred Kaminski

Ebenso war Scholtz maßgeblich an der Kaiserbrücke (1908-1910, später Freiheitsbrücke) beteiligt und arbeitete bei den Planungen mit Martin Mayer, Robert Weyrauch und wiederum mit Richard Plüddemann zusammen. Diese Kettenbrücke, im Jugendstil erbaut, eröffnet von Süden kommend die nordöstlichen Teile der Stadt und lenkt die Verkehrsströme Richtung Scheitniger Park und darüber hinaus.

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Bauräte in Breslau: Alfred von Scholtz (1850-1934) und Richard Plüddemann (1846-1910); Bildnachweis: Ed. van Delden bzw. Heinrich Götz/wikimedia commons

Besonders prägend aber für die Stadt und beliebt, wenn auch für den heutigen Strassenverkehr eher einengend, sind drei Inselbrücken. Wobei die grüne Dombrücke deshalb heraussticht, weil sie diejenige ist, die den Bereich von Kreuzkirche und St. Johannes-Dom erschliesst. Sie ist zugleich der Platz, an dem die Verliebten ihre Schlösser anbringen und sich ewige Treue geschworen haben. Technisch gesehen ist die Dombrücke eine genietete Stahlkonstruktion und wenn man ihr folgt, gelangt man auf die ul. Katedralna, die Domstrasse, wo einst in der Nr. 7 auch der damalige Kanonikus und Astronom von Weltrang Nikolaus Kopernikus gewohnt hatte.

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Grunwaldbrücke (bis 1945 Kaiserbrücke oder Freiheitsbrücke)/Most Grunwaldzki, Foto Winfred Kaminski

Die Mühlenbrücke sieht im Vergleich eher karg aus und fällt trotzdem mit ihren beiden Bögen ins Auge, weil sie mit dem Gebäude der Marienmühle (Mlyn Maria) ein sehenswertes Ensemble bildet. Diese Mühle, deren Geschichte ebenfalls weit zurückreicht, ist aber schon längst nicht mehr in Betrieb und wirkt ein wenig verfallen.

In ihrem glänzenden Rot ist hingegen die Sandbrücke (heute: Most Piaskowy), deren Geschichte bis ins Jahr 1000 zurückreichen soll, ein richtiger Hingucker. In Dokumenten aus der Mitte des 12. Jahrhunderts taucht sie als Holzbrücke erstmals auf. Sie verbindet auf der südlichen Seite die Hala Targova (Markthalle) und die in einem barocken Gebäude untergebrachte Philologische Fakultät der Breslauer Universität mit der Dominsel und den nördlichen Stadtteilen, z.B. Nadordze. Nadordze soll, wenn die Träume oder vielleicht auch Alpträume der Stadtplaner sich erfüllen, so etwas wie der Prenzlauer Berg von Breslau werden.

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Most Bartoszowicki, Bildnachweis: Puchatech K./wikimedia commons GFDL

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↑ Kleiner Odersteg und Schleusse, Foto Winfred Kaminski
↓ Universitätsbrücke Mosty Uniwersyteckie, im Hintergrund Most Słodowa, Foto Winfred Kaminski

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Auf jeden Fall sind die Oderinseln und die sie verbindenden Wege und Stege jetzt schon ein touristisches highlight. Denn sie laden ein zum „Inselspringen“ über die Oder. Obendrein steht demnächst die Eröffnung des neuen Oder-Boulevards (Dunikowski-Bulwar) an. Dann wird es möglich sein, auf der „trasa spacerova“ kilometerweit links und rechts der Oder zu promenieren und die Aussichten – sei es auf die Silhouette der Dominsel, sei es auf das Ossolineum und die Breslauer Universität, das ehemalige habsburgische kaiserliche Schloß – zu genießen. Damit wird die Stadt Breslau um eine weitere städtebauliche Attraktion reicher und liebenswerter.

Nachdem vor gut 100 Jahren der damalige Breslauer Stadtbaurat Martin Berg, unterstützt von Hans Poelzig, Erich Mendelssohn sowie Hans Scharoun und sogar Le Courbusier, mit Weitsicht agiert hat, sind die heute in Wrocław Verantwortlichen unter dem Stadtpräsidenten Rafał Dutkiewicz wiederum dabei, städtebauliche Zeichen zu setzen, die weit in die Zukunft weisen.

→ Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (1)
→ Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (2 – Dom, Ägidiuskirche, Rathaus)
→ Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (3 – Universität und Barockes Breslau)
→ Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (4 – Kirchen)
→ Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (5 – Breslauer Zwerge)
→ Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (7 – Der Ring/Rynek)

 

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