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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2016 an Jennifer A. Doudna und Emmanuelle Charpentier

Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2016 an zwei Forscherinnen für die Entwicklung einer programmierbaren „Genschere“

„Arsen und Spitzenforschung. Paul Ehrlich und die Anfänge einer neuen Medizin“, Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt (hmf)

Von Renate Feyerbacher

Am 14. März wurde – wie in jedem Jahr an Paul Ehrlichs Geburtstag, diesmal ist es der 162. – der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis in der Frankfurter Paulskirche verliehen. Er ist der wichtigste medizinwissenschaftliche Preis Deutschlands, international hoch („kleiner Nobel-Preis“) angesehen und mit 100.000 Euro dotiert. Verliehen wird er seit 1952. In diesem Jahr erhielten ihn zwei Wissenschaftlerinnen: die französische Mikrobiologin Professor Emmanuelle Charpentier, Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und Professorin an der Universität Umeå in Schweden, und die amerikanische Professorin Jennifer A. Doudna von der University of California, Berkeley.

Der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis, der seit 2006 verliehen wird, ging in diesem Jahr an den Biochemiker und Strukturbiologen Claus-Dieter Kuhn von der Universität Bayreuth. Er erforscht die Welt der RNA (Ribonuikleinsäuren).

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Nobelpreisurkunde für Paul Ehrlich

Paul Ehrlich wurde 1908 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Hundert Jahre später bekam ihn Professor Harald zur Hausen vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, der vor wenigen Tagen 80 Jahre wurde. zur Hausen ist Vorsitzender des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung, die an der Goethe-Universität Frankfurt angesiedelt ist. Welch hohe Bedeutung dieser Preis hat, zeigt die Tatsache, dass ihn bereits zuvor 22 der späteren Nobelpreisträger erhalten hatten.

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Professor Harald zur Hausen am 14. März 2016 in der Pressekonferenz

In der Pressekonferenz fiel der Satz, dass die beiden Wissenschaftlerinnen, die jetzt mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis ausgezeichnet wurden, ebenfalls einmal zu Nobelpreiswürden kommen könnten. Die Forschungsergebnisse von Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna sind geradezu revolutionär.

Die Französin Charpentier studierte Mikrobiologie, Genetik und Biochemie in Paris, wo sie auch promovierte. Heute ist sie Professorin an der Alexander-von-Humboldt Universität und Direktorin des Max-Planck-Instituts für für Infektionsbiologie in Berlin sowie ferner Gastprofessorin in Schweden.

Jennifer A. Doudna ist in Washington D.C. geboren, wuchs aber auf Hawai auf, wo sie als Kind viel Freiheit in der Natur erlebte. Sie studierte Chemie am Pomona College in Kalifornien und promovierte in Biologischer und Molekularer Chemie an der Harvard Universität. Zunächst war sie Professorin an der Yale Universität in New Haven; heute forscht und lehrt sie an der kalifornischen Berkeley Universität. Alle drei Einrichtungen zählen weltweit zu den einflussreichsten Eliteuniversitäten.

Beide Professorinnen sind Mitglied in renommierten Akademien. Zusammen erhielten sie 2015 den für jede mit 3 Millionen US-Dollar dotierten Breakthrough Prize in Life Sciences für ihre bahnbrechenden Forschungsergebnisse. In wenigen Tagen werden sie in Paris mit dem UNESCO – L’Oréal-Award für Frauen in der Wissenschaft ausgezeichnet. Ihn erhalten fünf Frauen von den fünf Kontinenten. Die Aufzählung der vielen Auszeichnungen, die die beiden Forscherinnen bereits erhielten, sprengt den Rahmen. Nur der Leibniz-Preis an Emmanuelle Charpentier, der ihr am 1. März 2016 in Berlin verliehen wurde, soll erwähnt werden. Der Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, mit je 2,5 Millionen Euro dotiert, fördert Forschungsprojekte aus allen Wissenschaftsbereichen.

Preisträgerinnen PK

(li.) Jennifer A. Doudna, (re.) Emmanuelle Charpentier in der Pressekonferenz

Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna wurden für Arbeiten zu einem neuen gentechnischen Verfahren, der „Genschere“, die als CRISPR-Cas9 bezeichnet wird, geehrt (CRISPR = Clustered Regulary Interspaces Short Palindromic Repeats; CAS = CRISPR-associates sequence). 2012 veröffentlichten sie deren Ergebnisse: „Mit diesem Präzisionswerkzeug können Gene mühelos und mit grosser Genauigkeit bearbeitet werden. Die Preisträgerinnen haben dieses Potential erkannt, aufgezeigt und weitreichende Anwendungen ermöglicht“, begründet der Stiftungsrat seine Entscheidung. Die Genschere ist einfach zu bedienen und zum Routineverfahren geworden.

Gene können mit ihr ersetzt, ergänzt oder ausser Gefecht gesetzt werden. Diese Erkenntnis erweckt Hoffnungen auf die Entwicklung neuer Krebsmedikamente und auf neue Impfstoffe. Werden so auch Erbkrankheiten geheilt oder Krankheitserreger bekämpft werden können? Krankmachende Gene können gegen gesunde Kopien ausgetauscht werden. Ethische Einwände und Debatten begleiten von Anfang an diese Forschungsergebnisse. Denn das Erbgut kann damit verändert werden – ein entscheidender Eingriff in unsere Persönlichkeit. Wie wird unsere Identität verändert?

Die Forscherinnen sind sich dessen bewusst und haben sich beide auf dem Ethikgipfel 2015 in Washington gegen das Editieren der menschlichen Keimbahn für klinische Zwecke zum derzeitigen Zeitpunkt ausgesprochen. Eine breite gesellschaftliche Akzeptanz sei nötig und intensive Forschung innerhalb der gesetzlichen und ethischen Grenzen.

Nur noch wenige Tage ist im Historischen Museum Frankfurt die Ausstellung „Arsen und Spitzenforschung“ über den Namensgeber dieses bedeutenden Medizin- und Biologie-Preises  zu sehen, zuvor war sie im Medizin-Historischen Museum der Berliner Charité aus Anlass von Paul Ehrlichs 100. Todestag im Jahr 2015.

Frankfurt ist eng verbunden mit Paul Ehrlich. Geboren in Niederschlesien (heute Polen), aus wohlhabendem jüdischem Elternhaus stammend, studierte er in Breslau, Straßburg und in Freiburg und promovierte in Leipzig. Der damalige Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes konnte Ehrlich aus Berlin, wo er an der Charité arbeitete, mit seinem Institut für Serumforschung nach Frankfurt am Main lotsen. Die Hoechster Farbwerke und Casella Farbwerke kooperierten, 1899 wurde das „Institut für Serumprüfung und experimentelle Therapie“ feierlich eröffnet. Heute heisst es Paul Ehrlich-Institut und ist in Langen angesiedelt. Für Adickes war dieses Institut ein Wegbereiter der Frankfurter Universität, die aber erst 15 Jahre später, am 26. Oktober 1914, feierlich eröffnet wurde.

Jahre später stellte Adickes der Bankierswitwe und Stifterin Franziska Speyer kostenloses Bauland für das geplante Institut, das Paul Ehrlichs Forschung unterstützen sollte, zur Verfügung. 1906 wurde das Georg Speyer-Haus, dessen erster Direktor Paul Ehrlich wurde, in unmittelbarer Nähe der Frankfurter Universitätsklinik eröffnet.

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Paul Ehrlich, Gemälde in der Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt

Der Arzt Paul Ehrlich, chronischer Zigarrenraucher und begeisterter Krimileser, war weniger am Krankenbett anzutreffen als im Labor. Er forschte interdisziplinär: im Bereich Histologie, der Wissenschaft von den biologischen Geweben, und der Farbenchemie, in der Hämatologie, in der Pharmakologie, in der Immunologie und der Krebsforschung. In der Blutdiagnostik machte er zum ersten Mal die Unterschiede zwischen weissen Blutzellen deutlich. Synthetische Farbstoffe halfen ihm dabei.

Er erforschte das Aufeinandertreffen von Giften und körpereigenen Gegengiften. Zusammen mit Emil von Behring entwickelte er das Serum, mit dem die lebensbedrohliche Kinderkrankheit Diphterie behandelt werden konnte. Im Georg Speyer-Haus suchte er intensiv nach der „Zauberkugel“, einem Wirkstoff, der allein den krankmachenden Erreger vernichtet. Dabei gelang ihm im soundsovielten Versuch zusammen mit seinem Assistenten, dem japanischen Wissenschaftler Sahachiro Hata, das „Präparat 606“ zu entwickeln. Es kam unter dem Namen Salvarsan (heilendes Arsen) in den Handel. Zum ersten Mal gab es ein wirksames Medikament vor allem gegen die Geschlechtskrankheit Syphilis, an der seinerzeit auch viele berühmte Menschen starben wie die Dichter Heinrich Heine, Oscar Wilde oder der Philosoph Friedrich Nietzsche. Auch unter den französischen Literaten des 19. Jahrhunderts grassierte Syphillis: Guy de Maupassant und Charles Baudelaire waren infiziert. Daher wurde sie auch Franzosenkrankheit genannt. Ganze Adelsfamilien in Europa wurden durch sie ausgerottet. Johann Wolfgang Goethe, der angeblich aus Angst vor der Syphilis lange auf Geschlechtsverkehr verzichtet hatte, lässt Mephisto zu Marthe sagen:

„Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
Als er in Napel fremd umherspazierte;
Sie hat an ihm viel Liebs und Treus getan,
Daß er ’s bis an sein selig Ende spürte.“ (Faust I)

Salvarsan wurde allerdings vom Hersteller den Farbwerken (vormals Meister Lucius & Brüning) Hoechst viel zu teuer verkauft, und es gab grosse Nebenwirkungen. Es kam sogar 1914 zu einem Strafprozess – dem „Salvarsanskandal“. Salvarsan wurde als Betrug der pharmazeutischen Industrie gebrandmarkt. Aber es wurde auch gegen die Stadt wegen der gefährlichen Zwangsbehandlung von Prostituierten mit Salvarsan in städtischen Kliniken gewettert und vermutet, dass sie unter der Knute des jüdischen Ehrlich-Syndikats stehe.

1914 erhielt Paul Ehrlich ein Ordinariat an der neugegründeten Frankfurter Stiftungs-Universität. Lange war dem jüdischen Wissenschaftler dies vorenthalten worden. Er verstarb ein Jahr später in Bad Homburg vor der Höhe und wurde auf dem jüdischen Friedhof in der Frankfurter Rat-Beil-Strasse beigesetzt.

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Büste Paul Ehrlichs zur Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche

Die Ausstellung im Historischen Museum enthält 220 Original-Exponate, die von 30 Leihgebern stammen, unter anderem vom Rockefeller Archive Center in Sleepy Hollow, New York, vom Paul Ehrlich-Institut in Langen und vom Georg Speyer-Haus.

Fünf farblich unterschiedlich gestaltete Bereiche mit den Titeln „Gestatten: Paul Ehrlich“, „Forschung in Farbe“, „Gift trifft Gegengift“, „Auf der Jagd nach der Zauberkugel“ und „Respekt!“ zeigen seine Leidenschaft für Farbstoffe und für chemische Prozesse. Der Originalstuhl aus seinem Frankfurter Arbeitszimmer soll eine persönliche Annäherung an den damals schon berühmten Forscher bewirken.

Es gibt weitere persönliche Dokumente zu sehen, die den Forscher als gut vernetzten Wissenschaftler zeigen, und über eine Audiostation sind Nachrufe zu hören.

„Arsen und Spitzenforschung. Paul Ehrlich und die Anfänge einer neuen Medizin“, Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt (hmf), nur noch bis Sonntag, 3. April 2016; am Sonntag um 15 Uhr Kuratorinnenführung mit Kirsten Weining

Fotos: Renate Feyerbacher

 

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