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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (1)

Von Winfred Kaminski (Breslau)

Zwei Städte, San Sebastian (Spanien) und Wrocław/Breslau (Polen), teilen sich die Ehre, 2016 die Kulturhauptstädte Europas zu sein. Breslau feierte am 19. Januar 2016 die Eröffnung.

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Die Hauptveranstaltung fand selbstverständlich auf dem Rynek, dem Großen Ring und Rathausplatz, statt. Vier Paraden bewegten sich seit dem Sonntagnachmittag aus den vier Himmelsrichtungen auf diesen Ort zu. Sie passierten dabei unterwegs zentrale Orte der Stadt und wiesen auf geschichtlich bedeutsame Ereignisse wie das Kriegsende und dann aber auch die Solidarnosc-Bewegung hin. Choregraphiert von dem Briten Chris Baldwin, der auch schon olympische Ereignisse gemanagt hat, zogen viele Tausende durch die Stadt und trafen gegen 19.30 Uhr auf mehr als Zehntausend Wartende auf dem Rynek. Die hatten bei Minustemperaturen geduldig und dennoch guter Stimmung ausgeharrt!

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Erleichtert wurde ihnen das durch artistische Darbietungen und durch großflächige Videoprojektionen auf den Hauswänden, die es erlaubten, den vielgestaltigen Paradezügen zu folgen. Selbst das Kultusministerium der wenig europafreundlichen aktuellen polnischen Regierung war vertreten.

ATT00036-670ATT00034-670Blick durch en Fenster auf den Breslauer Rynek-670

Das Programm

Wenn auch manchem der Wartenden dann doch etwas kalt wurde an diesem Eröffnungsabend, so verspricht das Jahr für die Breslauer großartig zu werden. Es sind mehr als 1000 Veranstaltungen in der Stadt selbst und auch in der Region geplant. Kernthemen sind Bildende Kunst, Literatur, Theater, Architektur, Tanz, Musik und vieles andere. Die Breslauer dürfen sich zum Beispiel auf Konzerte des Starpianisten Lang Lang und der Mozart Akademie mit Christiane Schornsheim im Nowy Forum Muzyki (Neue Philharmonie) freuen, aber auch auf Ausstellungen rund um die Baukunst und die Verleihung des Mies van der Rohe-Preises.

Wroclaw-Plakat

Plakat zur Kulturhauptstadt 2016

Über das Programm zur Kulturhauptstadt informieren die beiden Portale Wrocław.pl und Wroclaw2016.pl aktuell und im Gesamtüberblick, jeweils in polnischer, deutscher und englischer Sprache.

Daneben gab es anläßlich des Starts auch ein Festival des kulinarischen Genusses auf dem Nowy Targ, einem Platz, der sonst sehr leer wirkt und plötzlich voller Leben war.

Die Organisatoren und Kuratoren der einzelnen Themenbereiche haben, wie sie mitteilten, bewußt darauf geachtet, daß zwar ihre Stadt zur europäischen Kulturhauptstadt 2016 gewählt wurde, dass aber diese weite länderübergreifende Dimension auch in den vielen noch folgenden Vorhaben erkennbar bleiben sollte. So gibt es etwa, in Erinnerung an die Umsiedelung oder (manche sprechen sogar von) Vertreibung von vielen Tausenden Polen aus dem Osten der früher zur Sowjetunion gehörigen Region um Lemberg, eine eigens deshalb umbenannte Gasse im Rathausgeviert.

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Lemberger Gasse am Breslauer Rathaus

Ein baskischer Künstler in Breslau

Um zudem die Verbindung mit San Sebastian und Spanien zu dokumentieren, läuft seit diesen Tagen im ehemaligen Hatzfeldtschen Palais (heute Museum der Avangarde) eine Ausstellung mit mehr als vierzig Kunstwerken des weltbekannten baskischen Bildhauers Eduardo Chillida.

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Portikus des ehemaligen Hatzfeldtschen Palais vor dem Museum der Avantgarde

Er ist bekannt für seine riesigen Stahl- bzw. Eisenplastiken, hier aber zeigt sich ein Künstler, der auch kleinformatig arbeitet und der neben dem Eisen auch mit Marmor, Schamott und Bronze umzugehen weiß und auch mit Papier und Pappe arbeitet. In einem Statement zu seiner Kunst anläßlich dieser Ausstellung sagte Chillida, dass er nichts darstelle, sondern frage. Und das ist prägnant das, was sich in den Kunstwerken mitteilt. Was ist Raum, was ist Zeit, wie stehen beide zueinander und was hat die eine Kunstform mit anderen Künsten gemeinsam. In der Breslauer Ausstellung, die den Titel Sonoridades trägt, wird besonders die Verknüpfung von Chillidas Kunst mit der Musik in den Vordergrund gerückt.

Versöhnung in Progress

Wenn vom heutigen Wrocław , dem früheren Breslau, die Rede ist, dann können und dürfen die historisch-politischen Konfliktlagen zwischen Deutschland und Polen nicht vergessen werden. Einen hochinteressanten Einblick liefert dazu eine Ausstellung „Pojednanie/Versöhnung in Progress“ im Historischen Museum der Stadt. Diese befasst sich mit dem vor 50 Jahren 1965 verfassten Brief polnischer Bischöfe und Kardinäle an ihre deutschen Amtskollegen.

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Initiator war der Breslauer Kardinal Bolesław Kominek, der die Verbindungen der Kirchen und der Völker wieder aufbauen wollte. Er fand dabei in seinem Land nicht nur Fürsprecher, aber auch auf katholischer deutscher Seite war die Bereitschaft nicht sonderlich groß. Um die Kluft zwischen den Staaten und die zwischen den Gläubigen zu überbrücken, bedurfte es grosser Geduld und eines langen Atems. Die Ressentiments und die Vorurteile waren stark. Aber es gab zum Glück auf beiden Seiten auch andere Stimmen. In Westdeutschland waren es die beiden Publizisten Eugen Kogon und Walter Dirks, die sich über den dominierenden Revanchismus in fast allen Parteien hinweg setzten. Aber es war auch jemand wie Klara Marie Faßbinder, als „Friedensklärchen“ verspottet und verfolgt, die nicht locker liessen und einen Neuanfang wollten.

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Denkmal zu Ehren des Breslauer Kardinals Bolesław Kominek

Letztendlich haben die Optimisten gesiegt und spätestens mit dem Kniefall von Willy Brandt in Warschau wurde eine neue Phase der polnisch-deutschen Beziehungen eingeleitet, die gewiß, wenn auch nicht nur, durch den Brief der polnischen kirchlichen Würdenträger mit dem Tenor “Wir vergeben und wir bitten um Vergebung“ 1965 eingeleitet worden war. Diese Ausstellung ist bereits in Berlin gezeigt worden und wird auch noch in weiteren deutschen und polnischen Städten zu sehen sein. Das ist gut so, denn Beziehungen zwischen Staaten sind immer wieder gefährdet und müssen immer neu justiert werden. Insbesondere die deutsch-polnische Versöhnung ist und bleibt auch in Zukunft eine „Versöhnung in Progress“.

Gebaute Erinnerung und Entwürfe für die Zukunft

Schon die beiden eben beschriebenen Projekte machen klar, dass Wrocław/Breslau mehr als eine Geschichte zu erzählen hat und dass die Akteure langfristige Ziele verfolgen wollen. Zentral stehen für die Kuratoren Partizipation, Image, Entwicklung und Wirtschaft, und dafür setzen sie auf Oper, Theater, visuelle Künste, Musik, Film, Literatur, Architektur und Performance. Ewa Michnik, Intendantin der Opera Wrocławska, zielt darauf ab, „Erleben und Nachdenken“ zu ermöglichen, und Jarosław Fret glaubt an das „Theater als Liturgie der Erinnerung“.

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Opera Wrocławska; Bildnachweis: Adam Dziura/wikimedia commons GFDL

In Wrocław/Breslau treffen in einzigartiger Weise Vergangenheit und Zukunft aufeinander und besonders sichtbar wird dies in der Architektur. Denn die Architektur dieser Stadt dokumentiert eine gut tausendjährige Geschichte, die immer wieder durch neuartige Entwicklungen zur Gegenwart wird. Ein besonderes Beispiel dafür wird das voraussichtlich im Laufe des Sommers 2016 eröffnete neue Museum für zeitgenössische Kunst werden, worin endlich die auf verschiedene Orte verstreute Wrocławer Sammlung modernster Kunst zusammengeführt werden kann.

Der neue Ort dieses Museums ist ein mittlerweile fast 100 Jahre altes Gebäude des Anfang des 20. Jahrhunderts in Breslau wirkenden Hans Poelzig. Nicht nur war dieser Architekt hier mehr als ein Jahrzehnt Rektor der Kunsthochschule, sondern von ihm stammen mehrere das Stadtbild bestimmende Bauten und eben der alt/neue Museumsbau „Vierkuppelpavillon“ (1911-1913), der zukünftig die Heimat des Museums zeitgenössischer Kunst abgeben wird.

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Hans Poelzigs „Vierkuppelpavillon“ / Pawilon Czterech Kopuł – Muzeum Sztuki Współczesnej; Bildnachweis: Volens nolens kraplak/wikimedia commons CC

Der langjährige Stadtpräsident von Wrocław/Breslau, Rafal Dutkiewicz, verspricht sich einen zusätzlichen Schub für seine Stadt, und wenn auch nur ein Teil der hochfliegenden Pläne umgesetzt und nachhaltig verankert wird, dann wird diese Stadt und ihre Region auch in den nächsten Jahrzehnten eine herausragende Rolle im europäischen Konzert spielen.

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Fotos (soweit nicht anders angegeben): Winfred Kaminski

→ Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (2 – Dom, Ägidiuskirche, Rathaus)
→ Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (3 – Universität und Barockes Breslau)
→ Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (4 – Kirchen)

→ Abschied von der Europäischen Kulturhauptstadt 2015 Pilsen / Plzeň (Teile 1,2)

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