Das Kunstwerk der Woche (3)
Die Arbeit einer Künstlerin oder eines Künstlers
aus den Atelierhäusern in Frankfurt am Main
Anne Lina Billinger, Städtische Ateliers Paradiesgasse
Faltenwurf III, 2014, Stoff, Epoxydharz, Beton, Stahl, 310 x 117 x 134 cm; © Werk und Fotografie Anne Lina Billinger
Von Erhard Metz
Ein „Faltenwurf“. Oft genug mag er so sein: das zufällige Ergebnis einer mehr oder weniger achtlos über Bett oder Sessel geworfenen Decke, ein flüchtig abgelegter weiter Mantel. Doch seit man von menschlicher künstlerischer Gestaltung sprechen kann, ist der „Faltenwurf“ auch Artefakt und Gegenstand der bildenden Kunst. Bereits die altgriechische, erst recht die hellenistische und die römische skulpturale Kunst widmeten dem Faltenwurf in grandiosen Statuen grosse Aufmerksamkeit, im Mittelalter und im Barock geriet er in Malerei und Plastik zum Ausdruck herrschaftlicher, weltlicher wie kirchlicher Pracht- und Machtentfaltung. Jan van Eycks Lucca-Madonna im Städel sei als ein bekanntes heimisches Beispiel genannt. Erschütternd wiederum Michael Triegels Gemälde „Am Grabe“ aus dem Jahr 2005: der Mensch ist aus dem üppigen Faltengewand entschwunden.
Ein komplexes Sujet also, dessen sich Anne Lina Billinger mit ihrem „Faltenwurf III“ annimmt. Längst hat sich der Faltenwurf von der Funktion eines den Menschen umhüllenden Gewands oder einer Draperie entfernt und sich als bildnerisches Motiv verselbständigt. Die Künstlerin gestaltet ein grosses, mit flüssigem Beton getränktes Tuch virtuos zu einer trotz ihrer Dimensionen fast filigran wirkenden Skulptur. Die vermeintliche Leichtigkeit, mit der das scheinbar an drei Fixpunkten aufgehängte Tuch in eleganten Faltenschwüngen über den kleinen Tisch hinweg auf den Boden gleitet, fasziniert.
Dass die Dinge nicht so einfach sind, wie sie mitunter den Anschein haben, erklärt uns Anne Lina Billinger, auf deren Person und Werk wir an anderer Stelle noch zurückkommen werden: „Während des Arbeitsprozesses musste ich das nasse Textil zum Trocknen in seiner Position fixieren und habe absolut unterschätzt, mit welchem Gewicht ich zu tun habe. Nun, nach der Trocknung und mit einer nur dünnen Schicht Beton ist die Arbeit leichter, als man auf den ersten Blick vermutet. Diese Irritation einer scheinbar materiellen Schwere und optisch fliessender Leichtigkeit greift das klassische Thema des Faltenwurfs wieder aus einer anderen Perspektive auf.“
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