Nur Superlative hat die sächsische Region Zwickau zu bieten
Von Elke Backert
In Zwickau gibt es die ältesten Häuser Ostdeutschlands, die größte Sammlung über den Musiker und Komponisten Robert Schumann, im Daetz-Centrum Lichtenstein die wohl umfangreichste Sammlung von internationalen Holzkunst-Exponaten weltweit, und das August-Horch-Museum ist deutschlandweit eins von nur zwei kraftfahrzeugtechnischen Museen, die an einer früheren Fertigungsstätte ihren Sitz haben.
Zwickau in Sachsen, wo die schönen Mädchen wachsen. Versucht man den Ursprung der Redewendung zu erkunden, stellt man lediglich fest, dass es sich dabei nicht um das heutige Sachsen handelt, sondern eher um Niedersachsen, und zwar die Lüneburger Heide. Hier aber geht es um die viertgrößte Stadt des Freistaates Sachsen, im Südwesten gelegen und 1118 erstmals urkundlich erwähnt. Bis 1806 war sie kurfürstliche Stadt im Königreich Sachsen. Das Wappen, auch Schwanenwappen genannt, erinnert daran und entstand 1560. Prunkvoll prangt es über dem Portal des Rathauses am Hauptmarkt. Die Farben Rot und Weiß sowie die Ausgestaltung mit Gold und Silber stehen für den ersten Rang unter den Städten Sachsens. Rot symbolisiert das kaiserliche Rotsiegel-Privileg, das Zwickau 1473 durch Kaiser Friedrich III. verliehen wurde.
Keine andere Stadt als Zwickau durfte im Kurfürstentum Sachsen zwei Helme im Wappen führen. Beide Helme tragen ein goldenes Visier. Der Heilige Mauritius, bereits 1212 als Patron der Stadtpfarrkirche erwähnt, ziert den linken Helm. Auf dem rechten Helm dient der Kurhut mit sieben weiß-roten Fähnchen als Zierde. Die Fähnchen symbolisieren die sieben Kurfürstentümer des Heiligen Römischen Reiches (962–1806). Die drei Türme stehen für die Stadtbefestigung, wozu allerdings die Schwäne da sind, weiß wohl niemand. Allerdings sind in zwei Schwäne die Jahreszahlen 1404 und 1862 eingraviert.
Das Zwickauer Wappen im Priesterhäuser-Museum zeigt den Hl. Mauritius, Patron der Stadt, die drei Türme stehen für die Stadtbefestigung, die Fahnen für die Kurfürsten, wozu allerdings die Schwäne da sind, weiß niemand
Das Wappen findet sich ebenso prunkvoll wieder und in Holz geschnitzt im Priesterhäuser-Museum. In der historischen Innenstadt von Zwickau, gegenüber dem grandiosen Mariendom, liegen die aus dem 13. Jahrhundert stammenden Priesterhäuser, das älteste aus dem Jahre 1264. Sie sind damit das älteste erhaltene Wohnbau-Ensemble Deutschlands.
Rathaus-Balkon mit Stadtwappen
Noch zu Beginn der 1990er Jahre dem Verfall preisgegeben, gehören sie heute – nach aufwändiger, detailgetreuer Restaurierung – zu den bedeutendsten Zeugnissen mittelalterlicher Baukunst und musealer Präsentation in Deutschland.
Die historischen Altbauten des Museums, die weitgehend bis ins Detail erhalten sind, lassen die Besucher in authentisch eingerichteten Stuben, Kammern und Küchen das alltägliche Leben der Menschen im mittelalterlichen Zwickau hautnah erleben. Man bekommt Einblick in das Leben von Priestern, Glöcknern und Gelehrten, von Handwerkern und Kaufleuten, von Ratsherren und Reformatoren.
Das Dreigesicht am Zwickauer Dom hat Seltenheitswert. Es stand im Mittelalter für die Heilige Dreifaltigkeit Gottvater, Gottsohn und Gott heiliger Geist
Wenn dann noch an besonderen Aktionstagen in der „Rußküche“ ein schmackhafter Eintopf nach altem Rezept über dem offenen Herdfeuer dampft, kann man die besondere Atmosphäre der Priesterhäuser auch riechen und schmecken.
Die Ausstellung mit ihren Exponaten zur Stadt- und Kulturgeschichte wird im Neubau des Museums auf mehr als 500 Quadratmetern gezeigt. Von den etwa 600 musealen Exponaten stammen einige aus dem 15. Jahrhundert. Alte Zeitzeugen sind beispielsweise ein Kettenhemd, verschiedene Waffen und Setzschilde, sogenannte Pavesen. Auch dem traditionsreichen Zwickauer Porzellan huldigt die Ausstellung. Der Keller war ein Bierkeller. Bier brauten viele Menschen selbst, denn es war im Gegensatz zum verseuchten Wasser keimfrei und nicht so hochprozentig wie heute, so dass auch die Kinder es tranken. 1,5 Millionen Liter süffelten die „Zwigger“ im Jahr, drei Liter pro Mann und Tag. Statt der Nachbildung eines Bergbaustollens, die hier zu sehen ist, könnte man gleich zum Bergbaumuseum Reinsdorf fahren und sich an Ort und Stelle durch die Geschichte des Steinkohlenbergbaus mit bergmännischen Werkzeugen und historischem Geleucht führen lassen.
Die Schumann-Büste im Robert Schumann-Haus gestaltete die amerikanische Künstlerin Janet Grau
Schon zu damaliger Zeit trug der Vater von Robert Schumann, Friedrich August Gottlob Schumann (1773-1826), eine verwegene Frisur
Noch im Zentrum der Altstadt, sollte man den zweiten Superlativ besuchen, denn nicht ohne Grund wird „Zwigge“ auch Schumann-Stadt genannt, besitzt sie doch die mit mehr als 4.000 Originalhandschriften des Komponisten Robert Schumann (1810-1856) und seiner Gattin, der Pianistin Clara geborene Wieck (1819-1896) weltgrößte Schumann-Sammlung. In acht Räumen zeigt die Dauerausstellung Bilder, Musikinstrumente, Drucke, Handschriften, Erinnerungsstücke von der Haarlocke Clara Wiecks bis zum Schachspiel Robert Schumanns sowie Bücher aus dem Verlag des Vaters August Schumann, der als Erfinder des Taschenbuchs bekannt wurde und in diesem Haus eine Buch- und Verlagshandlung hatte.
Porträt der Clara Wieck, nun schon Clara Schumann, im Robert Schumann-Haus
Clara Schumanns Flügel. Zur Erinnerung: Die Komponistin und Pianistin belebte die Vorderseite des 100 D-Mark-Scheins, auf der Rückseite war der Flügel abgebildet
Das Geburtszimmer des Künstlers ist heute als Gedenkzimmer mit historischem Mobiliar aus dem Besitz der Eheleute ausgestattet, darunter auch das Stehpult, an dem Schumann zu komponieren pflegte.
Tafelklavier der Firma Rosenkranz. Friedrich Wieck verkaufte Klaviere seines Freundes Rosenkranz
Unter den sechs Tasteninstrumenten der Schumann-Zeit sind besondere Prunkstücke: der Wiener Flügel von André Stein, auf dem Clara Schumann neunjährig 1828 ihr Konzertdebüt im Leipziger Gewandhaus gab, sowie ein Pedalflügel, auf dem man mit Händen und Füßen spielen kann.
Die Künstlerin Stephanie Treibmann nennt ihr Werk „Schumannsches Klaviertraining“
Der Horch 853, ein Sport-Cabriolet, seit Februar 1935 produziert, war eines der schönsten Automobile der dreißiger Jahre
Hände und Füße braucht auch der Autofahrer. Von weit her reisen Autofreaks an, um das August-Horch-Museum zu besuchen, das deutschlandweit eins von nur zwei kraftfahrzeugtechnischen Museen ist, die ihren Sitz an einer früheren Fertigungsstätte haben. August Horch (1868-1951) „persönlich“ führt mit seiner Assistentin Fräulein Hermine durch die Hallen und erzählt, was er in seinen 145 Jahren alles zuwege gebracht hat. Eine amüsante Geschichte. Bernd Göpfert aus Zwickau, der selbst als Konstrukteur und Rennfahrer im Kraftfahrzeugbereich tätig war und seit mehr als zwei Jahren als sachkundiger Museumsführer im August-Horch-Museum wirkt, verleiht dem von der Mosel gebürtigen Autogenius unverwechselbare und originalgetreue Gestalt. Jeden Sonntag um 15 Uhr wird er persönlich den Museumsbesuchern den Motoren-Prüfstand mit dem Horch-Reihenachtzylinder-Motor vorführen und erläutern.
Die 8 vor dem Kühlergrill als Symbol für den Achtzylinder-Reihenmotor im Horch 375. Der höchstens 1,45 Meter kleine August Horch, alias Bernd Göpfert aus Zwickau, führt persönlich durch „sein“ Museum
In der Ausstellung können sich Besucher nun sowohl an Horch- als auch an Audi-Automobilen aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts delektieren. Das älteste Fahrzeug dort ist ein grüner Horch 12/28 PS Phaeton aus dem Jahr 1911.
Audi 10 28 PS Typ B Phaeton
Dass auch DKW- und Wanderer-Fahrzeuge Teil der Ausstellung sind, erklärt sich dadurch, dass sich Audi, DKW, Horch und Wanderer, unter dem Druck wirtschaftlicher Schwierigkeiten, 1932 zur Auto-Union zusammenschlossen. Bis heute legendär sind die Motorsport-Erfolge bei den Grand Prix der Jahre 1934 bis 1939. Der für die dominierende Auto-Union von Ferdinand Porsche konstruierte Auto Union Typ C ist allerdings nur als Nachbau zu sehen.
Der Auto-Union Typ C war 1936 der erfolgreichste deutsche Grand-Prix-Rennwagen. Er gewann drei von fünf Großen Preisen, die Hälfte der Rundstrecken-Rennen und alle Bergrennen, die die Auto-Union bestritt. Über 30 Weltrekorde sind mit ihm aufgestellt worden
Um den vierten Superlativ zu besuchen, muss man nach Lichtenstein fahren. Auf einem Höhenzug über der Stadt gelegen, bestimmt das alte Schloss die Silhouette Lichtensteins. Unmittelbar benachbart wurde Mitte des 19. Jahrhunderts das Schlosspalais in herrlichem Landschaftsgarten errichtet, ein repräsentatives Gebäude im italienischen Landhausstil. Es diente ursprünglich als Amtshaus, später als Wohnsitz der Familie Schönburg-Waldenburg. Heute ist es Domizil der Dauerausstellung des Daetz-Centrums, des weltweit einzigen Zentrums für internationale Holzbildhauer-Kunst.
Es gibt soviel Ungewöhnliches im Daetz-Centrum zu sehen, dass man viel Zeit einplanen sollte: Hundemutter, bis ins kleinste Detail naturgetreu …
Das Daetz-Centrum erhielt seinen Namen vom Initiator Peter Daetz und seiner Ehefrau Marlene. Er fand 1996 mit der Idee, ein wirtschaftsförderndes Projekt in Form eines internationalen Holzbildhauer-Zentrums aufzubauen, im Landkreis Chemnitzer Land und in der Stadt Lichtenstein die richtigen Partner, die das Grundstück bereitstellten und die Finanzierung der Baumaßnahmen sicherten.
Über 550 einzigartige „Meisterwerke in Holz“ aus 35 Ländern versetzen den Besucher in eine andere Welt und erzeugen oftmals Fernweh.
Eine Maha-Kola-Maske aus Sri Lanka im Daetz-Centrum
Schutzgottheiten verzieren eine Palasteingangstür. Das hölzerne Kunstwerk hat seinen Ursprung 1910 in Chiang Mai im Norden Thailands
Unterhaltsam werden sie von einem elektronischen Führungssystem erzählt, wobei der Zuhörer individuell seinen Weg gehen kann. In einer speziellen Kinderversion sind alle Inhalte kindgerecht aufbereitet. Filme vermitteln dem Besucher Eindrücke über Riten und Bräuche sowie über die Arbeitsweisen der Bildhauer. Dezente landestypische Musik im Hintergrund und der Duft exotischer Hölzer machen den Gang durch die Ausstellung zu einem Erlebnis für alle Sinne.
Fotos © Elke Backert
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