ZONTA says NO – mit dem Film „Wüstenblume“
Renate von Köller, Präsidentin des ZONTA Clubs Frankfurt II Rhein-Main, beim Benefiz-Abend im Deutschen Filmmuseum; Foto: Erhard Metz
Von Erhard Metz
Im Rahmen der aktuellen Kampagne von ZONTA International „ZONTA says NO“ – Nein zu Gewalt gegen Frauen, zu weiblicher Genitalverstümmelung – veranstaltete der ZONTA Club Frankfurt II Rhein-Main Anfang November 2013 im Deutschen Filmmuseum einen Benefiz-Abend zugunsten des gemeinnützigen Vereins „FORWARD Germany – Aktion gegen ritualisierte Gewalt“ mit Sitz in Frankfurt am Main. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Aufführung des Films „Wüstenblume“. Das Deutsche Filmmuseum und der Majestic Film Verleih Berlin verzichteten grosszügig auf Raum- und Aufführungskosten.
Claudia Dillmann, Direktorin des Deutschen Filmmuseums, begrüsst die zahlreichen Besucherinnen und Besucher der Benefiz-Veranstaltung; Foto: Erhard Metz
Das unter anderem mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnete Filmdrama „Wüstenblume“ basiert auf dem gleichnamigen, 1997 in New York erschienenen autobiografischen Buch „Desert Flower“ von Waris Dirie, das ein internationaler Bestseller wurde (über 50 Lizenzausgaben; weltweit 11 Millionen Mal verkauft).
Waris Dirie, 1965 in der Region von Gallacaio in der somalischen Wüste als Tochter einer Nomadenfamilie geboren (der Vorname Waris bedeutet „Wüstenblume“), erleidet im Alter von fünf Jahren die unmenschliche Prozedur einer rituellen genitalen Verstümmelung. Als 13-jähriges Mädchen flieht sie vor der Zwangsverheiratung mit einem alten Mann und gelangt auf abenteuerlicher Flucht nach London, wo sie als Dienstmädchen und Reinigungsfrau arbeitet. Mit 18 Jahren von dem Star-Fotografen Terence Donovan als Model entdeckt, beginnt sie, nach Überwindung mancher Hindernisse, in New York eine internationale Karriere als eines der ersten „Supermodels“. Sie erhält von weltweit bedeutenden Firmen Exklusivverträge und ziert die Titelseiten aller grossen Magazine. 1997, auf dem Höhepunkt ihrer Model-Karriere, offenbart sie in einem Interview für die NBC und die Zeitschrift Marie Claire das Trauma ihrer Beschneidung und löst ein weltweites Medienecho aus. Sie wird UN-Sonderbotschafterin gegen weibliche Genitalverstümmelung.
Im Anschluss an „Desert Flower“ schrieb Waris Dirie die Bücher „Nomadentochter“, „Schmerzenskinder“ und „Brief an meine Mutter“. Sie gründete eine Reihe von Organisationen, die sich um Aufklärung gegenüber dem grausamen Ritual bemühen und betroffenen Frauen und Mädchen Hilfe anbieten. Für ihre unermüdliche Arbeit erhielt sie weltweit hohe internationale und nationale Auszeichnungen. Waris Dirie ist heute österreichische Staatsbürgerin und Mutter zweier Söhne.
↑↓ Waris als Nomadenkind, dargestellt von Soraya Omar-Scego; jeweils Copyright: Majestic/Walter Wehner
Waris als Erwachsene, nach London geflüchtet, dargestellt von Liya Kebede, rechts Star-Fotograf Donaldson (Timothy Spall); Copyright: Majestic/Walter Wehner
Das Filmdrama (Regie und Drehbuch: die Deutsch-Amerikanerin Sherry Hormann, Produzent: der Oscar®-Preisträger Peter Herrmann) zeichnet die Autobiografie von Waris – in nichtlinearer Erzählfolge und Rückblenden – in authentischer Weise nach. Gewaltig die afrikanischen Wüstenlandschaften, berührend die Szenen im von bitterer Armut geprägten Familienleben inmitten der Ziegenherden. Ein Entsetzen für Augen und Ohren bis an die Grenze des Erträglichen die Beschneidungsszene. Erschütternd der Abschied von ihrem kleinen Bruder vor der Flucht des Mädchens durch die einsame Wüste, um der Zwangsverheiratung zu entgehen. Ein LKW-Fahrer nimmt die verirrte, mit letzter Kraft Taumelnde auf, die sich jedoch alsbald einer Vergewaltigung erwehren muss. Familienangehörige in Mogadischu schicken die Fliehende nach London, wo sie in der Residenz des somalischen Botschafters als Dienstmädchen gedemütigt und ausgebeutet wird. Als die Botschaft kriegsbedingt schliessen muss und Waris die Rückkehr nach Somalia droht, flieht sie erneut, muss untertauchen und findet in Marilyn (grossartig gespielt von Sally Hawkins) eine exzentrische, aber warmherzig helfende Freundin und Vertraute.
↑ Waris, der Fotograf Donaldson und die Agentin Lucinda (dargestellt von Juliet Stevenson)
↓ Waris und Marilyn (Sally Hawkins) üben das „richtige“ Gehen und Bewegen; jeweils Copyright: Majestic/Walter Wehner
Dann entdeckt er sie, der Fotograf Donaldson: die Geheimnisvolle, Stolze, Wunderschöne. Er überzeugt die nur auf den ersten Blick kaltschnäuzige, von Erfolgsstreben getriebene Agenturchefin Lucinda (ebenso grossartig dargestellt von Juliet Stevenson). Waris soll zum grossen Auftritt nach Paris fliegen, aber ihr Pass (und damit ihre Aufenthaltserlaubnis in Grossbritannien) ist abgelaufen. Passfälschung, die Polizei entdeckt es sofort, Gefängnis, Abschiebung droht. Lucinda kauft Waris mit Zahlung einer hohen Kaution frei. Mit dem Hausmeister der kleinen Pension geht Waris eine Scheinehe ein, sie erhält die unbefristete Aufenthaltserlaubnis, nachdem die Ausländerpolizei zu früher Morgenstunde das vermeintlich gemeinsame Ehebett nach Spuren ehelichen Lebens durchwühlt hat. Dem Hausmeister, dem sie sich verweigert, legt Waris den nicht mehr benötigten Ehering auf den Tisch.
Als die Schmerzen, bedingt durch die Verstümmelung der Genitalien, übermächtig werden, hilft – nach quälenden Gewissensbissen, noch gefangen in der familiären und stammesgemässen Tradition – eine Operation.
Die gefeierte Waris auf dem Höhepunkt ihrer Model-Karriere; Copyright: Majestic/Walter Wehner
Dann die grosse Karriere. Aber ihre Vergangenheit holt Waris ein, sie hat ihre Seele verloren, an jenem Tag der Folter der Beschneidung. Es bleibt nur ein Weg: die Offenbarung. Keine Aschenputtel-Geschichte mehr vom märchenhaften Aufstieg der Nomadin zum weltweit gefeierten Model. Sie bekennt im Interview ihr Trauma: ihre verstümmelnde Verletzung. Es ist die Öffnung in eine erträgliche Zukunft.
Grossartig schliesslich die Filmmusik von Martin Todsharow. „Wüstenblume“ zählt zweifellos zu den ganz „grossen“ Filmdramen.
66. Filmfestival Venedig September 2009: Benjamin Herrmann (Co-Produzent), Liya Kebede (Rolle der Waris Dirie), Soraya Omar-Scego (Rolle der jungen Waris Dirie), Sherry Horman (Drehbuch und Regie), Waris Dirie und Peter Herrmann (Produzent); Bildnachweis: Nicolas Genin, Paris/wikimedia commons cc
Nach der Aufführung herrschte unter den rund einhundert Besucherinnen und Besuchern der Veranstaltung betretenes Schweigen. Der Film erschüttert auch heute unverändert die Zuschauerschaft, ruft Entsetzen, Fassungslosigkeit, Trauer und Wut hervor.
Die weibliche Genitalverstümmelung, bekannt unter dem Begriff FGM – Female Genital Mutilation – , wird vor allem in Afrika, im arabischen Raum und in Asien praktiziert. In Somalia und in Ostäthiopien sind fast alle Mädchen und Frauen von ihr betroffen, aber häufig ist dies auch in Immigrantenfamilien in Europa, den USA, Kanada und Australien der Fall, ausgeübt von Familienangehörigen oder verantwortungslosen Ärzten. Weltweit leben über 130 Millionen Frauen traumatisiert durch FGM. Waris Dirie wurde für die betroffenen Mädchen und Frauen zum Symbol für Hoffnung und Gerechtigkeit. „Die Menschen müssen verstehen lernen,“ sagt Waris, „dass weibliche Genitalverstümmelung nichts mit Tradition, Kultur oder Religion zu tun hat. Es ist die zynischste Form der Kindesmisshandlung. Alle Staaten, weltweit, sollten ernste und konsequente Massnahmen gegen alle in die Wege leiten, die dieses Verbrechen begehen“.
Auf massiven Druck der internationalen Staatengemeinschaft hat seit 1997 eine Anzahl afrikanischer Staaten (unter ihnen Kenia, Ghana, Burkina Faso, Elfenbeinküste, die Zentralafrikanische Republik, Benin und Togo) die Genitalverstümmelung per Gesetz verboten. 2006 endlich setzte auch die Europäische Union den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung auf ihre Agenda. Inzwischen wurden in vielen weiteren Ländern entsprechende Gesetze erlassen bzw. verschärft und Präventionsmassnahmen eingeleitet. Aber immer noch fallen täglich rund 6000 Mädchen dem scheusslichen wie sinnlosen Ritual zum Opfer.
In der Diskussion, die in der Benefiz-Veranstaltung des ZONTA Clubs Frankfurt II der Filmvorführung folgte, nahmen Professorin Tobe Levin Freifrau von Gleichen, Präsidentin von FORWARD Germany e. V., und Angelika Köster-Loßack vom Vorstand des Vereins, promovierte Ethnologin und bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestags (und des dortigen Menschenrechtsausschusses) Stellung. Bei allem Zorn und Entsetzen über derartige Verletzungen der Menschenwürde und des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit gelte es, mit Behutsamkeit geeignete Wege zu finden, um in den auch heute noch betroffenen Ländern und Ethnien ein Bewusstsein für die Abschaffung dieses archaischen Stammesrituals zu schaffen. In diesen noch weitgehend vom Patriarchat dominierten Kulturen müssten vor allem auch die Männer erreicht werden. Es mangele allenthalben noch an dem Wissen darüber, was die Female Genital Mutilation konkret bedeutet und dass es sich hierbei um eine reale Verstümmelung gesunder menschlicher Organe handelt. Ein weiterer vielversprechender Ansatz sei darüber hinaus die umfassende Durchsetzung der Kinderrechte gemäss der UN-Kinderrechtskonvention.
ZONTA Frankfurt II-Präsidentin Renate von Köller, Tobe Levin Freifrau von Gleichen, Präsidentin von FORWARD Germany, und Angelika Köster-Loßack, Vorstand von FORWARD Germany; Foto: Erhard Metz
Den Erlös des Benefiz-Abends stellt der ZONTA Club Frankfurt II Rhein-Main dem gemeinnützigen Verein FORWARD Germany zur Verfügung.
Abschliessend der Hinweis, dass der Film „Wüstenblume“ auch auf DVD, Blu-ray sowie als Video on Demand erhältlich ist.
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