55. Biennale Arte Venedig 2013 (11)
Der grosse Auftritt Chinas (2)
Von Erhard Metz
War der erste Teil unserer Kurzreportage über den chinesischen Pavillon zur diesjährigen Kunst-Biennale in Venedig bereits von einiger Zurückhaltung gekennzeichnet, so gilt dies auch für den zweiten Abschnitt, der den Künstlern Tong Hongsheng und Wang Qingsong gewidmet ist. Beide treten übrigens, über ihren Beitrag für den offiziellen Pavillon hinaus, auch in einer Gemeinschaftsausstellung „Together“ im Palazzo Bollani im Stadtviertel Dorsoduro auf. Leider hatten wir zeitlich keine Gelegenheit mehr gefunden, sie zu besichtigen.
Tong Hongsheng, 1967 in der Provinz Anhui geboren, studierte Ölmalerei an einer der China Academies of Fine Arts. Der Künstler, ein strenggläubiger Buddhist, lebt und arbeitet in Peking.
Bekannt sind seine sozusagen staatstragenden Historienbilder, seine zum Teil grossformatigen Stillleben sowie kleineren Arbeiten in Öl auf Leinwand in einer adaptierten Tradition westlicher altmeisterlicher Malerei – genannt werden dabei Namen wie etwa Jan Vermeer van Delft. Kennzeichnend sind eine vor allem religiös inspirierte Bilderwelt, sorgfältig-schulmässige bildliche Kompositionen, leuchtende Farben und eine dramatische Lichtführung. Zu den typischen Motiven zählen unter anderem buddhistische Mönche, gekleidet in traditionelle Gewänder.
Wie nun aber, so fragen wir uns, sollen wir damit umgehen? Ist das ein „grosser Wurf“, wie man ihn von chinesischer zeitgenössischer Kunst hätte erwarten können?
Ins Grübeln bringen uns auch die drei riesigen, als ein Triptychon erscheinenden, auf den ersten Blick allemal spektakulären Arbeiten des Fotokünstlers Wang Qingsong. 1966 in der Provinz Heilongjiang geboren, studierte er ebenfalls Ölmalerei an der Sichuan Academy of Fine Arts. Wie Tong Hongsheng lebt und arbeitet auch Wang Qingsong in Peking.
Der Begriff „Wimmelbilder“ will uns bei dem Anblick seiner Arbeiten nicht aus dem Kopf gehen, und sie entbehren durchaus nicht einer Portion an Komik. Wir denken beim Betrachten dieser riesigen Fototableaus natürlich sofort an Andreas Gursky oder an Martin Liebscher. Versucht sich Wang Qingsong an einer Art Kreuzung von formalen Merkmalen dieser Beiden?
follow him, 2010, 130 x 300 cm, C-Print, Totale und Detail
Erinnern wir uns an den Titel der diesjährigen Biennale „Der enzyklopädische Palast“. Versucht hier ein einsamer Wissenschaftler – es ist der Künstler selbst -, vermutlich vergeblich, das in Tausenden von Büchern angesammelte Wissen der Welt zu erfassen, umgeben von Bergen zerknüllten Papiers? Was hat er weggeworfen – das Verstandene, das Unverstandene? Oder das als unwichtig Erkannte? Bemerkenswert die Flaggen der Vereinten Nationen und der Volksrepublik China an der hässlichen Uralt-Bürostehlampe.
follow me, 2013, 180 x 300 cm, C-Print, Totale und Details
Ein Lese- oder Hörsaal einer Universität, ringsum Wandzeitungen. Stapel von Büchern auf den Tischen der jungen Studierenden – machen sie eine kollektive entspannende Arbeitspause, oder sind sie, trotz aller Coca-Cola- und Energy Drink-Flaschen ringsum, über all dem kaum mehr überschaubaren Wissensstoff erschöpft eingeschlafen? Einer nur hält durch, sitzt aufrecht in ihrer Mitte, angeschlossen an ein Infusionsgerät mit zwei Flaschen, wieder ist es der Künstler selbst.
Wie lesen Wandinschriften wie „study well?“, „education is crucial?“ oder „progress everyday?“. Es ist eine Kritik am gegenwärtigen chinesischen Erziehungssystem.
temporary ward, 2008, 180 x 300 cm, C-Print, Totale und Details
Ein Saal, es ist ein für die Szenerie präparierter Theaterraum, voller Kranken und Verletzten, irgendwo mag sich wieder der Künster unter ihnen befinden. „Tempory ward“ – vielleicht freier übersetzt mit Zustandsbeschreibung. Wir lassen den Künstler selbst zu Wort kommen, sinngemäss übersetzt: „Seht auf das Leben der städtischen Bevölkerung, wir essen bei McDonald’s, Kentucky Fried Chicken und Pizza Hut, wir trinken Coca-Cola, Starbucks Coffee und Lipton-Tee, wir fahren Benz, BMW und Lamborghini. All diese westlichen Konsumprodukte ‚modernisieren‘ unser agrikulturell geprägtes Land. Ein solches Leben jedoch ist derart albern, verrückt und widersprüchlich. Der chinesischen Tradition und Kultur mangelt es an Energie und Kraft, sie verdienen es, auf den Schrotthaufen geworfen zu werden. Das ist im Grossen und Ganzen das gegenwärtige China.“
Auffallend, dass Wang Qingsong die Staffage nicht aus Chinesen, sondern aus Personen der westlichen Welt bildet.
Wang Qingsong kritisiert Chinas Verwandlung, die Veränderung seiner auf Tradition gründenden Gesellschaft hin zu einem einzigen „Sich Mühen und Quälen“, Chinas Kapitalismus und Konsumdenken, seine allzu schnelle Urbanisierung und Verwestlichung.
Bemerkenswert, wie wenig – bzw. gar nicht – die westliche, insbesondere auch die deutschsprachige Presse auf diese Arbeiten eingeht.
Zhang Xiaotao, der siebte schliesslich der von Kurator Wang Chunchen ausgewählten Künstler, stellt im chinesischen Pavillon zwei Videos vor.
Abgebildete Werke © jeweilige Künstler; Fotos: Erhard Metz
(Die diesjährige Biennale Arte di Venezia
dauert noch bis zum 24. November 2013)
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