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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Schönheit und Revolution – Klassizismus 1770 bis 1820“ im Städel Museum

Ein Fest für Augen und Sinne –
und ein kritischer Blick zurück

Alles hat einmal sein Ende, so auch die nur noch bis zum 26. Mai 2013 laufende Sonderausstellung „Schönheit und Revolution“ im Städel Museum Frankfurt am Main. Dem, der sie noch nicht gesehen haben sollte, sei sie angelegentlich empfohlen.

↑ Antonio Canova (1757 bis 1822), Die Göttin Hebe, 1800-1805, Marmor, vergoldetes Metall, St. Petersburg, Staatliche Eremitage

↓ Bertel Thorvaldsen (1770 bis 1844), Die Göttin Hebe, ca. 1815, Marmor, Kopenhagen, Thorvaldsen Museum

Sie begrüsst das Publikum, als grossformatige Wandtapete, bereits im Treppenhaus des Ausstellungshauses: Antonio Canovas Göttin Hebe, die Tochter von Zeus und Hera, Göttin der Jugend, Mundschenkin der Götter, ihr Attribut ist der Weinkrug. Sie begegnet uns in zahlreichen Darstellungen der Antike, und die zwei wohl berühmtesten Nachschöpfungen im Zeitalter des Klassizismus können wir jetzt in der Ausstellung, als Leihgaben aus St. Petersburg und Kopenhagen, bewundern. Übrigens – die beiden Damen selbst erblicken sich zum ersten Mal in ihrem „Leben“ gegenseitig in einer Ausstellung!

Die Künstler des zwischen dem Spätbarock und dem Rokoko einerseits sowie der Romantik und dem Biedermeier andererseits angesiedelten Klassizismus – in Frankreich treffen wir ihn, praeter propter betrachtet, als Louis-seize bzw. dem nachfolgenden Empire an – besinnen sich auf die Ästhetik der griechischen und römischen Antike und die ihr zugrunde liegende Mythologie des Altertums zurück. Dieser Klassizismus gilt im Grunde als die letzte grosse, trotz aller historisierenden Tendenzen und Elemente eigenständige Kunstepoche vor dem sich im wesentlichen auf die Nachahmung beschränkenden Zeitalter des Historismus.

Laokoon, römisch, 1. Hälfte 17. Jahrhundert, Bronze nach der antiken Marmorstatue, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Johan Tobias Sergel (1740 bis 1814), Faun, 1774, Marmor, Helsinki, Sinebrychoff Art Museum, Finnische Nationalgalerie;
Relief rechts: Thomas Banks, Thetis und ihre Nymphen erheben sich aus dem Meer, um Achill zu trösten, 1777/78, Victoria and Albert Museum London

Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bildete vor allem Rom das Zentrum für Künstler, aber auch für Dichter und Denker in Europa, die sich der Antike zuwandten und sich mit ihr eingehender beschäftigten. Der Rückbezug auf die antiken Darstellungsformen und die mythologischen Überlieferungen bedeutete nicht nur eine kritische Abkehr vom Pathos der überbordenden, oft der klerikalen Welt zugeschriebenen Formensprache des späten Barock und der meist formalen, nur noch dekorativ-oberflächlichen Ornamentik des Rokoko, sondern ist auch als Kritik an der höfisch-absolutistischen Herrschaftsform jener Zeiten mit all ihren lasterhaften Ausschweifungen und ihrer Unmoral zu verstehen. Gesucht wurde demgegenüber nach Vorbildern für tugendhaftes, „sittlich gutes“ Handeln, das man in den antiken Philosophien vorchristlicher Epochen wieder entdecken zu können glaubte. Es ist die Zeit vor und nach der grossen französischen Revolution und den revolutionären Bewegungen in den meisten anderen Ländern Europas, der napoleonischen Feldzüge und der Befreiungskriege, der mit dem Wiener Kongress eingeleiteten Restauration und des aufkeimenden Vormärz.

↑ Antonio Canova, Theseus und Minotauros, 1783, Gips, Possagno, Museo e Gipsoteca Antonio Canova; im Hintergrund: Jacques-Louis David, Aktstudie, und Louis-André-Gabriel Bouchet, Der Tod des Caton d’Utrique
↓ Jacques-Louis David (1748 bis 1825), Aktstudie, genannt Patroklos, 1780, Öl auf Leinwand, Cherbourg, Musée Thomas Henry

Pathos und Emotion sind allerdings auch dem Klassizismus nicht fremd, jedoch wurden sie auf eine neue Art formuliert: „Anders als im Barock standen nicht mehr die Affektdarstellung im Vordergrund, sondern verinnerlichte Gefühle, in die der Betrachter einzutauchen vermochte. Die Künstler distanzierten sich damit ebenfalls deutlich vom Pathos der Antike; so wurde beispielsweise im Fall der Skulptur Theseus und Minotaurus von Canova … vor allem das Moment des Nachsinnens nach dem Sieg und damit das moralische Bewusstsein des Helden zum Thema“, textet das Städel Museum. Antonio Canovas wie Jacques-Louis Davids Werke „zeugen ebenso von formaler Strenge wie bewusst pointierter Dramaturgie. Sowohl der Bildhauer Canova als auch der Maler David erarbeiteten sich die antiken Themen und Haltungen mit völlig neuen bildnerischen und ikonografischen Mitteln, welche darauffolgende Künstlergenerationen in ganz Europa prägen sollten“.

Auch in der Ausstellung präsentierte Werke der grossartigen Liebieghaus Skulpturensammlung aus dem ersten Quartal des 19. Jahrhunderts verdeutlichen diesen Befund:

↑ Johann Heinrich von Dannecker (1758 bis 1841), Ariadne auf dem Panther, 1814, Kunststein gegossen, Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt
↓ Lorenzo Bartolini (1777 bis 1850), Venus, 1817 (vollendet posthum), Marmor, Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt

Bei aller Rückbesinnung auf die antiken Ideale gewann jedoch die künstlerische Erkenntnis Raum, dass diese letztlich nicht – mehr – erreicht werden konnten. Zugleich jedoch öffnete dieses Eingeständnis den Horizont für eine grössere individuelle, der künstlerischen Verinnerlichung entsprechende Entfaltung, die zu einer sich weiter ausdifferenzierenden Formensprache und hin zu einer als „romantischer Klassizismus“ bezeichneten Entwicklung führte. So präsentiert die Ausstellung den Klassizismus „als unvermutet vielfältige und lebendige Stilepoche, deren unbedingter Wunsch nach Erneuerung und Verbesserung durch den Rückbezug auf die Antike zum Nährboden für die Romantik wurde“ (Städel Museum).

↑ Bertel Thorvaldsen, Tanzendes junges Mädchen, 1837, Gips, Kopenhagen, Thorvaldsen Museum
↓ Antonio Canova, Amor und Psyche, 1800-1802, Marmor, St. Petersburg, Staatliche Eremitage

Die Abgrenzung zwischen Klassizismus und dem zu Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Historismus – hier neben Neuromanik und -gotik, Neorenaissance und Neobarock in Gestalt eines „Neoklassizismus“ –  fällt oft nicht leicht, zumal die entsprechenden Übergänge nicht selten fliessend sein können. Dem im beginnenden Zeitalter der Industrialisierung („Gründerzeit“) gerade auch materiell aufstrebenden Bürgertum ging es um Repräsentation, die sich der Formensprache früherer Stilepochen unter Verlust eigener Kreativität im Wege unschöpferischer Imitation bediente.

Abschliessend zwei Exponate aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die, das eine als Kopie, das andere sozusagen als „Original“, noch der Epoche des „echten“ Klassizismus zuzurechnen sind:

↑ Jacques-Louis David Werkstatt, Tod des Marat, 2. Hälfte 19. Jahrhundert, Öl auf Leinwand, Versailles, Musée national des châteaux de Versailles et de Trianon (es handelt sich um eine Werkstatt-„Kopie“ der Arbeit des Meisters von 1793, dem Todesjahr Marats)
Antonio Vanni (1781 bis 1851?), Apoll vom Belvedere, wahrscheinlich nach einem älteren Gussmodell zwischen 1866 und vor 1903, Gipsabguss nach der antiken Marmorstatue, Marburg, Philipps-Universität, Archäologisches Seminar

In der Romantik strebte die Malerei neuen Höhepunkten entgegen, um anschliessend nach Naturalismus bzw. Realismus und Symbolismus im Impressionismus gänzlich neue Welten zu erschliessen. Im Bereich der Skulptur bahnte Auguste Rodin (1840 bis 1917) nicht zuletzt mit der Kunst des Non-finito der Bildhauerei den Weg in die Zukunft.

„Schönheit und Revolution“ – nicht zu Unrecht wählte das Städel Museum diesen Titel für die grosse, in dieser Form deutschlandweit erste Überblicksausstellung über bedeutende Werke des Klassizismus. In ihrer Opulenz ist sie wahrlich ein Fest für Augen und Sinne. Sie entstand in Zusammenarbeit mit der Liebieghaus Skulpturensammlung und versammelt mit Leihgaben rund 100 Werke, darunter Arbeiten von Anton Raphael Mengs, Thomas Banks, Bertel Thorvaldsen, Johann Gottfried Schadow und Jean-August-Dominique Ingres sowie der bereits ausführlicher erwähnten Künstler Antonio Canova und Jacques-Louis David.

„Schönheit und Revolution – Klassizismus 1770 bis 1820“, Städel Museum Frankfurt (Ausstellungshaus), nur noch bis 26. Mai 2013

Fotos: FeuilletonFrankfurt

 

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