„Zurück zur Klassik“ im Frankfurter Liebieghaus
Richard Scheibe (1879-1964), Statue eines Zehnkämpfers, Bronze, Städel Museum; davor die legendäre Newton-Ausgabe SUMO
Ein neuer Blick auf das alte Griechenland
– so lautet der Untertitel der neuen Ausstellung im Liebieghaus Frankfurt am Main. Der Eingang zur Ausstellung überrascht ebenso wie der sich anschliessende Parcours. Im leuchtenden Schock-Orange der Ausstellungsarchitektur empfangen Helmut Newtons SUMO und eine Statue des von vor- wie nachkriegsdeutschen Regierungen geehrten Richard Scheibe den Besucher. Betreten wir den nächsten Raum, erhellt sich die Absicht der Ausstellungsmacher: Wir werden vom Hier und Heute rückwärts auf der Zeitschiene durch die Epochen der Rezeptionsgeschichte und der verschiedenen Klassizismen in das alte Griechenland des 5. und 4. vorchristlichen Jahrhunderts geführt.
↑ Johann Heinrich von Dannecker (1758-1841), Ariadne auf dem Panther, Marmor, Liebieghaus
↓ links: Bertel Thorvaldsen (1770-1844), Ein klassischer Kriegerkopf, Marmor; rechts: Kopf eines Kriegers, Ägina, um 490 v.Chr./nach 480 v.Chr. (moderner Abguss), Kunstmarmor; Staatl. Antikensammlung u. Glyptothek München
Unser Blick auf die Kunst der griechischen Klassik ist, betont Sammlungsleiter Antike und Kurator Professor Vinzenz Brinkmann, verstellt und verfremdet: „Der kulturpropagandistische Kampf des perikleischen Zeitalters“, so Brinkmann, „aber auch die zahlreichen folgenden, zum Teil verheerenden Selektionen in Klassizismen, christlich-ethischen oder bürgerlich-moralischen Überformungen sowie zahlreiche Kopien haben das Bild der Klassik verfälscht“. Dies gilt für die römische Epoche ebenso wie für die späteren – in weitem Sinne klassizistischen – Nachbildungen.
Hinzu kommt der schmerzliche Verlust originaler griechisch-klassischer Werke. Fast alles, was an antiker Bronze gegossen wurde, fand sich früher oder später in Gestalt von Kanonenrohren und -kugeln wieder. Sehr vieles an heute noch Erhaltenem ist Meeresfunden zu verdanken – ausgelöst nicht zuletzt durch Schleppnetzfischerei oder Sporttauchen. Und im Nachhinein erweist es sich als ein Glück, dass wohlhabende Römer griechische Originale zur Ausschmückung ihrer Villen per Schiff nach Italien transportierten und solche Schiffe, wie Brinkmann schmunzelnd bemerkt, den gar nicht so seltenen Mittelmeerstürmen zum Opfer fielen und samt ihrer Schätze sanken.
Statue des Apoll als Eidechsentöter „Sauroktonos“, Rom (Palatin), römische Wiederholung (augustäische Zeit) einer Statue des griechischen Bildhauers Praxiteles (ca. 350 v.Chr.), Marmor, Vatikanische Museen
Eingestimmt und sensibilisiert verlässt der Besucher den orangefarbenen Wandelgang und gelangt in zwei grössere, in strengem Schwarz gehaltene Säle, wo er der Pracht und Einzigartigkeit der altgriechischen Originale gewahr wird.
↑ Statue eines Faustkämpfers, Rom (Quirinal), 2. Hälfte des 4. Jh. v.Chr. oder 3. Jh. v.Chr., Bronze, Römisches Nationalmuseum
↓ Fragment einer männlichen Bronzestatue, im Meer bei Punta del Serrone, 2. Jh. v.Chr., Bronze, Archäologisches Provinzialmuseum „F. Ribezzo“, Brindisi
Um die Mitte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, zwischen dem Ende der Perserkriege ca. 480 v. Chr. bis zum Ausbruch des Peloponnesischen Krieges 431 v. Chr., entfaltete sich die griechische Kunst zu einer einzigartigen Blüte. „Die Maler und Bildhauer dieser Epoche“, so das Liebieghaus, “ erreichten in wenigen Generationen eine gänzlich neue Sicht auf den Menschen. Auch die Spiegelung irdischer Konflikte und lebensweltlicher Zusammenhänge in die Sphäre des Göttlichen erfuhr hier eine nachhaltige Ausformung. In später nie wieder erreichter Differenzierung und intellektueller Dialektik wird der Mensch ins Bild gesetzt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit werden das Auge und die Stimmung des Betrachters vollständig gefangen genommen. Die Figur bewegt sich frei im Raum, die Maler entwickelten den gänzlichen Satz der illusionistischen Stilmittel. Bis zur italienischen Renaissance sollte dieser Grad an Raffinesse und innere Spannung nicht wieder erreicht werden“.
Figur eines Pferdes (Reiter verloren), Rom (Trastevere), 5. Jh. v.Chr., Bronze, Kapitolinische Museen, Rom
↑ Kopf eines bärtigen altem Mannes (sog. Philisoph von Porticello), im Meer bei Porticello, um 440/439 v.Chr., Bronze,
↓ Kopf eines bärtigen Mannes mit Haarband, im Meer bei Porticello, um 450 v. Chr., Bronze;
Archäologisches Nationalmuseum Reggio di Calabria
Die Ausstellung, deren Schwerpunkt auf der originalen griechischen Bronzeplastik liegt, zeigt einige spektakuläre Funde aus Porticello und Brindisi. Höhepunkte sind zweifellos der Faustkämpfer aus dem Römischen Nationalmuseum und das bronzene Pferd aus den Kapitolinischen Museen. Insgesamt rund 80 Exponate – neben den Bronzeskulpturen auch Vasen, Malereien, Terrakotten sowie bemalte, figürliche Gefässe – legen Zeugnis ab von der Meisterschaft der Künstler der frühen griechischen Klassik. Rekonstruktionen originaler griechischer Malerei – „Philippsgrab“ in Vergina, um 320 v.Chr. – und des antiken Bronzegusses runden die Präsentation ab, die dem Publikum den Zugang zu einer „anderen“, einer neu gesehenen Klassik öffnen will.
Attisch-rotfiguriger Volutenkrater des Talos-Malers, Ton, um 400 v.Chr. (Detail), Archäologisches Nationalmuseum „G. Jatta“, Ruvo di Puglia
Fragment einer Stierfigur, Rom (Trastevere), um 460 v. Chr., Bronze, Kapitolinische Museen, Rom
Der Besuch dieser Ausstellung ist ein „Muss“, ebenso der Erwerb des unglaublich schönen, informativen und reich bebilderten Katalogs.
„Zurück zur Klassik – ein neuer Blick auf das alte Griechenland „, Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt am Main, bis 26. Mai 2013
Fotos: FeuilletonFrankfurt