Lutz Bacher im Portikus
Von weitem lockt der Entenhase
Am Portikus: Lutz Bacher, „Duck/Bunny“, 2012, Media and dimensions variable
Sie haben richtig gelesen: Am Frankfurter Portikus, der Ausstellungshalle der Städelschule auf der stets von einer bunten Schar an Wasservögeln umlagerten Maininsel, lockt ein seltsames Tier zum Besuch der aktuellen Schau: ein „Entenhase“, irgendwie passend zur Osterzeit, denn nicht nur Hühner, sondern auch Enten legen – so nehmen wir jedenfalls einmal an – Ostereier, die der Hase dann in die Osternester der Kinder und der ihrer Kindheit verbunden gebliebenen Erwachsenen legt.
Ente, Hase, Entenhase, Hasenente? Na ja, je nachdem, von welcher Seite man die Dachinstallation betrachtet: von links aus eine Ente, von rechts aus ein Hase mit den bekannt langen Ohren. Nun stammt dieses bekannte Vexierbild von keinem anderen als dem Philosophen Ludwig Wittgenstein. Und ob nun die US-amerikanische Künstlerin Lutz Bacher, deren Arbeiten die aktuelle Ausstellung gewidmet ist, mit dem „Entenhase“ auf die Osterbefindlichkeit der Frankfurterinnen und Frankfurter abzielen wollte, möchten wir doch sehr bezweifeln. Wir sehen in dem Werk vielmehr ein Symbol für die Ambivalenz der Dinge, die sich von unterschiedlichen Positionen aus betrachtet unterschiedlich darstellen, ein Symbol in einer Welt der Quantenmechanik, der Welt der Interferenz, Verschränkung und Dekohärenz, des Welle-Teilchen-Dualismus. Es ist alles eine Frage von Position und Zeitpunkt der Betrachtung. Oder etwa nicht?
Der Frankfurter Portikus präsentiert – als erster von drei Ausstellungsorten, es folgen im Herbst und Winter dieses Jahres das Institute of Contemporary Arts (ICA) in London sowie anschliessend die Kunsthalle Zürich – den ersten Teil einer entsprechend dreiteiligen Werkreihe der hierzulande noch wenig bekannten Künstlerin. Eine ähnliche Triologie wurde übrigens in den Jahren 2008 bis 2009 in St. Louis (Contemporary Art Museum), New York (PS1/MoMA) und München (im dortigen Kunstverein) gezeigt.
Derzeit überrascht uns bereits Yoko Ono in der SCHIRN Kunsthalle mit einem Schachbrett, das hohe Anforderungen an Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnisleistung der Spieler stellt. Das Publikum kann sich in der Ausstellung tatsächlich auf eine Schach-Partie einlassen: mit ausschliesslich weissen Figuren, und auch das Schachbrett selbst verfügt über ausschliesslich weisse Felder, wenn auch diejenigen des einen Spielers leicht erhöht sind.
Und nun treffen wir auch in der grossen Halle des temporär zweigeschossig ausgebauten Portikus eine Art von Schachbrett an, mit unregelmässig angeordneten schwarzen, grauen und weissen Feldern, dazu etliche Spielfiguren, die uns bekannt vorkommen: Adaptionen des CAMEL-Dromedars und des Fahrrads von Marcel Duchamp, Elvis „the Pelvis“ (wenn auch ohne Hüftschwung) und ein Tyrannosaurus (ob als Rex oder nicht, mag dahingestellt bleiben) als „Pappkameraden“, weiter zwei totemähnliche Stelen, die eine einem Phallus nachempfunden und die andere, bekrönte, vielleicht durchaus auch.
Eine an ein Spielbrett erinnernde Fläche, dazu die genannten Figuren – welches Spiel wird hier gespielt? Während das CAMEL-Dromedar noch als Skulptur gestaltet ist und das Duchamp-Fahrrad eine Nachstellung mit allerdings verkleinertem Rad bildet, sind die beiden Stelen lediglich als ein hohles Halbrund ausgebildet und Tyrannosaurus wie Elvis nur noch als von einer Leiter bzw. einer Stellage gestützte Pappen. Attrappen also – für die vielen Attrappen unserer westlichen Gesellschaft und Zivilisation stehend? Für einen „American Way of Life“, hier von Kunst und Kommerz („Ich geh‘ meilenweit für eine …“) und – ebenso verklemmter und bigotter wie ausschweifender – Sexualität? Die Selbstinszenierung oder vielleicht besser gesagt Selbstentkleidung einer Künstlerin, die es Jahrzehnte lang verstanden hat, ihre Individualität einschliesslich Alter, Geschlecht oder Nationalität vor der Öffentlichkeit verborgen zu halten? Oder vielmehr deren Rückzugsraum, lediglich chiffriert dem Blick des Publikums ausgesetzt?
Die Spitze der Stele ähnelt, von vorn betrachtet, der bekannten Form einer zweizipfeligen Bischofsmütze.
Vergängliche Figuren auf dem Schachbrett des Lebens und des Universums sind sie letztlich alle, die „Pappkameraden“ wie die zitierten Ikonen von Kunst (Duchamp) oder Kommerz (CAMEL-Zigaretten nebst Werbekampagne). Sind wir, wie wir gern meinen, die Spieler, oder sind wir die „Gespielten“? Welche Strategien haben wir, wenn wir uns auf das Spielbrett begeben, kennen wir die Strategien unserer Gegenspieler? Welche Rollen „spielen“ Schicksal oder Zufall in irdischen wie in universellen Dimensionen? Solche und ähnliche Fragen stellt die Künstlerin beispielsweise auch in ihren fiktiven Interviews und Gesprächen mit sich selbst.
Auf der Empore der grossen Halle ein Poster: ein Kleinkind sieht sich im Spiegel, die eine Hand, Erkenntnis im unmittelbaren Kontakt suchend, auf das Glas gelegt. Alles passt zusammen: der Wittgenstein’sche Entenhase, das nur auf den ersten Blick seltsam anmutende Schachspiel, das suchende, die Welt und sich selbst ertastende, „begreifen“ wollende Kind.
Die schmale Treppe weiter hinauf: auf den vom durch die schmalen Fenster einfallenden Tageslicht nur spärlich erhellten Zwischenboden. Er ist vollständig mit schwarzem, im Streiflicht schimmernden und glimmernden Sand belegt, darauf schwarze Monitore, auf denen zwei Himmelskörper, ein grösserer gefolgt von einem kleineren, langsam vorüberziehen. Erde und Mond? Als Symbol für das Kosmische?
„Das Werk kommentiert die strukturelle Komplexität bestimmter Mikrokosmen (etwa der Kunstwelt) im grösseren, endlos variierten Kontext des Universums. So offenbart die Künstlerin ihr Interesse an Glaubenssystemen wie Schicksal, Zufall und universelle Vernetzung“ lesen wir im Begleittext des Portikus.
Mit Sand, jener geheimnisvollen wie vieldeutigen Form von Materie, hat die Künstlerin übrigens bereits früher des öfteren gearbeitet („China Beach“). Und was ist nicht alles auf den sprichwörtlichen Sand gebaut!
Videoinstallation Blue Moon (1996) im temporären Obergeschoss des Gebäudes
Lutz Bacher ist, soviel steht fest, eine Frau. Eine US-amerikanische Publikation gibt ihr Geburtsjahr mit etwa 1945 an. Wer sucht, findet auf artnet.com ein der Künstlerin zugeschriebenes Porträtfoto. Lutz Bacher lebt und arbeitet in New York und im kalifornischen Berkeley. Sie stellte, über die oben bereits genannten Plätze hinaus, mehrfach in New York sowie in Los Angeles und San Francisco aus. Wie sie dabei über all die Jahre ihre Anonymität wahren konnte, bleibt ein Geheimnis, von dem wir annehmen, dass es ein Bestandteil ihrer inszenatorischen künstlerischen Arbeit ist.
Lutz Bacher in der gleichnamigen Ausstellung im Portikus Frankfurt am Main, bis 14. April 2013
Abgebildete Werke © Lutz Bacher; Fotos: FeuilletonFrankfurt