“Turm II” von Werner Pokorny auf dem Campus Riedberg / 3
Knabenträume stellen sich in Erinnerung ein: Wer alles wollte nicht später einmal Baggerfahrer oder Kranführer werden, Dirigent der grossen Maschinen und Fahrzeuge in den auffälligen, Gefahr signalisierenden Warn-Farben Feuerwehrrot oder Neonorange! Für manche sind solche Knabenträume im Erwachsenenalter Wirklichkeit geworden, für den Lenker dieses Mammuttransportes zum Beispiel.
Was er da wohl von Ettlingen nach Frankfurt am Main und dort auf den verschneiten Campus Riedberg der Goethe-Universität herbeischleppte? Nichts Geringeres als Werner Pokornys Gross-Skulptur „Turm II“.
So ein Transport – und anschliessend der Aufbau – eines rund zwei Tonnen schweren, insgesamt bald sechseinhalb Meter hohen Kunstwerks kommt wahrlich nicht alle Tage vor. Entsprechend hatte Universitäts-Kurator Carsten Siebert, der das Ereignis umsichtig vorbereitet und organisiert hatte, eine Anzahl Gäste und auch die Presse geladen, die unverständlicher Weise durch no-show glänzte. So gab sich der für die Campus-Kunst verantwortlich zeichnende Universitäts-Vizepräsident Professor Manfred Schubert-Zsilavecz im eigens errichteten kleinen Festzelt bei hervorragend zubereitetem Glühwein (mit einem Schundfusel dagegen mussten wir unlängst auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt vorliebnehmen) in einer überschaubaren Schar Kunstbegeisteter die Ehre.
Aber der Reihe nach: Werner Pokorny kam bereits vor dem Schwertransport angereist mitsamt dem 1:10-Modell des Turmes und einem schlichten weissen Piedestal. Dieses Modell, ein Kunstwerk für sich, fand Aufstellung im Biologicum – auf einer Sichtachse liegend zur Gross-Skulptur unter freiem Himmel auf der zentralen Grünfläche.
Bildhauer Werner Pokorny und Kurator Carsten Siebert
Schon das Modell macht, in jeder Richtung betrachtet, eine gute Figur.
Nach dieser Ouvertüre dann das grosse Spektakel: „Turm II“ ist eingetroffen!
Ja, es war schon spektakulär, was vor den Augen der Zuschauer ablief: Als erstes galt es, das Kranfahrzeug mit wuchtigen Auslegern seitlich abzustützen. Dann richtete sich ein Herkules von einem Kran auf, ein Teleskopglied nach dem anderen glitt nach dem Matrjoschka-Prinzip aus dem jeweils vorherigen heraus, schon hing das Unterteil der Skulptur am Haken und nahm seine luftige Fahrt in Richtung seines künftigen Standplatzes inmitten der verschneiten Wiese auf, wo es der den Kran über Funk steuernde „Mann in Rot“ mit dem persönlich Hand anlegenden Künstler zentimetergenau platzierte. Nicht anders erging es dem Oberteil von „Turm II“, das der Künstler und ein Helfer auf zwei Leitern, diesmal vermutlich sogar millimetergenau, auf dem Unterbau ausrichteten.
Es ist vollendet: „Turm II“ steht und reckt sich, stolze 6,35 Meter hoch, in den Campus-Himmel! Zeit, im Zelt mit dem Glühwein auf das Wohl von Künstler und Skulptur anzustossen!
Jetzt hatte der Bauschlosser seinen Auftritt: Die Skulptur musste mit Laschen und Schwerlastdübeln im Betonfundament fixiert werden. Anschliessend trat das Schweissgerät in Aktion und vereinigte das Unten mit dem Oben zum Ganzen.
Während der Schlosser die beiden Skulpturenteile nach Anweisung des Künstlers miteinander verschweisste und die Funken flogen, erfreute sich die kleine Runde weiter an dem hervorragend zubereiteten Glühwein.
Wenig später nahm Werner Pokorny Abschied von seinem Werk. „Wie ist das, stellt sich da etwas von Abschiedsstimmung ein, ein wenig Wehmut?“ fragten wir ihn. Pokorny wiegte den Kopf. Und wir wissen ja: Ein Künstler ist auch glücklich, eine solche Arbeit dem Publikum und der Öffentlichkeit zu übergeben.
Von Stunde an hat die grosse Freifläche inmitten der Instituts- und Forschungsgebäude einen anderen Charakter angenommen. „Turm II“ ist unübersehbar, er ist dominant, aber nicht beherrschend, ein Markstein und Orientierungspunkt, eine Art Totem, von dem ein Kraftfeld ausgeht. Die Skulptur mit ihren unterschiedlichen Elementen tritt in den Dialog mit der Umgebungsbebauung. Und mit den Menschen: Studierenden, Lehrenden, Forschenden, Besuchern, die sie, mitunter täglich, passieren werden. Wer bereit ist, sich mit ihr auseinanderzusetzen, wird neue Erfahrungen machen, neue Einsichten gewinnen können.
Und wir erblicken etwas, das wir zuvor nicht wahrgenommen haben, zwischen Skulptur und Biologicum:
Einen Punkt, an dem sich Menschen, die sich suchen, treffen sollen. Wird „Turm II“ diese Aufgabe künftig übernehmen?
Abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotos: FeuilletonFrankfurt
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